Arndt Klocke: „‚Ein Tempolimit von 130 oder 120 auf deutschen Autobahnen wäre eine deutliche Verbesserung für die Verkehrssicherheit, für den Verkehrsfluss und für den Lärmschutz.'“

Aktuelle Stunde auf Antrag der FDP zu Tempolimits auf Autobahnen

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe FDP-Fraktion, man muss beim Blick auf Ihren Antrag klar sagen: Thema verfehlt! Warum sollte sich der Landtag in einer Aktuellen Stunde mit parteistrategischen Diskussionen der SPD auf Bundesebene beschäftigen?
Die Frage nach dem Tempolimit ist eine bundespolitische Frage; das ist eine Angelegenheit der Straßenverkehrsordnung. Dass sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen sich heute zur Prime Time, zur besten Debattenzeit mit diesem Thema beschäftigen muss, ist eine reine Wahlkampffrage.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Es geht darum, hier ein Thema aufzuziehen und Stimmung zu machen. Das ist nichts mehr als Wahlkampf; denn das Thema an sich gibt überhaupt nichts her.
Wenn ich den FDP-Antrag durchlese, erkenne ich den Versuch, wieder einmal am Freitag in die „heute-show“ zu kommen. Ich zitiere: Die deutschen Autobahnen sind die sichersten Straßen Deutschlands, und die deutschen Autobahnen sind auch die sichersten Autobahnen auf der ganzen Welt. – Tusch! Das klingt wie eine Karnevalsrede.
Es erinnert mich außerdem – wir wollen jetzt wieder sachlich werden – an Aussagen der FDP zum Thema „Kernkraft“ vor Fukushima, in denen es hieß: Die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt.
(Zuruf von der FDP: Sind sie ja!)
Was steckt denn hinter dieser Aussage? Schauen Sie sich, lieber Herr Lindner und lieber Herr Rasche, die Zahlen einmal ganz konkret an; ich zitiere jetzt aus dem Statistischen Jahrbuch: Knapp 50 % der schweren Unfälle auf deutschen Straßen passieren auf den Autobahnen. Davon sind 42 % sogenannte Geschwindigkeitsunfälle. 70 % der tödlichen Unfälle ereignen sich auf Autobahnabschnitten, die keine Geschwindigkeitsbegrenzung haben.
(Zuruf von den GRÜNEN: Aha!)
Das sind doch eindeutige Zahlen, die belegen, dass auf Strecken – auch auf Autobahnen –, wo es eine begrenzte Geschwindigkeit gibt, die Zahl der Unfälle – insbesondere die schweren Unfälle – ganz klar zurückgeht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
15 % der deutschen Verkehrsopfer sterben auf deutschen Autobahnen. Um einmal Zahlen aus dem Jahr 2012 zu nennen: Auf deutschen Autobahnen hatten wir 441 Getötete auf Streckenabschnitten ohne Tempolimit. Von diesen Getöteten sind 220 deswegen ums Leben gekommen, weil sie mit nicht angepasster Geschwindigkeit auf einem Streckenabschnitt ohne Tempolimit gefahren sind. Zu sagen, die deutschen Straßen sind die sichersten der Welt und wir brauchen keine Temporeduzierung, weil sie sowieso nichts bewirken würde, ist faktisch einfach falsch. Die Zahlen – keine grünen Zahlen, sondern Zahlen des ADAC und Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch – sagen eindeutig etwas anderes.
(Beifall von den GRÜNEN)
In Nordrhein-Westfalen ist der Streckenabschnitt auf der A2 zwischen Gütersloh und Porta Westfalica ohne Tempolimit und ohne Lkw-Überholverbot. Hier fallen die meisten Unfälle in Nordrhein-Westfalen an, vor allen Dingen mit schweren Verletzungen und mit Todesfolge.
Zweiter Punkt des Antrags: Der ökologische Nutzen eines Tempolimits ist gering. Ich würde auch nicht sagen, der ökologische Nutzen ist das Hauptargument für ein Tempolimit. Die Hauptargumente für ein Tempolimit sind die Verkehrssicherheit, die Lärmreduzierung und der Verkehrsfluss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber, wenn wir ein Tempolimit hätten, würden – Quellen: Statistisches Bundesamt und Umweltbundesamt – 10 % der Gesamtemissionen im Verkehrsbereich wegfallen. Wenn man sich die CO2-Absenkung in Deutschland – Privathaushalte, Industrie – seit 1990 ansieht, gibt es einen Bereich, der überhaupt keine CO2-Absenkung gebracht hat: der gesamte Verkehrsbereich. Im Verkehrsbereich sind die Emissionen in den letzten 20 Jahren konstant gewesen. Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, die wir international vereinbart haben, muss der Verkehr einen Anteil bringen, und ein Tempolimit wäre ein Beitrag, wenn auch, zugegeben, kein großer Beitrag.
