Unsere Freiheit steht auf dem Spiel – Bundesregierung muss endlich ihre Untätigkeit im Überwachungsskandal beenden!

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I.
Seit Anfang Juni 2013 werden stetig neue Details über Programme verschiedener ausländischer Geheimdienste bekannt, mit denen weite Teile des Kommunikationsverhaltens der nordrhein-westfälische Bürgerinnen und Bürger anlass- und verdachtslos gesammelt werden. Der Landtag von Nordrhein- Westfalen hat sich mit diesem Sachverhalt bereits in seinen Sitzungen im Juni und Juli 2013 befasst und sich deutlich für den Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ausgesprochen.
Nachdem zunächst die Spähprogramme „Prism“ und „Tempora“ bekannt geworden sind, mit denen der gesamte Datenverkehr von E-Mails, Fotos über Chatnachrichten bis zu Telefongesprächen durch amerikanische und britische Geheimdienste abgefangen und durchsucht werden kann, ist nun Nordrhein-Westfalen auch direkt als Standort eines geheimen Spähprojekts betroffen.
Laut Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom 09.09.2013 wurde zwischen 2005 und 2010 von der Central Intelligence Agency (CIA) und Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst das „Projekt 6“ in Neuss durchgeführt. Bei diesem Projekt handelt es sich um eine Datenbank "PX", in die Informationen von mutmaßlichen Dschihadisten und Terrorunterstützern eingegeben wurden. Weitere Angaben hat die Bundesregierung bisher verweigert. Die Bundesregierung muss Stellung dazu beziehen, ob die Berichterstattung über das Projekt 6 richtig ist, welchem Zweck das Projekt diente und auf welcher Rechtsgrundlage es durchgeführt wurde.
Die aktuelle Diskussion über die Überwachungsprogramme führt zu einem deutlichen Vertrauensverlust der deutschen Bevölkerung in die Chancen der Digitalisierung. Wenn sich dieser Vertrauensverlust ausweiten sollte, hätte dies verheerende Folgen für die digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.
Sowohl die Enthüllungen im Zusammenhang mit Projekt 6, als auch die neuen Erkenntnisse über die Fähigkeiten der Geheimdienste, SSL und andere Verschlüsselungstechnologien zu überwinden, zeigen den Handlungsbedarf deutlich auf. Die Bundesregierung hat die Affäre schon mehrfach für abgeschlossen erklärt, sowohl in Person des Geheimdienstkoordinators im Bundeskanzleramt, Ronald Pofalla, als auch des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich. Nur durch großes Drängen und Nachfragen werden stückweise Informationen zum Abhörskandal offengelegt. Fragen des nordrhein-westfälischen Innenministers zum Projekt 6 werden nicht, oder nur unzureichend und inhaltslos beantwortet.
Die endlich erfolgte Einrichtung eines runden Tisches zum besseren Schutz der Privatsphäre kann allenfalls ein kleiner Anfang sein. Die Bundesregierung ist nicht dazu bereit, für Aufklärung des Skandals zu sorgen, ihren Schutzauftrag ernst zu nehmen und für einen ausreichenden Schutz der Privatsphäre und der Grundrechte der Bevölkerung in Deutschland zu sorgen. Stattdessen verweist die Bundesregierung auf die Verantwortung unserer Bürgerinnen und Bürger, sich selbst vor Datenausspähung zu schützen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 festgestellt: "Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss." Die Bundesregierung kommt diesem Auftrag in der NSA- Affäre nicht nach. Sie setzt damit die Freiheit der Menschen in Nordrhein- Westfalen aufs Spiel.

II.   Der Landtag stellt fest:

1.         Das Internet ist kein Neuland. Die Gestaltung des digitalen Wandels ist eine Aufgabe für alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure.
2.         Die seit Anfang Juni bekannt gewordenen Programme ausländischer Geheimdienste stellen eine flächendeckende und anlasslose Überwachung des Kommunikationsverhaltens der Bevölkerung in Nordrhein- Westfalen dar. Der Landtag sieht hierin eine Verletzung der Werteordnung des Grundgesetzes, der Verfassung des Landes und europäischer Grundrechtsverbürgungen.
3.         Die Bundesregierung hat seit Bekanntwerden der NSA- Affäre keinerlei Bereitschaft gezeigt, den Skandal aufzuklären, die Grundrechte gegenüber den internationalen Partnern durchzusetzen und damit die massenhafte Ausforschung der Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger faktisch akzeptiert.
4.         Durch ihre Untätigkeit gefährdet die Bundesregierung die Entwicklung der digitalen Wirtschaft in Nordrhein- Westfalen und Deutschland. Der Landtag sieht in der Vertraulichkeit und Sicherheit der Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen eine zentrale Bedingung für eine innovative und kreative digitale Wirtschaft.
5.         Nordrhein- Westfalen hat mit dem Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes wichtige Schritte zur Verwirklichung des Ziels, mehr Transparenz und demokratische Kontrolle zu gewährleisten, unternommen. Die gewählten Maßnahmen sollten Vorbild für eine Neuausrichtung der Nachrichtendienste auf Bundesebene sein.

III.  Der Landtag beschließt:

1.         Der Landtag fordert die Bundesregierung auf, endlich Klarheit über Art, Umfang und Rechtsgrundlage der Überwachungstätigkeit ausländischer Geheimdienste zu schaffen. Der Landtag verurteilt die anlasslose und praktisch vollständige Überwachung des Kommunikationsverhaltens der nordrhein-westfälische Bürgerinnen und im Rahmen dieser Programme. Der Landtag erneuert seine Forderung an die Bundesregierung, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um auf ein Ende der Überwachung hinzuwirken.
2.         Der Landtag fordert die Bundesregierung auf, statt die Verantwortung für die eigene Datensicherheit auf die Bürgerinnen und Bürger abzuschieben, endlich selbst aktiv zu werden und das illegale Datenausspähen durch ausländische Geheimdienste zu verhindern.
3.         Der Landtag fordert die Bundesregierung auf, gegenüber dem Landtag alle bekannten Details zum „Projekt 6“ offenzulegen sowie zu allen weiteren Tätigkeiten ausländischer Geheimdienste im Land Nordrhein- Westfalen.
4.         Der Landtag fordert die Bundesregierung auf, internationales Recht im Überwachungsskandal durchzusetzen. Der Landtag bekräftigt angesichts immer neuer Enthüllungen seinen Appell, in sämtlichen internationalen Abkommen, die den transatlantischen Datenaustausch regeln, auf die Einhaltung hoher Datenschutzstandards hinzuwirken.
5.         Der Landtag bekennt sich zum Ziel einer schlagkräftigen Europäischen Datenschutzreform und sichert seine Unterstützung bei ihrer Verwirklichung zu.
6.         Der Landtag begrüßt die Aktivitäten der Landesregierung zur Stärkung der Medien- und Datenschutzkompetenz. Er begrüßt darüber hinaus die Aktivitäten der Landesregierung zur Aufklärung der nordrhein- westfälischen Unternehmen bezüglich der Sicherheit ihrer Kommunikationsinfrastruktur. Der Landtag bittet die Landesregierung, einen umfassen- den Bericht über diese Programme vorzulegen und dabei insbesondere zu skizzieren, inwiefern Anpassungen in Folge der NSA- Affäre erforderlich  sind.
7.         Der Landtag unterstützt die fortlaufende Überprüfung der landeseigenen IT- und Kommunikationsinfrastruktur. Der Landtag bittet die Landesregierung, dem Landtag hierüber regelmäßig Bericht zu erstatten.