Arif Ünal: „Gerade die Zweiteilung unseres Krankenversicherungssystems in Gesetzliche und Private führt nicht nur zur Gefährdung des Solidarausgleichs, sondern legt auch eine Grundlage für eine Zweiklassenmedizin.“

Antrag der FDP zum Erhalt des dualen Systems bei der Krankenversicherung

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die FDP will mit diesem Antrag an der überkommenen Aufspaltung unseres Gesundheitssystems, das sich in ein gesetzliches Gesundheitssystem für 90 % der Bevölkerung und in ein Versicherungssystem für nur 10 % der Bevölkerung aufspaltet, weiter festhalten. Dann werden alle Ungerechtigkeiten beibehalten.
Gerade die Zweiteilung unseres Krankenversicherungssystems in GKV und PKV führt nicht nur zur Gefährdung des Solidarausgleichs, sondern legt auch eine Grundlage für eine Zweiklassenmedizin. Allzu oft sind die Zeiten des Wartens auf einen Arzttermin und die Therapieentscheidungen in Arztpraxen und Krankenhäusern von der Art des Krankenversicherungsschutzes der Patienten abhängig und nicht von ihren Diagnosen oder ihrem Behandlungsbedarf. Über-, Unter- und Fehlversorgung der Patientinnen und Patienten sind vielfach die Folge.
Gerade das Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, das wir auch in der Bürgerversicherung zugrunde legen, gewährleistet den Zugang zur medizinisch notwendigen Gesundheitsversorgung auch für Geringverdienende in der Phase der Arbeitslosigkeit, der Pflege Familienangehöriger oder der Kindererziehung.
Mit dieser Bürgerversicherung wollen wir die Zweiklassenmedizin beenden, eine solide und nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens und auch mehr Beitragsgerechtigkeit schaffen. Hierzu gehört auch die paritätische Finanzierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern.
Es stimmt nicht, wie im FDP-Antrag behauptet wird, dass die Bürgerversicherung eine verpflichtende Einheitskasse werden soll. Dies ist völlig falsch. Denn das Bürgerversicherungsmodell von Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, dass die Bürgerversicherung auch durch die privaten Krankenversicherungsunternehmen angeboten werden kann. Somit könnten die privaten Kassen im Prinzip erhalten bleiben, müssten sich aber auf die Bedingungen der Bürgerversicherung ausrichten, also solidarisch finanziert werden und auch die Arbeitgeber miteinbeziehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Paul zulassen?
Arif Ünal (GRÜNE): Ja, natürlich. Bitte schön.
Daniel Düngel (PIRATEN): Ich habe eine Zwischenfrage, sitze aber auf dem Platz von Herrn Dr. Paul. Ich entschuldige mich vielmals dafür.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Vizepräsident, ich möchte nur darauf hinweisen, dass man bei Zwischenfragen möglichst auf dem eigenen Platz sitzen sollte, weil es für die Präsidentin und die Vizepräsidenten etwas schwierig ist, die Zwischenfrager, wenn andere Namen aufleuchten, gleichzeitig mit richtigem Namen anzusprechen.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Ich kenne das Problem!)
Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege. Herr Abgeordneter, bitte schön.
Daniel Düngel (PIRATEN): Ich möchte mich vielfach bei meinem Ersten Vizepräsidenten dafür entschuldigen.
Herr Kollege Ünal, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Jetzt hätte ich beinahe vergessen, was ich überhaupt fragen wollte. – Sie sagten gerade, das Bürgerversicherungsmodell von Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, dass auch die PKV diese quasi – wie ich sagen möchte – Einheitsversicherung anbieten kann. Können Sie kurz erläutern, wie das finanziert werden soll? Soll das umlagefinanziert sein, oder soll alles gleich finanziert werden? Vielleicht können Sie dazu zwei oder drei Sätze sagen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, bitte schön.