(Beifall von den GRÜNEN)
Kommen wir zum eigentlichen Thema. Das eigentliche Thema ist die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und ihre dringend notwendige Sanierung. Wenn wir das in den nächsten Jahren nicht angehen, fahren wir nicht 180, nicht 120, sondern vielleicht 30 und auf manchen Streckenabschnitten überhaupt nicht. An dieser Stelle, liebe FDP und liebe CDU, verweigern Sie jegliche Aussage.
(Christof Rasche [FDP]: Sie doch auch!)
Wir haben das im Ausschuss diskutiert. Es gab die Daehre-Kommission. Wir hatten den ehemaligen CDU-Verkehrsminister aus Sachsen-Anhalt im Ausschuss, der klar vorgetragen hat: Uns fehlen im Jahr 7,2 Milliarden €, um unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland aufrechtzuerhalten. – Danach wurde bei der Debatte im Ausschuss klar, weder CDU noch FDP haben irgendeine konkrete Vorstellung, wie wir die zusätzlichen Milliarden finanzieren wollen. Die Lkw-Maut wollen wir nicht, die schadet der Wirtschaft. Die Pkw-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Bürger nicht zumuten. Die City-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Einzelhandel nicht zumuten. Grundsätzliche Steuererhöhungen wollen wir nicht, grüne Steuererhöhungsorgien lehnen wir auch ab.
Sie bereiten eine echte Wahllüge vor. Denn Sie müssen den Leuten nach der Bundestagswahl sagen – wenn das passieren sollte, was wir alle nicht hoffen, dass Sie weiterregieren –, wie Sie diese Sanierungen finanzieren wollen. Dazu haben CDU und FDP überhaupt keine Vorstellung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist die eigentliche verkehrspolitische Debatte, die ansteht – da hat Minister Groschek eindeutig recht – und zu der Sie grundsätzlich jegliche Aussage verweigern.
(Christian Lindner [FDP]: Wir sind klarer als Sie!)
– Nein, wir sind da sehr klar. Wir haben all das im Programm. Lieber Herr Lindner, Sie haben doch das Programm gelesen und kritisieren es ständig.
(Zurufe von Christian Lindner [FDP] und Christof Rasche [FDP])
– Ich nehme die Zurufe gerne entgegen. Es scheint, ich habe einen wunden Punkt getroffen; das freut mich.
SPD und Grüne haben im Koalitionsvertrag sowohl 2010 als auch 2012 in dieser Frage eine sehr klare Festlegung getroffen. Wir machen auf Landesebene all das, was möglich ist. In Nordrhein-Westfalen sind 30 % der Streckenabschnitte auf Autobahnen temporeduziert. Es gibt eine Studie im Regierungsbezirk Arnsberg, die wir bezüglich der Fragen Sicherheit, Verkehrsfluss, Lärm und Abgasemissionen auswerten werden. Danach werden wir weitere Entscheidungen treffen.
Das Land Nordrhein-Westfalen kann kein grundsätzliches Tempolimit verordnen. Das ist auch nicht das Ziel dieser Landesregierung. Von daher ist die Debatte heute auch an diesem Punkt eindeutig verfehlt. Liebe FDP und liebe CDU, Sie machen heute Wahlkampfklamauk; das möchte ich Ihnen noch einmal ganz klar sagen.
Am Ende meiner Rede möchte ich gerne den ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU zitieren, den ehemaligen Kollegen Heinz Hardt, der heute Vorsitzender der Verkehrswacht in Nordrhein-Westfalen ist und bei dem wir vor einigen Wochen noch zum Parlamentarischen Abend eingeladen waren. Herr Hardt sagt ganz klar: Ein Tempolimit von 130 oder 120 auf deutschen Autobahnen wäre eine deutliche Verbesserung für die Verkehrssicherheit, für den Verkehrsfluss und für den Lärmschutz.
Der Aussage des Kollegen Hardt kann ich mich nur ausdrücklich anschließen. Schade, dass er heute nicht mehr dem Parlament angehört. Wenn das der Fall wäre, würde er vielleicht seiner Fraktion an der Stelle die Leviten lesen. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Guter Mann!)
– Guter Mann, Herr Hardt, genau – ein schlechter Antrag der FDP, völlig überflüssig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

