Reiner Priggen: „Bei der Inklusion handelt es sich um ein Projekt, die wir für die Eltern machen, die wollen, dass für ihre Kinder das Beste erreicht wird.“

Unterrichtung der Landesregierung zum Thema Inklusion

###NEWS_VIDEO_1###
Reiner Priggen (GRÜNE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Obwohl ich gleich sehr viel Widerspruch zu Herrn Laschet habe, möchte ich an einer Stelle Danke sagen. Herr Laschet, Sie haben klargestellt, dass die Frage der Inklusion kein grünes Prestigeprojekt ist – Herr Lindner hatte das am Anfang ja als grünes Prestigeprojekt und zum Schluss als sozialdemokratisches Prestigeprojekt bezeichnet. Dass das klar ist, ist mir wichtig. Deswegen sage ich auch ehrlich Danke dafür. Es ist richtig: Dabei handelt es sich um ein Projekt und eine Arbeit, die wir für die Eltern machen, die wollen, dass für ihre Kinder das Beste erreicht wird. Das hat nichts mit Prestige zu tun. Wenn andere an der Regierung wären, müssten sie es genauso tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Bei Teilen der eben geführten Debatte habe ich mich an mehrere Mütter erinnert gefühlt, die ich kennengelernt habe, als ich in meinem Aachener Wahlkreis eine Einrichtung besucht habe, in der Kinder mit Behinderung unter drei Jahren und im Kindergartenalter betreut werden. Diese Mütter kämpfen dafür, dass ihre Kinder eine Chance haben. Sie kämpfen dafür, dass ihre Kinder über die U3-Betreuung und den Kindergarten in der Schule eine Chance bekommen, am Leben teilnehmen zu können, vielleicht einen Beruf erlernen zu können und dann hoffentlich arbeiten zu können. Sie investieren viel Zeit, damit ihre Kinder diese Chance bekommen. Es ist genau unsere Aufgabe, diejenigen, die das brauchen und die dafür kämpfen, zu unterstützen.
Es ist ein schwieriger Prozess. Das ist nicht zu bestreiten. Dies gilt gerade dann, wenn wir auch mit den Kommunen über Geld reden. Diese Landesregierung hat aber sehr viel für die Kommunen getan. Sie hat viel von dem, was in den Jahren vorher den Kommunen genommen wurde, wieder begradigt. Es ist richtig, dass wir jetzt miteinander ringen, was die Kosten der Inklusion angeht. Deswegen habe ich genauso wie Norbert Römer viel Respekt vor den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, mit denen wir verhandeln. Wir stehen aber in der Pflicht, sorgfältig mit den Geldern umzugehen, die wir zur Verfügung stellen, und im Einzelnen zu schauen, was wir überhaupt können.
Herr Kollege Laschet, weil Sie hier erzählt haben, Sie hätten schwierige Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt, kann ich Ihnen einen Hinweis nicht ersparen: Wir bezahlen jetzt die Zeche für das, was Sie in Ihrem Gesetz vergurkt haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Alleine 146 Millionen € dieses Jahr! Das ist das, was wir jetzt bezahlen. Insofern wäre ich da an Ihrer Stelle vorsichtig.
(Stefan Zimkeit [SPD]: So ist es!)
Ich finde es richtig, dass die Regierung eine Unterrichtung beantragt hat, weil es sehr wohl angemessen ist, sich im Parlament über das auszutauschen, was parallel und gleich ab 12 Uhr wieder in den Prozessen, in den Verhandlungen läuft. Darüber hat die Regierung informiert. Ich will das gerne für meine Fraktion aus unserer Sicht ergänzen, weil von Herrn Laschet und Herrn Lindner doch einiges sehr falsch dargestellt worden ist.
Wir haben das 9. Schulrechtsänderungsgesetz am 16. Oktober 2013 verabschiedet. Damit ist auch klar: Es tritt zum nächsten Schuljahr in Kraft. Da gibt es gar kein Wackeln. Das Gesetz tritt in Kraft.
