Dr. Ruth Seidl: „Alle Beteiligten sind derzeit gut beraten, im Interesse der Sache miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Anträge von Piraten, CDU und FDP zur Hochschulfreiheit

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Lieber Herr Laschet, wenn Sie heute verbal und politisch aufrüsten, dann geben Sie mir bitte die Gelegenheit, Ihnen einige Überschriften aus der nordrhein-westfälischen Presse aus dem Jahr 2006 in Erinnerung zu rufen, denn auch das gehört zur Wahrheit.
In der „taz“
(Heiterkeit von der CDU und der FDP)
vom 22. April 2006 heißt es:
„Hochschulumbau heftig in der Kritik. Das Wissenschaftsministerium wird mit Stellungnahmen zum geplanten Hochschulfreiheitsgesetz überhäuft.“
Die „Westdeutsche Allgemeine“ vom 27. April 2006 titelt:
„Hochschulen gegen Freiheitsgesetz. Mehr Gängelung statt Autonomie!“
„NRW Wissenschaftsminister weist die breite Kritik an dem Hochschulfreiheitsgesetz zurück“,
steht in der „WAZ“ vom 28. April 2006.
Ich zitiere weiter:
„Senate der Unis lehnen wesentliche Teile des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes ab, vor allem die Einführung eines Hochschulrats“,
„Aachener Nachrichten“ vom 21. April 2006.
„Heißt die Bochumer Ruhr-Universität demnächst Ruhrgas University?“,
fragt die „WAZ“ vom 10. Februar 2006 provokativ bezogen auf das neue NRW-Hochschulgesetz.
(Zurufe von der CDU)
Und zum Schluss, Herr Laschet, die „Aachener Nachrichten“ vom 21. April 2006 – hören Sie gut zu! –:
„Doch nun sagt die breite Mehrheit der 37 nordrhein-westfälischen Hochschulen: So nicht!“
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
– Das habe ich einfach mal recherchiert.
Sie werden es gemerkt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen: Diese Schlagzeilen stammen nicht aus dem Jahr 2013, sondern aus dem Jahr 2006. Und es handelt sich dabei auch nicht um den aktuellen Referentenentwurf, sondern um das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz des damaligen Wissenschaftsministers Pinkwart. Ich war dabei!
(Zurufe von der CDU)
Ich weiß nicht, wie Sie Vergangenheitsbewältigung betreiben. Zumindest ich erinnere mich an Massendemonstrationen des Hochschulpersonals in Aachen, in Köln, in Bonn, an allen großen Hochschulstandorten und an den sogenannten Bildungsstreik der Studierenden. Es gehört also ein außerordentliches Maß an Geschichtsverdrängung dazu, wenn Sie diese Tatsachen heute einfach ausblenden, Herr Laschet.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie können gerne eine Schlammschlacht haben, wenn Sie das möchten; Wurfmaterial gibt es aus Ihrer Regierungszeit mehr als genug.
Ich möchte Ihnen aber an dieser Stelle lieber die sachliche Variante anbieten und Ihnen an drei Punkten darstellen, warum wir im Jahr 2013 eine Novellierung des Hochschulgesetzes von 2006 für notwendig und richtig halten.
Erstens. Das von Ihnen 2006 auf den Weg gebrachte Hochschulfreiheitsgesetz ist nach der jüngsten Rechtsprechung in entscheidenden Fragen verfassungswidrig.
(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])
Ich weiß ja nicht, ob Sie mal die Anhörungsunterlagen gelesen haben. Das betrifft sowohl die Fülle der Entscheidungskompetenzen des Hochschulrates als auch Defizite bei der hochschulinternen Willensbildung.
Deshalb ist es schon aus rechtlichen Gründen geboten, dass Pinkwart’sche Steuerungsmodell von Hochschulrat, Leitungsebene und Senat, das sehr weit über das Ziel hinausgeschossen ist – das war das weitestgehende Modell in der ganzen Bundesrepublik, ist aber auch das Modell, das am weitestgehenden korrigiert werden muss –, auf eine saubere Grundlage zu stellen.
(Zurufe von der CDU)
Das wissen alle Hochschulräte und die Hochschulpolitiker in diesem Raum auch.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Das ist eine Behauptung von Ihnen!)
