Dr. Ruth Seidl: „Unsere staatlichen Hochschulen sind aber keine Wirtschaftsunternehmen und können demnach auch nicht wie solche gesteuert werden.“

Gesetzentwurf der Piraten zur Wissenschaftsautonomie

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Berger, die beiden parlamentarischen Initiativen, über die wir heute reden, sind fast auf den Tag genau vor einem Jahr eingebracht worden. Ich finde, inzwischen ist die Zeit darüber hinweggegangen.
Ich will damit sagen, Herr Berger, dass spätestens in der Anhörung des Wissenschaftsausschusses am 7. Mai 2013 klargeworden ist, dass eine Weiterentwicklung und Modifizierung des Hochschulgesetzes auf der Grundlage der Eckpunkte, über die wir alle diskutiert haben, in vielen Punkten richtig und notwendig ist. Das brauchen wir heute gar nicht ideologisch auszutragen.
Wenn man sich die Hochschulgesetze in den verschiedenen Bundesländern ansieht – über die Parteigrenzen hinweg –, kann man feststellen, dass überall der Weg von der staatlichen Detailsteuerung hin zu einer größeren Eigenverantwortlichkeit der Hochschulen beschritten worden ist. Nordrhein-Westfalen stand dabei immer an der Spitze der Bewegung. Das hat der Kollege Schultheis eben noch einmal ausgeführt.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Das sagen Sie!)
Das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz ist allerdings deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Ich kann nur sagen: Der wirtschaftsliberale Geist, den dieses Gesetz atmet, hat dazu geführt, dass sich der Staat nicht nur aus der Detailsteuerung, sondern im Grunde fast vollständig aus seiner Verantwortung zurückgezogen hat.
(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Lächerlich!)
Unsere staatlichen Hochschulen sind aber keine Wirtschaftsunternehmen und können demnach auch nicht wie solche gesteuert werden. Es gibt auch verfassungsrechtliche Bedenken. Darauf hat insbesondere der Rechtswissenschaftler Prof. Löwer aus Bonn, der seitens der Opposition auch immer gern zitiert wird, in der Anhörung im Zusammenhang mit den derzeitigen Leitungsstrukturen an unseren Hochschulen verwiesen. Das knüpft genau an diesen Punkt an. Er sieht insbesondere einen Nachsteuerungsbedarf beim Hochschulrat und bei der hochschulorganisatorischen Willensbildung. Ich zitiere ihn an dieser Stelle gerne:
„Wir haben Nachsteuerungsbedarf bei der Unverantwortlichkeit des Hochschulrats. … Wir haben Nachsteuerungsbedarf in Bezug auf die Entscheidungskompetenzen.“
Die Kontrollkompetenzen von Senat und Fachbereichsräten müssten dagegen wieder gestärkt werden. Genau das wollen wir erreichen. Wir wollen die Hochschule als Ganzes stärken. Das heißt, die akademischen Gremien sollen bei zentralen Entscheidungen wie zum Beispiel der Wahl des Präsidiums und der Wahl des Rektors wieder maßgeblich beteiligt sein.
Die Hochschule funktioniert aus unserer Sicht nur als eine demokratische Gemeinschaft, in der die Freiheit von Wissenschaft und Forschung Vorrang hat. Da ich das in der Anhörung auch sehr gut fand, zitiere ich in diesem Zusammenhang Herrn Stelzer-Rothe vom Hochschullehrerbund. Er sagt:
„Die erlebbare und funktionierende Demokratie halte ich nicht für eine nette Zugabe, sondern für einen zentralen Gesichtspunkt. Wenn man ihn vernachlässigen würde, würde man die Idee der Universitäten und der Fachhochschulen mit Sicherheit bis zu einem gewissen Grade aufgeben.“
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn man einen mit demokratischen Rechten ausgestatteten Senat für überflüssig erklärt, wie das oft gemacht wird – Herr Berger, ich spreche Sie jetzt noch einmal an, weil Sie das häufig getan haben; auch der Begriff „Laberbude“ ist in der Debatte schon gefallen –, dann muss man logischerweise auch den Landtag und damit sich selbst infrage stellen; denn der Senat ist schließlich nichts anderes als das Parlament der Hochschule.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Die Stärkung der akademischen Gremien ist also ein wichtiger Punkt. Als Parlament und Haushaltsgesetzgeber wollen wir aber auch für die strategische Entwicklung dieser großen und bedeutenden Hochschullandschaft wieder Verantwortung übernehmen. Der Landtag soll messbare und überprüfbare Entwicklungsziele beschließen, die das Ministerium dann in einen Hochschulentwicklungsplan einarbeitet. Für diesen Vorschlag gibt es auch eine breite Zustimmung bei den Landesrektorenkonferenzen und bei den Kanzlerinnen und Kanzlern an unseren Hochschulen.
Zum Gesetzentwurf der Piraten kann ich nur sagen, dass wir die, wie ich mal sage, radikale Variante, also die Abschaffung des Hochschulorgans Hochschulrat, in dieser Form nicht mittragen können. Herr Paul, seine Aufgaben und Befugnisse sollen nach Ihrem Gesetzentwurf, der im Übrigen, wie man feststellt, wenn man sich ihn anschaut, fast identisch ist mit dem Gesetzentwurf der Linken aus der letzten Legislaturperiode, entweder dem Senat bzw. dem Ministerium zugewiesen werden, oder bestimmte Dinge sollen sogar ersatzlos wegfallen, was ich für sehr kritisch halte.
(Zuruf von der FDP: Total überraschend!)
Damit würde in vielen Fragen das Präsidium alleine entscheiden und müsste den Senat gar nicht mehr befragen. Damit würde aber auch die Aufsichtsratsfunktion des Hochschulrates gegenüber dem Präsidium wegfallen und ein wichtiges Korrektiv gegenüber der Hochschulleitung fehlen.
Insofern werden wir heute weder dem Gesetzentwurf der Piraten zustimmen können noch dem inzwischen deutlich überholten Antrag der Fraktionen der FDP und der CDU. – Ich bedanke mich fürs Zuhören.
(Beifall von den GRÜNEN)