Bevor wir es verabschiedet haben, haben wir einen langen, sehr intensiven Diskussionsprozess geführt, weil die Kommunen gesagt haben, es kämen ganz erhebliche Kosten auf sie zu, und dazu ein Gutachten vorgelegt haben. Sie konnten es uns aber nicht im Detail belegen.
Wir haben mit dem Gesetz gewartet und uns dann – das ist wichtig – auf einen gemeinsamen Prozess verständigt. Wir haben gesagt: Wir wollen die Kosten unter hohem Zeitdruck bis zum 31. Januar 2014 ermitteln. Wenn wir die Kosten ermittelt haben und eine Verständigung erzielt haben, sollen sie auch zur Verfügung gestellt werden.
Dafür haben die kommunalen Spitzenverbände uns zwei Gutachter vorgeschlagen. Wir haben dann einen der beiden Gutachter, die von ihnen vorgeschlagen wurden, genommen. Wir haben nicht jemanden genommen, den nur wir haben wollten, sondern einen der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagenen Gutachter.
Wir haben uns einvernehmlich für die beiden zu untersuchenden Gebietskörperschaften entschieden. Nicht Rot-Grün allein hat die ausgesucht, sondern wir haben das mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen gemacht. Einvernehmlich war auch der Untersuchungsauftrag.
Das ist die Arbeitsstrecke gewesen.
Das Ergebnis des Gutachters liegt vor. Die Konnexitätsfrage hatte er nicht zu untersuchen. Das war nicht seine Aufgabe, sondern das ist Teil des Diskussionsprozesses, den wir führen.
Weil manche es entweder nicht richtig darstellen wollen oder es nicht wissen, will ich es wiederholen: Die Frage der Barrierefreiheit ist keine Frage, die mit dem Beschluss des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes anfängt. Liebe Leute!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist Thema in vielen, vielen Kommunen seit mehr als 20 Jahren, in den letzten Jahren bei allen Neubauten. Sie bauen kein WDR-Gebäude, keine Schule, keinen Bahnhof, keine Bushaltstelle mehr, ohne die Frage der Barrierefreiheit oder einer verbesserten Inklusion zu berücksichtigen. Das gibt es gar nicht mehr.
Heute werden fast 30 % aller Kinder inklusiv beschult. Wir haben lobenswerte Kreise wie etwa den Kreis Wesel, wo alle Grundschulkinder inklusiv beschult werden. Wer hat denn die Kosten für die entsprechenden baulichen Maßnahmen auch in den vergangenen Jahren getragen? Das war doch nicht das Land. Das haben die Kommunen gemacht. Dafür gebührt ihnen auch Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist doch nicht automatisch alles Aufgabe des Landes. Das ist doch die logische Schlussfolgerung an der Stelle.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der Gutachter hat festgestellt: Über einen Zeitraum von drei Jahren entstehen Kosten in Höhe von 76 Millionen € für Gebäude und rund 37 Millionen € für Personalunterstützung. Normalerweise würde man am Ende eines solchen Prozesses diskutieren: Wie hoch ist euer Anteil, was übernehmen wir angesichts der Vorleistungen der vergangenen Jahre? Man würde sich verständigen. Das Land ist bereit – wie der Gutachter es gesagt hat –, die Kosten komplett zu übernehmen. Darüber hinaus ist das Land bereit, auf die vom Gutachter ausgerechnete Summe noch knapp 50 Millionen € draufzulegen, also insgesamt 175 Millionen € in die Hand zu nehmen. – Entschuldigung, nicht 50 Millionen, sondern mehr als 60 Millionen!
(Heiterkeit – Lutz Lienenkämper [CDU]: Ist doch egal!)
