Jutta Velte: „Das Anerkennungsgesetz ist ein Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“

Gesetzentwurf zum Anerkennungsgesetz

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über das Anerkennungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Gleich vorweg: Wir beraten schon lange darüber, und wir können froh und glücklich sein, dass wir dieses Gesetz jetzt abschließend beraten können. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass sich die CDU diesem Gesetzentwurf anschließt.
Das ist ja auch kein Wunder; denn der demografische Wandel ist ein breit diskutiertes Phänomen. Erst heute konnten wir darüber lesen, und gestern haben wir mehr darüber erfahren. Es ging um die Demografiekonferenz, auf der nicht wirklich klar geworden ist, wohin die Reise geht. Immerhin: Die Kanzlerin hat etwas Nettes gesagt. Sie sprach vom europäischen Binnenmarkt und mehr Offenheit für Zuwanderung. Darum geht es auch in dem Anerkennungsgesetz.
Innenminister Friedrich hat natürlich gewarnt. Deswegen können wir uns nicht immer so sicher sein, was da eigentlich gewollt wird.
Tatsächlich geht es im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in Deutschland auch um die Frage des Fachkräftemangels. Und da ist das Anerkennungsgesetz ein Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. In Nordrhein-Westfalen stellen wir uns dieser Herausforderung. Deswegen ist es auch eine gute Grundlage für die landesrechtlich zu regelnden Berufe, und zwar aller möglichen Berufe.
„1 Million Zuwanderer 2012“, so titelte die „Rheinische Post“ am 8. Mai 2013. Allein diese Zahl zeigt, wie wichtig ein solches Gesetz ist; denn die Menschen kommen mit ausländischen Berufsabschlüssen. Sie kommen mit Berufserfahrungen in vielen Bereichen. Sie sind die Fachkräfte, die in Deutschland so dringend gebraucht werden. Dazu kommen – so sind die bundesweiten Schätzungen – 300.000 Menschen, von denen bislang erst 30.000, also nur 10 %, einen Antrag auf Anerkennung ihres Berufsabschlusses gestellt haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit diesem Anerkennungsgesetz das Potenzial insbesondere der Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben, nutzen und dass deren Abschlüsse anerkannt werden.
Häufig ist es bei vielen, die langjährig in Deutschland sind, so, dass sie weit unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten bzw. gearbeitet haben oder – im schlimmsten Fall – mangels der Anerkennung ihrer Qualifikation arbeitslos sind. In Nordrhein-Westfalen gibt es laut Auskunft des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales schätzungsweise um 60.000 bis 80.000 Personen. Das Anerkennungsgesetz leistet einen Beitrag für die Integration dieser Menschen und sichert gleichzeitig die Qualität in den betroffenen Berufen und unserer Meinung nach auch bei den Ärzten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Signalwirkung. Die Kompetenzen von Migrantinnen und Migranten werden wertgeschätzt, und das im wahrsten Sinne des Wortes; denn es ist in keiner Weise einzusehen, dass sich eine ausländische Ingenieurin in Deutschland ein Taschengeld als Reinigungskraft verdienen muss, wo sie doch eigentlich als Ingenieurin dringend gebraucht wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
In Deutschland werden formale Qualifikationen besonders wichtig genommen, auf jeden Fall wichtiger als in vielen anderen Ländern. Menschen mit Berufserfahrung, Wissen und Können, aber ohne formale Qualifikation – zum Beispiel der bergische Facharbeiter, ein feststehender Begriff, die IT-Expertin – haben es deshalb oft schwer, in ihre Berufe einzusteigen.
Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, diese Vorerfahrungen, dieses Wissen zu nutzen, stärker zu gewichten und in das Anerkennungsverfahren einzubeziehen. Das wollen wir ausdrücklich. Deswegen sieht unser Entschließungsantrag auch vor, dass wir innovative Verfahren entwickeln, um diesen Menschen eine Möglichkeit in den Berufseinstieg zu gewähren.
Ein ganz wichtiger Punkt im Zusammenhang mit Qualifikation und Berufsanerkennung ist die Frage der Nachqualifizierung. Menschen, die es nicht im ersten Schritt schaffen, dass ihr Beruf anerkannt wird, müssen die Möglichkeit haben, sich in diesem Beruf zu qualifizieren, die erforderliche Qualität nachzuweisen. Das geht auf unterschiedlichen Wegen, aber dazu wird auf jeden Fall eine Finanzierung benötigt.
Es ist glücklicherweise den Ländern im Bundesratsverfahren gelungen, dafür auch Geld vom Bund zu bekommen. Denn Nachqualifizierung, berufliche Teilhabe, Qualität gehören zur Willkommens- und Anerkennungskultur.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bei der Bedeutung, die das Anerkennungsgesetz für die Menschen und für die Wirtschaft hat, liegt es natürlich nahe, Herr Dr. Stamp, über einen Rechtsanspruch auf Beratung nachzudenken. Das ist wichtig.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Nur: Leider ist es in allen Verhandlungen nicht gelungen, dafür eine Kofinanzierung zu bekommen. Jetzt haben wir das Problem – da meldet sich die Haushälterin in mir –, dass, wenn das Land Nordrhein-Westfalen diesen Rechtsanspruch definieren würde, erhebliche Kosten auf das Land alleine zukämen. Das können wir uns vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung leider nicht leisten. Dass ausgerechnet die FDP das jetzt so vorsieht, finde ich interessant. Ich würde mir aber wünschen, dass wir ehrlich über die Kosten reden.
Stattdessen machen wir etwas, was ich auch für sehr gut und wichtig halte: Wir richten ein flächendeckendes Beratungsnetzwerk ein, aber nicht mit Landesmitteln allein, sondern mit einer ESF-Kofinanzierung, die allerdings wegfallen würde, würden wir einen Rechtsanspruch begründen. Trotzdem können wir auf die 80 bis 90 Beratungsstellen für berufliche Entwicklungen stolz sein, die Migrantinnen und Migranten Unterstützung in ihren spezifischen Situationen geben können.
Ich freue mich, dass wir unter den ersten Bundesländern sind – leider nicht das erste aus Gründen der Diskontinuität –, die dieses Anerkennungsgesetz verabschieden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig dieses Gesetz für alle Personen ist, die im Ausland erworbene Qualifikationen mitbringen.
Ich möchte schließen. – Ich finde, wir sollten das nicht parteipolitisch behandeln. Deswegen bin ich froh, dass wir aus Nordrhein-Westfalen neue Impulse in dieses Anerkennungsgesetz hineingegeben haben, sodass wir gemeinsam darüber abstimmen können. In diesem Sinne möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten am Ende meiner Rede ausnahmsweise die Kanzlerin von gestern zitieren. Sie hat gesagt: Wir gelten als abgeschlossen. – Wir in NRW versuchen, mit unseren Mitteln im Anerkennungsgesetz ein klein wenig dazu beizutragen, dass Deutschland weniger abgeschlossen ist.
In diesem Sinne freue ich mich auf das Abstimmungsergebnis. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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