Sigrid Beer: „Ich betone: Ja, ökonomische Bildung und ökonomische Kompetenzen sind ganz wichtig, aber sie müssen sozialwissenschaftlich in einen gesellschaftlichen Diskurs eingebettet werden.“

Antrag der FDP zum Schulfach Wirtschaft

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Gebauer – meine Kollegin Spanier-Oppermann hat es schon einmal gesagt –, das ist ein Antrag zum verfehlten Zeitpunkt. Zurzeit läuft nämlich der Modellversuch noch, und ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass bei Übernahme der rot-grünen Regierung eben dieser Modellversuch weiterlaufen konnte, dass er sogar verlängert worden ist. Das ist ein etwas anderes Umgehen mit Initiativen gewesen, als wir das zum Beispiel mit dem naturwissenschaftlichen integrierten Unterricht unter Schwarz-Gelb erlebt haben, der bei der damaligen Regierungsübernahme von Schwarz-Gelb einfach so aus der Landschaft gefegt wurde.
Nun läuft dieser Modellversuch ein Jahr länger. Und ich bitte sehr darum, dass wir zuerst einmal den Bericht abwarten und ihn dann miteinander im Ausschuss diskutieren.
Frau Gebauer, wir haben ja bereits eine Anhörung zum Thema „Lebens­gestaltungskompetenzen“ in den Bereichen Gesundheit, Verbraucherbildung und Nachhaltigkeit vereinbart, um soziale und ökologische und ökonomische Dimensionen des Lernens auch in der Schule zu diskutieren. Packen Sie Ihren Antrag doch mit dazu, damit wir das gemeinsam besprechen können. Dann können wir den Fragen, die ich gleich formulieren werde, gemeinsam nachgehen.
Ich kenne diese Diskussion um ein eigenständiges Fach Wirtschaft schon seit Jahren. Das ist gar nicht neu. Herr Kaminski geht damit wohl schon 15 Jahre durch die Landschaft. Ich finde es ganz interessant, dass die Wirtschaftsdidaktiker und Wirtschaftswissenschaftlerinnen insgesamt ihre Lehrstühle damit ganz gern noch weiter aufbauen wollen. Das hat durchaus ein Eigeninteresse. Die Argumentationslinien sind immer die gleichen, die füttern sich gegenseitig an. Das würde ich gerne mal hinterfragen; denn die Konzepte sind nicht viel anders geworden. Dass der Ansatz, Dinge rein nach Rationalitäts- und Effizienzgesichtspunkten zu untersuchen, noch State of the Art ist, möchte ich ganz klar infrage stellen.
Ich möchte auch die Praxis infrage stellen, die in den Realschulen nach den Rückmeldungen, die ich erhalten habe, gang und gäbe ist. Danach nämlich geht das Fach Wirtschaft zulasten der politischen Bildung, vorrangig der Ergänzungsstunden. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Das geht überhaupt nicht.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben unter Schwarz-Gelb ja erlebt, dass das Thema „Politikunterricht“ einen sehr starken wirtschaftslastigen Einschlag bekommen hat. Und wir haben hier im Landtag auch schon gemeinsam festgestellt, dass wir politische Bildung stärken müssen und nicht schwächen dürfen. Da müssen wir, glaube ich, noch mal sehr genau hingucken. Insgesamt nimmt es Stundenanteile aus dem sozialwissenschaftlichen und dem gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht heraus, und das mit einem sehr einseitigen Blick auf Gesellschaft. Wir müssen darüber reden, ob dies miteinander verträglich ist.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich betone: Ja, ökonomische Bildung und ökonomische Kompetenzen sind ganz wichtig, aber sie müssen sozialwissenschaftlich in einen gesellschaftlichen Diskurs eingebettet werden,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
der dann auch entsprechend dargestellt wird – multiperspektivisch und nicht eindimensional.
Das zeigt sich leider auch bei den Papieren, die die Lehrstühle zur Unterstützung dieses Modellvorhabens vorgestellt haben. Gleiches gilt für das, was wir seit Jahren aus der einschlägigen Literatur vorgestellt bekommen.
Wir müssen uns auch verantwortlich Gedanken darüber machen, ob wir eine weitere Atomisierung der Sekundarstufe I mit immer mehr Fächern wollen. Warum soll es dann gerade das Fach Wirtschaft sein, warum nicht das Fach Gesundheit, warum nicht ein eigenständiges Fach Verbraucherbildung? Das ist miteinander zu diskutieren. Da gibt es keine höhere Wertigkeit des Fachs Wirtschaft innerhalb der Sekundarstufe I.
(Dietmar Brockes [FDP]: Doch!)
– Herr Brockes, Sie haben da vielleicht Nachholbedarf.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Man kann es multiperspektivisch anders anlegen und die Grundkompetenzen fördern. Herr Brockes, wir wollen eben kein FDP-Fach. Das können wir mit diesem Wirtschaftsverständnis nicht gebrauchen. Es muss breiter aufgestellt sein.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Von daher sind viele Fragen an die Konstruktion, an die Rückmeldungen und an das Curriculum zu stellen, das zugrunde gelegen hat. Auch die einschlägigen Eigeninteressen aus dem Bereich Wirtschaft bzw. Wirtschaftswissenschaften sind zu prüfen. Welche Interessen bestehen bei der Beförderung dieses Fachs? Wenn damit allein das Bild der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft transportiert würde, würde mir das nicht ausreichen.
Aber das würde ich ganz gerne noch untersuchen. Deswegen hätte dieser Antrag einen guten Platz im Rahmen einer Anhörung. Dann können wir das miteinander diskutieren. Ich bin ganz gespannt auf den Bericht und die Auswertung. Diese möchte ich dann gerne sehr genau untersuchen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mehr zum Thema

Schule, Wirtschaft