Bundesregierung muss die deutschen Seehafen-Hinterlandanbindungen der ZARA- Häfen im bundesweiten Interesse gezielt ausbauen und Engpassstellen beheben

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN

I. Ausgangslage

Deutschland mit seiner international orientierten Wirtschaft ist immer stärker auf eine gute Seehafen-Hinterlandanbindung angewiesen. Im Rahmen der wachsenden Globalisierung und der größeren wirtschaftlichen Interdependenzen steigt auch das Volumen des Seefrachtverkehrs immer weiter an. Der daraus resultierende Anstieg im Seehafen- Hinterlandverkehr kann nur von einer effizienten, leistungsfähigen und klimaschonenden Verkehrsinfrastruktur bewerkstelligt werden.
Das Land Nordrhein-Westfalen ist sowohl als Ziel- und Quell- als auch als Transitland in ganz besonderem Maße von diesem Verkehrszuwachs betroffen. Insbesondere der wachsende Seehafen-Hinterlandverkehr der Überseehäfen Zeebrügge, Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen (ZARA-Häfen) stellt das Land vor besondere Herausforderungen. Der Gesamtgüterumschlag der ZARA-Häfen lag 2012 mit rund 763 Mio. Tonnen über dreimal und der Containerumschlag mit 21,7 zu 14,9 Mio. TEU anderthalb Mal so hoch wie der der deutschen Universalhäfen (Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven). Für mehr als ein Drittel des Containerumschlags der ZARA-Häfen ist Deutschland Ziel- oder Transitland. Diese Entwicklung wird sich nicht nur verstetigen, sondern verstärken. Selbst bei konservativer Kalkulation wird der Güterverkehr insgesamt und vor allem aus derjenigen, der die ZARA-Häfen als Quelle oder Ziel hat bis 2025 in Nordrhein-Westfalen um ein Viertel steigen.
Derzeit erreichen Nordrhein-Westfalen 183 Mio. t Güter, davon ca. 124 Mio. t als Ziel aus den ZARA-Häfen. Sie haben für den Güterumschlag von und nach Nordrhein-Westfalen einen Marktanteil von deutlich über 90 %. Ein Großteil dieser Waren wird über die nordrhein-westfälischen Straßen, Wasserstraßen und Schienen transportiert. Den Weitertransport der
Container insbesondere mit dem Binnenschiff und auch auf der Schiene vereinbart der Hafen Rotterdam mit den dort tätigen Logistikunternehmen. In diesen Vereinbarungen ist festgelegt, mit welchen Verkehrsträgern wie viele Güter vom und zum Hafen gebracht werden. Der Anteil des LKW-Verkehrs soll bis zum Jahr 2030 auf nur noch 35 % sinken, während der Anteil der Schiene und des Binnenschiffs auf 20 % beziehungsweise 45 % steigen wird. Der Hafen Antwerpen wird dem Beispiel folgen und plant, den Anteil der Straße bis 2030 sogar auf 30 % zu senken, den Anteil der Schiene und der Wasserstraße dagegen auf 20 % bzw. 50 % zu steigern. Dies hat für das Land Nordrhein-Westfalen unmittelbare Folgen, die Entwicklung der Verkehrsinfrastrukturen ist hier vor besondere Aufgaben gestellt.
Besonders der Güterzugverkehr passiert Nordrhein-Westfalen über die europäischen Güterverkehrskorridore 1 (Zeebrügge-Antwerpen-Rotterdam-Duisburg-Basel-Mailand- Genua) und 8 (Bremerhaven-Rotterdam-Antwerpen-Aachen-Berlin-Warschau-Therespol- Grenze Polen-Belarus-Kaunas). Alleine 2011 wurde auf diesem Wege eine Gütermenge von mehr als 154 Mio. Tonnen durch Nordrhein-Westfalen transportiert, davon alleine über den Knoten Köln mehr als 600.000 Tonnen (vgl. BT-Drs. 17/11994), wobei ein großer Teil dieser Güter aus den ZARA-Häfen stammt bzw. für diese bestimmt ist. Dabei treten dort bereits heute gravierende Probleme auf. Entlang der gesamten Rheinschiene, beginnend