Dr. Ruth Seidl MdL: „Vor diesem Hintergrund kann die Wissenschaftslandschaft in NRW auf das Geld des Pentagon gut verzichten.“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Piraten zu US-Militärforschung an NRW-Hochschulen

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Berger, kommen wir doch noch einmal zum aktuellen Anlass zurück. Tatsache ist doch, dass 22 Hochschulen in Deutschland offensichtlich für das Pentagon Auftragsforschung übernommen haben, und darüber – das haben Sie eben selbst zitiert – haben in den vergangenen Tagen etliche Medien berichtet. Dabei wurden auch drei nordrhein-westfälische Hochschulen genannt.
Tatsache ist auch, dass Deutschland bei den weltweiten Rüstungsexporten ganz oben im Ranking steht. Auch darüber wurde in den vergangenen Wochen viel berichtet. Es mutet schon zynisch an, wenn die Universität München davon spricht, sogenannten sauberen Sprengstoff für die Militärforschung zu entwickeln. Es gehe schließlich darum, Sprengstoff umweltverträglicher zu machen. Das ist natürlich Auftragsforschung für das US-Verteidi-gungsministerium. Insofern stellt sich doch die Frage, wie wir mit dieser Tatsache umgehen.
Herr Berger, Sie haben den Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz genannt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Die sogenannte Wissenschaftsfreiheit sichert unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein individuelles Recht, auf dem Gebiet zu forschen, auf dem sie forschen wollen. Das lässt sich nicht per Gesetz verbieten, und das hat hier in Nordrhein-Westfalen auch niemand vor.
Es besteht in Deutschland jedoch ein Grundkonsens über eine friedliche Ausrichtung der Gesellschaft. Dieses Ziel ist auch im Grundgesetz an vielen Stellen verankert. Aus der Friedensfinalität des Grundgesetzes und dem herrschenden gesellschaftlichen Meinungsbild leiten wir unsere Forderung nach einer allgemeinen Zivilklausel im Hochschulgesetz ab.
Flankiert werden soll diese Selbstverpflichtung mit einer strikten Transparenzpflicht auch für Drittmittelströme. Auch das ist in der Kombination wichtig, und auch das wollen wir im neuen Hochschulgesetz verankern. Forschungsthema, Fördervolumen und Geldgeber von Drittmittelprojekten müssen öffentlich gemacht werden, auch wenn die Hochschulen das nicht immer so gerne wollen. Die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber haben ein Recht darauf zu erfahren, auf welchen Gebieten die öffentlich finanzierten Hochschulen tätig sind; das gilt auch für Drittmittelprojekte. Insofern können wir im Hochschulgesetz einen klaren Auftrag festlegen, der die Gewissensfreiheit von Forscherinnen und Forschern respektiert, aber die Verantwortung mit der Auftragsforschung gleichermaßen großschreibt.
Die Ausgestaltung des Friedens- und des Nachhaltigkeitsauftrags überlassen wir der Autonomie der Hochschulen, Herr Berger. Die in der Tat bestehende Problematik, dass es eine Grauzone gibt, die sogenannte Dual-Use-Problematik, in der Forschungsergebnisse sowohl zu zivilen als auch militärischen Zwecken genutzt werden können, muss dann im konkreten Fall diskutiert werden. Hier gibt es keine Patentlösung. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Hochschulen festlegen werden, dass solche Diskussionen auch künftig im Senat geführt und dort entschieden werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Diskussion wirft eigentlich noch weitergehende Fragen auf. In den letzten Jahren haben wir verschiedentlich Diskussionen über die Finanzierung von Drittmittelprojekten und Tätigkeiten von Stiftungsprofessuren geführt. Unter dem Strich sind wir uns doch alle einig, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht durch unzulässige Einflussnahme privater Förderer beeinträchtigt werden darf – weder bei der Besetzung der Stellen noch bei der Auswahl von Forschungsthemen oder Lehrangeboten, noch bei der Entscheidung darüber, was veröffentlicht werden soll. Darüber haben wir im Ausschuss ausführlich diskutiert, und auch der Stifterverband hat sich mit diesem Thema beschäftigt.
Unabhängigkeit, Freiheit von Forschung und Lehre, Transparenz, Schriftform und Verzicht auf Beeinflussung – das sind die Kriterien der Empfehlung des Stifterverbandes bezüglich der Einrichtung von Stiftungsprofessuren durch private Förderer. Dies gilt es an allen Hochschulen nach gleichen Standards umzusetzen, damit die Wissenschaftsfreiheit auch an dieser Stelle nicht beeinträchtigt wird.
Im Übrigen – das möchte ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen – hat auch der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2011 dazu Stellung bezogen. Unter anderem hat er sehr deutlich gemacht, die Grenze des Zulässigen werde überschritten, wenn die Stifter derart weitreichenden Einfluss auf Forschung und Lehre nehmen könnten, dass sich die Tätigkeit der Stiftungsprofessur einer Auftragsforschung zugunsten der Stifter annähere. Eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit müsse insbesondere dann befürchtet werden, wenn die Stifter von Anfang an entscheidenden Einfluss auf die Einrichtung der Professur hätten.
Und wenn Sie jetzt wieder – das haben Sie ja eben gemacht, Herr Berger – mit Ihrer notorischen Klage über die Unterfinanzierung der Hochschulen um die Ecke kommen – auch Frau Freimuth macht das wahrscheinlich gleich –, dann kann ich nur sagen: Es ist mitnichten so, dass unsere Hochschulen auf diese Drittmittel, von denen in diesem Beitrag die Rede war, existenziell angewiesen sind. 10 Millionen US-Dollar verteilt auf 22 Hochschulen und 13 Jahre, das sind nicht einmal 26.000 € pro Jahr und Hochschule.
Die Drittmittelfinanzierung ist für die NRW-Hochschulen in der Tat ein wichtiges Standbein. Aber – auch in Richtung Piraten – der Stifterverband, die DFG und das Statistische Bundesamt geben ja regelmäßig die Zahlen zum Anteil der Drittmittel an Hochschulen heraus. Für das Jahr 2011 können wir festhalten: Bezogen auf die gesamten Einnahmen der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen machen Drittmittel 27 % aus, jedoch stammt nur ein knappes Viertel der Drittmittel aus privaten Quellen. Das heißt, private Drittmittel machen rund 7 % der gesamten Hochschulmittel aus, die Hochschulmedizin eingeschlossen.
Dass das Land auch in finanzieller Hinsicht seiner Verantwortung gerecht wird, das haben wir bereits in der Haushaltsdebatte am Mittwoch ausführlich diskutiert. Der Gesamtetat im Wissenschaftsbereich – ich muss das eigentlich nicht ständig wiederholen – wächst in diesem Jahr auf fast 8 Milliarden €. Davon erhalten die Hochschulen über 4,8 Milliarden €, die Innovationsförderung in Höhe von knapp 730 Millionen € noch nicht eingerechnet. Über 1 Milliarde € kommt für die Medizin noch hinzu. Die Hochschulen haben zur Verbesserung von Studium und Lehre so viel Geld wie nie zuvor. Vor diesem Hintergrund kann also die Wissenschaftslandschaft in NRW auf das Geld des Pentagon gut verzichten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