2. Runde:

Arndt Klocke (GRÜNE): Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet und möchte vier Punkte ansprechen. Zunächst möchte ich auf Herrn Stamp von der FDP eingehen, der uns eben Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat.
Wie absurd dieser Vorwurf ist, zeigt sich darin, dass wir wirklich in allen anderen europäischen Nachbarländern und in allen G-20-Industriestaaten ein Tempolimit auf Fernstraßen haben.
(Zuruf von der FDP)
Denen geht es natürlich allen schlechter. Nur Deutschland geht es gut und die deutschen Autobahnen sind die sichersten: Ich schlage Sie wirklich für die „heute-show“ vor. Da oder in einer Karnevalssitzung hat ein solches Statement seinen Platz. Es hat aber keine Berechtigung mehr, wenn man sich Statistiken und internationale Vergleiche anschaut.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Niveau der Debatte ist leider ausgesprochen niedrig.
(Jochen Ott [SPD]: Deutsche Autobahnfalle!)
Herr Stamp, der zweite Punkt. – Rücksichtsvolles und besonnenes Fahren, bei dem man andere Verkehrsteilnehmer im Blick hat, ist das Gegenteil von Spießigkeit. Das war jetzt ein Wahlkampfspruch aus der aktuellen FDP Wahllotterie. Ich finde, besonnenes Fahren auf deutschen Straßen ist vernünftig.
An die FDP mit Internetanschluss, an die Piraten gerichtet möchte ich auf den Spruch von Herrn Bayer eingehen. – Ich schätze es durchaus, dass wir gewisse Verbote im deutschen Straßenverkehr haben. Ich schätze es als Fußgänger oder Radfahrer, wenn die Ampel für die Pkw rot ist und ich hinübergehen kann, ohne dass sich jemand überlegt: Irgendwie fühle ich mich gerade so, als ob ich fahren und mich nicht von irgendwem gängeln lassen möchte. Ich fahre einfach über die Ampel, weil ich es eilig habe. – Die Straßenverkehrsordnung beinhaltet ganz klare Regularien. Ein Tempolimit auf Autobahnen könnte auch eines sein. Das würde weder dem Industriestandort bzw. Wirtschaftsstandort schaden noch sonst wem.
Als dritten Punkt möchte ich auf Herrn Moritz eingehen. Ganz kurz: Sie haben recht. – In meinem Skript steht, dass es sich um den Abschnitt von Bielefeld bis Porta Westfalica handelt. Er ist nämlich dreispurig. Dort gibt es kein Lkw-Überholverbot. Es gibt auch kein Tempolimit.
Was Sie eben mit dem Bielefelder Berg angesprochen haben, stimmt, auch wenn es keine Ecke ist, an der ich häufig vorbeifahre. Das ist ein Punkt an Sie, das muss ich ehrlich zugeben. Da haben Sie recht.
Es geht aber um den anderen Abschnitt.
In der Übersicht der Unfallschwerpunkte, die von den Regierungspräsidien im letzten Jahr herausgegeben wurde, ist der Teilabschnitt zwischen Bielefeld und Porta der unfallreichste. Zu meinem Bedauern hat das Detmolder Regierungspräsidium darauf reagiert und gesagt, in einem Versuch bis 2015 noch einmal beobachten zu wollen, ob es Maßnahmen in diesem Bereich geben muss, um die Unfallhäufigkeit zu reduzieren.
Ich finde, man hätte bei dieser Strecke gleich das Tempo reduzieren und ein glasklares Lkw-Überholverbot einführen können. Dann würde die Unfallzahl deutlich abgesenkt.
(Zustimmung von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Als Letztes komme ich noch einmal auf das zu sprechen, was Herr Stamp gesagt hat, und zwar diesmal betreffend unser Wahlprogramm und seinen Inhalt. Ich hoffe, es ist nicht zu viel der Ehre, wenn ich so häufig auf ihn eingehe. – Für das Handeln der Landesregierung ist ausschließlich der Koalitionsvertrag relevant. Wir haben in unserem Wahlprogramm NRW auch Aussagen zur Bürgerversicherung, zu innenpolitischen Themen usw. Dort ist überall der Bundesgesetzgeber gefragt.
Tempo 120 hatten wir schon im allerersten Wahlprogramm der Grünen, glaube ich. Das ist nun wirklich kein Aufregerthema. Das haben wir ständig vertreten; das ist nichts Neues. Aber im Koalitionsvertrag gibt es eine ganz klare Festlegung auf den Feldversuch des Regierungspräsidiums Arnsberg, der bis 2015 läuft und dann ausgewertet wird. Und es gibt ganz klare Aussagen zur Lärmreduzierung. Das hat der Minister eben angesprochen.
Schön, dass Sie auch aus grünen Wahlprogrammen zitieren. Es war der Versuch, heute eine kleine Wahlkampfveranstaltung durchzuführen. Sie ist pressemäßig aber wohl nicht ganz so gut besucht worden. Das tut mir allerdings für Sie nicht wirklich leid.
Tempo 120 wäre ein Angebot für mehr Verkehrssicherheit auf deutschen Autobahnen.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Das verstehen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Es gab im Europaparlament eine fraktionsübergreifende Initiative zum Thema Tempo 30 in Innenstädten. Sie wurde auch von den Liberalen und den Christdemokraten im Europaparlament mitgetragen. Ich glaube, bei diesem Thema wird es ähnlich wie bei anderen Themen, etwa bei der Kernkraft, sein: Irgendwann werden wir dieses Tempolimit haben, weil es vernünftig ist, weil es alle anderen europäischen Länder auch haben und weil es ein deutlicher Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit in diesem Lande wäre. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Herr Kollege, Sie haben auch das Ergebnis der Evaluation genannt! Wie glaubwürdig ist das dann für das Projekt? Entlarvend!)

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