an der deutsch-niederländischen bzw. der deutsch-belgischen Grenze bis nach Süddeutschland, geht es heute um nichts anderes als die Aufrechterhaltung der derzeitigen Netzqualität, da zahlreiche Trassen durch den stetig wachsenden Hafenhinterlandverkehr bis an ihre Kapazitätsgrenze ausgelastet sind und absehbar an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. Dies ist auch für den Schienenpersonennahverkehr bedeutend, da nach der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zur „Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr“ auf den genannten Güterverkehrshaupttrassen der Pünktlichkeit und dem diskriminierungsfreien und leistungsfähigen Ablauf des Güterverkehrs eine hohe Bedeutung beigemessen wird.
Diese Zahl wird sich zukünftig aufgrund der massiven Ausbaupläne der ZARA-Häfen weiter erhöhen. So rechnen die Hafenbetreiber damit, dass sich unter anderem der Containerverkehr über Nordrhein-Westfalen bald verdoppelt – eine Annahme, die auch von unabhängigen Experten bestätigt wird. Im Vergleich zum Jahr 2011 ist mit einem Anstieg der Zugfrequenz um 17,2 % pro Streckenabschnitt und Tag zu rechnen. Alleine der Hafen von Antwerpen plant mittelfristig mit einem Anstieg von 30 % beim Güterzugverkehr ins Hinterland. Dies entspricht einer Frequenz von 470 Zügen pro Tag. Der Hafen von Amsterdam rechnet demnächst mit einer Frequenz von mehr als 150 Zügen pro Tag auf der Betuwe-Route, 2009 waren es noch 175 Züge in der Woche.
Nordrhein-Westfalens Infrastruktur stößt damit an ihre Grenzen. Schon heute weist das Schienennetz Nordrhein-Westfalens nach einer Studie von Professor Karl-Hans Hartwig von der Universität Münster im Auftrag des Verkehrsverbandes Westfalen 24 überlastete Streckenabschnitte auf. Rund 50 Streckenabschnitte operieren nahe an der Kapazitätsgrenze. Eine Zahl, die sich bis zum Jahr 2025 auf 80 erhöhen kann. Eine Studie von Michael Holzhey für das Umweltbundesamt für eine „Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr“ kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Engpässe gefährden die Klimaschutzziele Deutschlands, da bis zum Zeitraum 2025/30 das Güterverkehrsnetz 213 Mrd. tkm bewältigen müsste. Dies wären 122 % mehr als im Jahr 2009. Neben operativen Maßnahmen sind auch viele kleine Ausbaumaßnahmen erforderlich, um Engpassprobleme an den Knoten und so genannten Flaschenhälsen zu beseitigen. Hinzu kommen Infrastruktur- beziehungsweise Kapazitätsbeeinträchtigungen wie beispielsweise Eingleisigkeit, minderwertige Streckenstandards, hohe Verkehrsaufkommen auf einzelnen Trassen und der gemischte Verkehr von Güter- und Personenzügen. Dies hat negativen Folgen für den Güterverkehr in ganz Deutschland.
Beide Studien kommen zu der Empfehlung, dass über die Betuwe-Linie und den Knoten Köln hinaus die Engpässe an den Strecken Venlo-Kaldenkirchen und Hagen-Gießen aufzulösen sind. Insbesondere die Strecke Venlo-Kaldenkirchen ist geeignet, entlastende Wirkung zu entfalten.
Der Bundesverkehrswegeplan und der Bedarfsplan für die Bundesschienenwege spiegeln nicht den Bedarf der Infrastruktur entlang der beiden Güterverkehrskorridore wider. Die Verkehrsplanung muss die deutschen Nordseehäfen und die expandierenden Häfen in den Beneluxländern zusammen berücksichtigen. Um die notwendigen Kapazitäten für den Güterverkehr zwischen Seehäfen und Hinterland zu schaffen, muss das Bestandsnetz in den betroffenen Regionen gezielt ausgebaut und um einzelne Neubautrassen erweitert werden.