2. Runde:

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Stichwort „Zivilklausel-Diktat“, Frau Freimuth, hat mich dazu bewegt, noch mal hier vorne in die Rede einzusteigen und etwas zu dem Thema „Zivilklausel“ zu sagen.
Die Frage, ob Forschung und Lehre an den Hochschulen auf friedliche Zwecke begrenzt werden soll, etwa mithilfe einer solchen Zivilklausel in der Grundordnung, wird zurzeit an sehr vielen Hochschulen diskutiert. Wir haben viele Einladungen der NRW-Hochschullandschaft bekommen, darüber zum Beispiel mit den Studierenden zu diskutieren. Und das ist nicht nur hier so, sondern das ist bundesweit so.
So verfügt bereits jetzt eine ganze Reihe von Hochschulen in Deutschland über Formulierungen in ihren Grundordnungen, die festschreiben, dass Forschung friedlichen Zwecken dienen soll. Ich nenne sie noch einmal: Das sind die Universitäten Konstanz und Tübingen. Die Hochschule Ulm verweist auf die im Leitbild festgeschriebene Haltung, dort entwickelte Technik solle sozialverträglich eingesetzt werden. Am Karlsruher Institute of Technology, dem KIT, muss zwischen dem nach wie vor mit einer Zivilklausel versehenen ehemaligen Forschungszentrum und dem Universitätsteil unterschieden werden. Und für letzteren hat der Senat am 12. Mai 2012 ethische Leitlinien beschlossen, zu denen auch eine Orientierung an friedlichen Zwecken gehört. Ebensolche finden sich in der Grundordnung der Universität Oldenburg, der Universität Rostock, der Universität Bremen und im Leitbild der TU Berlin.
Wozu also jetzt diese Aufregung darüber, Herr Hafke, was die Zivilklausel bei uns im Hochschulgesetz zu suchen habe? Der Wunsch, sich im Rahmen einer Leitbild-Diskussion an friedlichen Zwecken zu orientieren, ist offensichtlich an vielen Universitäten auch in Nordrhein-Westfalen vorhanden. Warum sollte sich dies in unserem Hochschulgesetz nicht widerspiegeln? Wettbewerb und marktorientiere Ansätze führen eben nicht allein zu mehr Nachhaltigkeit und Qualität an unseren Hochschulen.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zum Abschluss gerne ein Zitat der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer aus der Debatte in Baden-Württemberg vortragen, das meines Erachtens die Frage einer Zivilklausel entideologisiert und auch ins richtige Verhältnis setzt. Sie sagt:
Hinter der Zivilklausel „steckt ein Anliegen, dem man alle Sympathie entgegenbringen möchte, nämlich das Anliegen, dass man sich darüber bewusst werden und sich klarmachen sollte …, dass Forschung relevant ist, dass Forschung risikobehaftet ist und dass Forschung sicher nicht immer einfach nur für Dinge eingesetzt wird, die gesellschaftlich erwünscht sind.
Die Sensibilisierung in dieser Frage, was man mit Forschungsergebnissen machen kann, die Notwendigkeit, dass sich Forscherinnen und Forscher damit auseinandersetzen, dass eine Hochschule auch darüber diskutiert und dass eine Gesellschaft in die Lage versetzt wird, zu entscheiden, wie sie damit umgehen möchte, alle diese Fragen sind hoch legitim, und es ist in der Tat notwendig, sie zu stellen.“
Deshalb ist unser Weg in Nordrhein-Westfalen eben kein Forschungsverbot, sondern eine Friedensklausel, verbunden mit der strikten Transparenzpflicht für Drittmittelströme. Forschungsthema, Fördervolumen und Geldgeber von Drittmittelprojekten sollen künftig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ist richtig so. Ministerin Schulze hat das eben auch so ausgeführt. Wir werden diesen Weg mit dem neuen Hochschulgesetz gehen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)