Es gibt Nachsteuerungsbedarf bei der Rektorwahl und bei der Rückführung von Entscheidungskompetenzen auf den Senat. Hier muss das letzte Wort bei der Hochschule liegen und nicht beim Hochschulrat. Diese nicht unwesentlichen Korrekturen zur Stärkung der Kollegialorgane und nicht zuletzt zur Sicherung der Wissenschaftsfreiheit sieht der aktuelle Referentenentwurf vor.
Zweitens. Durch die Verselbstständigung der Hochschulen ergibt sich logischerweise auch eine erhöhte Notwendigkeit zu einer übergreifenden Landesplanung. Wir reden heute von 37 Hochschulen, die öffentlich-rechtlich sind, aber wir haben insgesamt sogar 71, die wir mit in den Blick nehmen müssen, wo ja auch private dazugehören, die von uns staatlich anerkannt sind. Das wurde in der letzten Anhörung zu diesem Thema von Prof. Löwer, den Sie ja sehr gut kennen, deutlich gemacht, der das Fehlen eines Hochschulentwicklungsplans monierte und ihn ausdrücklich einforderte,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Der ist Ihr Kronzeuge?)
nicht zuletzt, um die Fächervielfalt, auch die sogenannten kleinen Fächer, in Nordrhein-Westfalen zu sichern. – Das war der zweite Punkt.
Ich frage mich an dieser Stelle, welches parlamentarische Selbstverständnis Sie haben, wenn Sie als Gesetzgeber nicht einmal über die strategischen Ziele und Eckpunkte dieser größten Hochschullandschaft diskutieren wollen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das hat doch überhaupt nichts mit Detailsteuerung und Gängelung zu tun, nicht im Entferntesten. Ganz im Gegenteil: Wir haben eine exzellente Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen,
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Warum denn wohl?)
die wir in ihrer Profilierung stärken wollen. Und es stände diesem Parlament gut an, wenn wir darüber häufiger diskutieren würden.
Drittens. Die Einführung einer zeitgemäßen Mitbestimmung in den Hochschulgremien ist längst überfällig. Nur Deutschland kennt so etwas wie das Hochschulurteil, mit dem seit den 70er-Jahren die Professorenmehrheit quasi in Beton gegossen wurde. Herr Laschet, Sie haben ja sicher von Aachen aus einmal den Blick nach Maastricht geworfen. Das ist ja nicht so weit weg. Im niederländischen Hochschulsystem gehört es zum Tagesgeschäft, die Studierenden in den Gremien, auf allen Ebenen zu 50 % zu beteiligen und mitentscheiden zu lassen.
(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wenn das neue Hochschulgesetz den Hochschulen Möglichkeiten gibt, neue Formen der Partizipation zu erproben, dann finde ich, dass es keinen besseren Experimentierraum als unsere Hochschulen gibt, die ja schließlich Orte des Diskurses und Keimzellen für gesellschaftliche, technische und soziale Innovationen sind.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Wenn Sie sich die Historie Ihrer Gesetzgebung im Hochschulbereich ansehen, täten Sie gut daran, sich endlich einmal auf die Sachdiskussion einzulassen und Ihre Verschwörungstheorien zurückzunehmen. Natürlich ist das im Wahlkampf ganz praktisch – das kann ich verstehen –, aber wir sollten zur Sache zurückkehren.
Wir befinden uns, was das Gesetzgebungsverfahren angeht, gerade einmal im Stadium des Referentenentwurfs. Derzeit werden die Stellungnahmen der Hochschulen und Verbände ausgewertet. Es liegt also nicht einmal ein Regierungsentwurf vor, der durch das Kabinett gegangen ist, auf den Sie sich heute beziehen könnten. Also brauchen wir an der Stelle auch nichts zurückzuziehen. Und deshalb gibt es hier logischerweise auch nichts, was wir als Parlament zurückziehen könnten.
Alle Beteiligten sind derzeit gut beraten, im Interesse der Sache miteinander ins Gespräch zu kommen. Wenn Sie sich in Ihrem Antrag wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, man möge den Wissenschafts- und Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen nicht nachhaltig schädigen, dann wären Sie als erster an der Reihe, dies zu beherzigen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)