Rede von Stefan Engstfeld zur konstituierenden Sitzung der Verfassungskommission am 19.11.13


Anrede,
meine Fraktion und ich sind sehr froh darüber, dass wir uns heute gemeinsam daran machen, unsere altbewährte Verfassung auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu überarbeiten. Denn seit dem Jahr 2005 haben wir GRÜNE uns für eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die unsere Verfassung überprüft. Nun nimmt diese Kommission am heutigen Tag ihre Arbeit auf und untersucht, ob unsere Verfassung noch den wachsenden Ansprüchen an die politisch-demokratische Kultur gerecht wird.
Dabei geht es uns zu keinem Zeitpunkt um zeitgeistigen Modernismus nach dem Motto …“Altes muss durch Neues ersetzt werden…“, ganz im Gegenteil.
Wir wissen sehr genau, was wir an unserer Verfassung haben und sind von ihrer Integrationskraft nach wie vor überzeugt. Bewährtes achten, aber Rechtsentwicklungen und neue, gesellschaftliche  Wertentscheidungen in Verfassungsrecht gießen. Das ist es, was wir wollen in dieser Kommission, damit unsere Verfassung auch in Zukunft von den Menschen in Nordrhein-Westfalen geachtet und angenommen wird, gestärkt wird, wie ein Organismus durch eine Vitaminkur.
Für uns GRÜNE ist es ein Kernanliegen, uns für Ausbau, Stärkung und Vereinfachung von Mitwirkungsmöglichkeiten an demokratischen Prozessen für die Zivilgesellschaft einzusetzen. Diese Haltung ist ein wesentlicher Teil unserer Geschichte. Wer bei dem Thema „demokratische Teilhabe“ auf Wahltermine verweist, ist aus der Zeit gefallen und meint es nicht ernst.
Denn der Ruf nach Transparenz von politischen Entscheidungen und der demokratischen Partizipation wird lauter, sodass auch die in der Verfassung vorgesehenen plebiszitären Instrumente dahingehend zu untersuchen sind, ob sie den Partizipationswünschen der Bevölkerung noch hinreichend Rechnung tragen.
Was wir nicht wollen: Bürgerschaftliches Engagement fordern, wenn es für das Funktionieren unseres  Zusammenlebens notwendig ist, es aber aus dem Politikbereich heraushalten, wenn es nach hinten losgeht.
Wir GRÜNE sind davon überzeugt, dass sich die Qualität der Teilhabemöglichkeiten auf der einen Seite und das politische Interesse sowie die Partizipationsbereitschaft auf der anderen Seite, gegenseitig bedingen.
Oder anders ausgedrückt:
Je vielfältiger und passgenauer die partizipatorischen Rechte desto interessierter und engagierter die Bürgerinnen und Bürger.
In diesem Zusammenhang interessieren uns GRÜNE besonders folgende Fragestellungen:

  • Ist das auf 18 Jahre festgesetzte Wahlalter zum aktiven und passiven Wahlrecht noch zeitgemäß?
  • Sind die bestehenden Zugangshürden für Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide herabzusetzen?
  • Gibt es verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, die politischen Partizipationsmöglichkeiten von bei uns in NRW lebenden Bürgerinnen und Bürgern aus der EU auf Landesebene auszubauen? Sprich: Ist es nicht Zeit für ein Wahlrecht dieser EU-BürgerInnen nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landesebene?
  • Und ist die Eidesformel, die die Mitglieder des Landtags beim Amtsantritt leisten, der Amtseid, ist dieser noch zeitgemäß, angesichts der Tatsache, dass in Nordrhein-Westfalen viele Menschen verschiedener ethnischer Herkunft leben, die sich beim aktuellen Amtseid ausgeschlossen fühlen?

Ich bin gespannt auf die Diskussion über diese Themen mit Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Sachverständige.
Ich möchte noch einen Satz zur Arbeitsweise hinzufügen. Wir haben uns in dem interfraktionellen Einsetzungsantrag darauf geeinigt, dass wir „überparteilich, konsensual und mit einem Höchstmaß an Transparenz“ agieren sollen.
Das heißt, wir wollen den üblichen politischen Streit außen vor lassen und uns gemeinsam, in aller Ernsthaftigkeit über notwendige Verfassungsänderungen verständigen.
Das wiederum kann nur gelingen, wenn wir uns ergebnisoffen an die Arbeit machen und uns gegenseitig die Chance geben, untereinander Vertrauen aufzubauen.
Das brauchen wir alle! Denn es wird nicht zu vermeiden sein, dass wir als Kommission, die mit so hochkarätigen Sachverständigen bestückt ist, im Einzelfall zu Ergebnissen gelangen, die mit dem einen oder dem anderen Wahlprogramm schwer in Einklang zu bringen sind und die an alten, liebgewonnenen Überzeugungen rütteln werden.
Und dann wird es richtig schwierig. Dann hat nämlich der eine oder die andere das „Vergnügen“, mit neuen Erkenntnissen belastet, für solche Ergebnisse im Kreise seiner lieben FraktionskollegInnen um Zustimmung werben zu müssen. Und wenn wir es ernst meinen mit der vor uns liegenden Aufgabe, wird es jeden von uns treffen.
In diesem Zusammenhang möchte ich unseren sachverständigen Mitgliedern zunächst ganz herzlich danken, weil sie sich mit uns Abgeordneten zusammen an die herausfordernde Arbeit machen. Ich freue mich dabei sehr, dass wir Prof. Dr. Christoph Gusy, Lehrstuhlinhaber für „Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte“ an der Universität Bielefeld, für die Mitarbeit gewinnen konnten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!
Gleichzeitig wünsche ich mir sehr, dass Sie, die Sachverständigen, auch untereinander gut harmonieren und regen Austausch pflegen. Denn Ihr gemeinsames Engagement könnte womöglich der Schlüssel für eine gelingende Arbeit sein und damit für einen Erfolg der gesamten Verfassungskommission, den ich mir und uns von Herzen wünsche.
Wir GRÜNE versprechen uns von der intensiven Befassung mit dem dritten Teil unserer Verfassung, der von den Organen und den Aufgaben des Landes handelt, einen echten Schub. Ja, ich verspreche mir eine Vitaminspritze für unser demokratisches System in Nordrhein-Westfalen.
Wir GRÜNE arbeiten ab heute in dem Bewusstsein der Tatsache und im Respekt vor unserer Landesverfassung, dass sie – jetzt 63 Jahre alt – eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines demokratischen Nordrhein-Westfalens gespielt hat. Sie hat mit dazu beigetragen, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie eine nordrhein-westfälische Identität entwickeln konnte. Wir wollen ab heute weiter daran arbeiten, dass das auch so bleibt.
Vielen Dank.

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