Arif Ünal (GRÜNE): Die Finanzierung der Bürgerversicherung ist durch die Einkommensabhängigkeit gesichert. Wir beziehen auch die anderen Einkommen ein, nicht nur die lohnabhängigen Einkommen der Bürgerinnen und Bürger. Dadurch ist eine solide Finanzierung unseres Gesundheitssystems sichergestellt.
Die Aufteilung ist so, dass die privaten Krankenkassen unter den Bedingungen der Bürgerversicherung die gleichen Angebote machen und zusätzlich andere Leistungen anbieten können. So gesehen ist es nicht, wie behauptet wird, ein einheitliches Krankenversicherungssystem, sondern beide Systeme können auch miteinander konkurrieren, aber unter gleichen Bedingungen. Das ist unser Bürgerversicherungssystem.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar von Frau Kollegin Schneider, die auf dem Platz von Frau Freimuth sitzt.
Arif Ünal (GRÜNE): Ja, natürlich, bitte schön.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
 Susanne Schneider (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Ünal, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Bisher habe ich in Ihrem Beitrag vermisst – und ich glaube, er ist auch nicht mehr so lang – die Antwort auf die Frage: Wo sollen diese 46.000 Menschen arbeiten, die bis jetzt mittelbar oder unmittelbar in der PKV beschäftigt sind? Sie wissen sicherlich, dass diese Beschäftigten völlig unterschiedliche Ausbildungen haben. Was empfehlen Sie denen dann?
Arif Ünal (GRÜNE): Ich komme jetzt ohnehin auf diesen Punkt zu sprechen. Ich habe Ihren Antrag sehr gut studiert und alle Punkte aufgearbeitet.
Wir sehen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute in der privaten Krankenversicherung tätig sind, auch nach der Einführung der Bürgerversicherung eine gute berufliche Chance und Perspektive.
Es gibt übrigens keinen zwingenden Grund für einen Stellenabbau in der privaten Versicherungswirtschaft, wie im Antrag der FDP-Fraktion behauptet wird. Allerdings ist es richtig, dass vor allem die private Krankenversicherung unter Veränderungsdruck steht. Zu hinterfragen ist dabei, ob es in unserem Gesundheitssystem sinnvoll sein kann, dass drei Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der privaten Krankenversicherung nur damit beschäftigt sind, Abrechnungen zu kontrollieren und neue Kunden zu akquirieren, und nur ein geringer Teil, nämlich ein Drittel der Beschäftigten, die Gesundheitsversorgung ihrer Mitglieder sicherstellt.
Meine Damen und Herren, die Überwindung der Aufspaltung des Krankenversicherungssystems wird schon seit geraumer Zeit von vielen Seiten gefordert. Längst wird von einigen Sachverständigen auch die Zukunftsfähigkeit des heutigen Systems der PKV infrage gestellt.
Umfragen zeigen auf, dass ein Drittel der PKV-Versicherten aufgrund der wachsenden Probleme in der PKV liebend gerne in eine gesetzliche Krankenversicherung wechseln würden.
Auch in der Ärzteschaft gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Aus dem 7. MLP Gesundheitsreport, den Sie sicherlich gelesen haben, geht hervor, dass nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung für die Bürgerversicherung ist, sondern dass auch 51 % der Ärztinnen und Ärzte für diese Idee der Bürgerversicherung Sympathie haben.
Von der Aufspaltung des Gesundheitssystems in gesetzliche Krankenversicherung und private Krankenversicherung profitieren besonders, wie ich glaube, nur die Fachärztinnen und Fachärzte.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Arif Ünal (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – Von den Hausärzten sprechen sich demgegenüber 50 % für die Bürgerversicherung aus, 44 % sind dagegen. Noch größer ist die Zustimmung bei den Klinikärzten. 57 % der Klinikärzte sind für die Bürgerversicherung, nur 34 % sind für die private Versicherung.
Das zeigt wohl, dass der Deutsche Ärztetag mit seiner Kampagne gegen die Bürgerversicherung nicht die Mehrheitsmeinung der Medizinerinnen und Mediziner in dieser Frage vertritt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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