II. Der Landtag stellt fest,

  1. dass die Verkehrswegeplanung entsprechend der Potenziale der Verkehrsträger hinsichtlich ihrer ökonomischen und ökologischen Effizienz zu betreiben ist.
  2. dass die zukünftige Verkehrsplanung der Bundesregierung perspektivisch über die Landesgrenzen hinaus die deutschen Nordseehäfen und die expandierenden ZARA- Häfen hinsichtlich der durch sie hervorgerufenen Anforderungen an die jeweiligen Hinterlandanbindungen berücksichtigen muss.
  3. dass der baldige Ausbau der Betuwe-Linie auf deutscher Seite und die schnelle Realisierung einer direkten Schienenverbindung nach Antwerpen, dem sog. „Eisernen Rhein“, erhebliche verkehrs- und wirtschaftspolitische Bedeutung für Nordrhein- Westfalen und weiterhin für ganz Deutschland hat.
  4. dass der zu erwartende Anstieg der Seehafen-Hinterlandverkehre der ZARA-Häfen nur bewältigt werden kann, wenn erhebliche Investitionen in die Bundesverkehrswege in Nordrhein-Westfalen erfolgen.
  5. dass weder im Bundesverkehrswegeplan noch im Bedarfsplan für die Bundesschienenwege die Seehafen-Hinterlandverkehre, die die ZARA-Häfen in Nordrhein-Westfalen verursachen, hinreichend berücksichtigt werden.
  6. dass Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn, vor allem den Benelux-Staaten, im Bereich der Güterverkehrsinfrastruktur erheblichen Nachholbedarf haben.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die Bundesregierung mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Infrastruktur der Bundesverkehrswege in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Bereich des Güterzugverkehrs, erheblichen Nachholbedarf aufweist. Deren Defizite wirken sich nicht nur zu Lasten des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern auch zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland insgesamt aus.
  2. darauf hinzuwirken, dass die durch die Seehafen-Hinterlandverkehre der ZARA-Häfen verursachten besonderen Bedarfslagen des Landes Nordrhein-Westfalen im neuen Bundesverkehrswegeplan adäquat berücksichtigt werden.
  3. auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die standortpolitisch besonders bedeutenden Verkehrsinfrastrukturprojekte in NRW vorrangig umgesetzt werden. Das gilt insbesondere beim Schienengüterverkehr für den Ausbau der BETUWE-Linie, die Realisierung eines neuen „Eisernen Rheins“ und die Beseitigung der Engpassprobleme.
  4. gegenüber dem Bund darauf zu dringen, bei der Betrachtung der vorhandenen Engpässe im Bereich der deutschen Hinterlandanbindungen der ZARA-Häfen auch die weiteren Defizite der europäischen Güterverkehrsstrecken durch Nordrhein-Westfalen mit in den Blick zu nehmen.
  5. den Bund an seine Verantwortung für die Finanzierung der Schieneninfrastruktur zu erinnern und die benötigten Mittel einzufordern.
  6. auf Bundesebene auf die Herstellung eines angemessenen Lärmschutzes für die Bürgerinnen und Bürger an Neu- und Ausbaustrecken hinzuwirken und die Lärmwerte für Neu- und Ausbaustrecken schrittweise auf Altstrecken zu übertragen und die Lärmschutzmittel von 100 Mio. auf 200 Mio. Euro pro Jahr zu erhöhen.
  7. gegenüber dem Bund darauf dringen, dass die Bürgerinnen und Bürger sowie die betroffenen Gebietskörperschaften frühzeitig und vollständig in die Planungen einbezogen und über die Ergebnisse der Planungen informiert werden.
  8. sich dafür einzusetzen, die Erträge der Deutschen Bahn solange komplett in die Schieneninfrastruktur zu investieren, bis die Defizite abgearbeitet sind.