175 Millionen € insgesamt! Das ist auch noch nicht alles. Das Land ist darüber hinaus bereit, zusätzliche Personalstellen zu übernehmen. Wir haben uns darauf verständigt, dass ein ganz erheblicher Teil der Demografiegewinne in die Schulen geht. Wir wissen nämlich auch, dass es ein Mehr an pädagogischer Betreuung braucht.
Bei einer Inklusionsquote von 17 % in den Jahren 2010 und 2011 hatten wir 532 Lehrerstellen bereitgestellt. Das steigern wir auf über 3.200 Stellen, um bis 2017 die Quote von 50 % zu decken; derzeit liegen wir bei 30 %. Das heißt: 2.700 zusätzliche Stellen! Das Land macht an der Stelle sehr viel, steckt sehr viel Personal hinein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir sind also bereit, die Gesamtkosten, die der Gutachter ausgerechnet hat, plus einen Zuschlag für insgesamt fünf Jahre zu übernehmen.
Wir sind zudem bereit, bei der personellen Unterstützung zusätzliches Personal zu finanzieren und dafür auch noch einmal rund 10 Millionen € im Jahr zu übernehmen.
Um es ganz klar zu sagen: Wir können nicht den individuellen Rechtsanspruch auf Integrationshelfer, der den Kindern bundesgesetzlich zusteht, übernehmen. Das können wir nicht.
Man muss auch fairerweise sagen: Der individuelle Anspruch auf einen Integrationshelfer, der einem Kind in der Schule hilft, fällt sowohl in der Förderschule wie auch in einer anderen Schulform an.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das heißt: Hier entsteht keine neue, zusätzliche Aufgabe. Der WDR hat heute Morgen in einem Rundfunkbericht so schön gesagt. Es geht um Personal, das den Kindern hilft, wenn sie zum Beispiel zur Toilette müssen. – Das müssen sie aber in einer Förderschule genauso wie in jeder anderen Schule.
Es ist nun einmal so: Diese Aufgabe, die Erfüllung des individuellen Rechtsanspruchs, ist Teil des Bundessozialgesetzbuches. Diese Aufgabe hat der Bund den Kommunen zugewiesen. Wir können diese Aufgabe nicht übernehmen, weil wir dann eine Mauer durchbrechen würden, indem wir als Land freiwillig eine Bundesaufgabe übernähmen, um den Kommunen zu helfen. Das geht nicht.
Wir unterstützen auch personell. 10 Millionen € pro Jahr sind auch da eine faire Zahl.
Auch die Verteilung über Pauschalen an die Kommunen, wie Kollege Römer sie vorhin vorgestellt hat, ist ein faires Angebot.
Deswegen kann man eigentlich nur an alle, die beteiligt sind, appellieren, ein bisschen zu vergessen, dass es den 25. Mai gibt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich glaube nämlich, das ist bei vielen, die hier tätig werden, ein Leitmotiv. Vielmehr sollte man nüchtern anerkennen, dass wir bereit sind, 175 Millionen € in die Hand zu nehmen, dass wir bereit sind, ein sehr faires Angebot zu machen.
Ich will mit dem Zitat einer Mutter von „mittendrin e. V.“, einem Elternverein, der sich um die Kinder kümmert, schließen. Die sagt zu unserer Debatte:
„Die aktuelle Ablehnung auch weitestgehender Zugeständnisse des Landes lässt jedoch Zweifel, ob eine Einigung im Kostenstreit um die inklusive Bildung überhaupt von allen Kommunalvertretern angestrebt wird. ‚Wir müssen den Eindruck gewinnen, dass es einigen Verhandlern gar nicht um mehr Geld für inklusive Bildung geht‘, sagt die Vorsitzende des Elternvereins „mittendrin e. V.“, Eva-Maria Thoms. Es wäre beschämend, wenn hier auf Kosten der betroffenen Kinder und Jugendlichen Stimmung für den Kommunalkampf gemacht würde.“
Herr Laschet, genau das haben Sie eben gemacht. Und das fand ich schäbig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mehr zum Thema

Inklusion, Kommunales, Schule