Gudrun Zentis: „Das Problem des Analphabetismus wird oft als alleiniges Thema der Weiterbildung aufgefasst. Das ist falsch.“

Gemeinsamer Antrag für ein Bündnis gegen Analphabetismus

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Im November 2013 haben wir an dieser Stelle schon einmal über ein breites Bündnis gegen Analphabetismus gesprochen. In der Tat ist das Bündnis breiter geworden. Ich begrüße es sehr – auch im Namen meiner Fraktion –, dass aus dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen geworden ist. Das ist der gewaltigen Problematik angemessen, der wir uns bei der Bekämpfung des Analphabetismus stellen wollen und auch stellen müssen.
Das geplante Netzwerk des Landesverbandes der Volkshochschulen kann als Auftakt verstanden werden, um mit Frau Ministerin Sylvia Löhrmann als Schirmherrin stärker zu sensibilisieren und ein größeres gemeinsames öffentliches Bewusstsein zu schaffen.
Das Ganze ist aber nur dann glaubwürdig, wenn genügend Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds bereitgestellt werden, um die Angebote für Alphabetisierung und Grundbildung auszubauen. Bisher standen uns in diesem Bereich 5 Millionen € zur Verfügung. Wir müssen darauf achten, dass die Kürzungen bei den ESF-Mitteln nicht in diesen Bereich weitergereicht werden; denn eine lebens- und erwerbsorientierte Weiterbildung bedeutet vielfach: Wer lesen, schreiben und rechnen kann, kann besser für sein berufliches Fortkommen sorgen.
Wir haben gemeinsam mit der SPD in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, die Weiterbildungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen schrittweise zu erhöhen. Auch die Weiterbildungskonferenz hat dieses Ziel formuliert.
Inzwischen haben viele Einrichtungen Instrumente der Beratung mit Blick auf bildungsferne Zielgruppen weiterentwickelt, die uns bei unserer weiterbildungspolitischen Diskussion helfen. Sie haben sich auf den Weg gemacht, die Lebenswirklichkeiten, die Problemlagen und die Weiterbildungsbedürfnisse der Menschen zu identifizieren und auch Menschen in ihren Sozialräumen anzusprechen, die für Weiterbildung kaum oder nur schwer erreichbar sind.
Damit alle Einrichtungen von den entwickelten Beratungskonzepten profitieren können, fordern wir in unserem gemeinsamen Antrag, diese Konzepte zu bündeln und weiterzuentwickeln. Bei dieser Aufgabe müssen die Einrichtungen unsere Unterstützung erhalten. Ich sehe die neue Supportstelle für die Weiterbildung als einen möglichen Ort dafür.
Meine Damen und Herren, das Problem des Analphabetismus wird oft als alleiniges Thema der Weiterbildung aufgefasst. Das ist falsch. Die Einrichtungen der gemeinwohlorientierten Weiterbildung leisten heute schon einen erheblichen Beitrag, um die Teilhabemöglichkeiten von Betroffenen zu verbessern.
Es muss uns beschäftigen, wie es denn dazu kommt, dass Jahr für Jahr junge Erwachsene in großer Zahl unsere Schulen verlassen, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Unser Ziel muss es sein, diese Zahl erheblich abzusenken und danach zu fragen: Wann ist beim Erlernen der schulischen Grundbildung der Zug abgefahren? Wenn wir das nicht herausfinden, sind alle Maßnahmen im Bereich der Weiterbildung Stückwerk, das zwar notwendig ist – aber solange wir aus den Schulen immer wieder Menschen nachkommen lassen, die dieselben Schwierigkeiten haben, können wir bei der Bekämpfung des Analphabetismus nicht erfolgreich sein.
Das steht in dem Antrag, der heute vorliegt, sicherlich etwas ausführlicher, aber es war auch in dem Antrag enthalten, der im November vorgelegt worden ist. Deshalb müssen Lehrer und Lehrerinnen bis in die höheren Klassen der Sekundarstufe I in die Lage versetzt werden, das Problem zu erkennen und Hilfestellung zu geben. Aus diesem Grunde sollten wir auch überlegen, das Thema in die Präventionsketten aufzunehmen. „Kein Kind zurücklassen“ bedeutet auch, zu verhindern, dass weiterhin Schulabgängerinnen und Schulabgänger vom funktionalen Analphabetismus betroffen sind.
Ich bedanke mich für Ihr Zuhören und für die breite Zustimmung zu diesem Bündnis. Es wird dem Thema gerecht. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)

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