Verena Schäffer: „Wir brauchen mehr Kontrolle und Transparenz, um Vertrauen zurückzugewinnen.“

Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass die Sicherheitsbehörden im Falle der menschenverachtenden Mord- und Anschlagsserie des NSU eklatant versagt haben. Gerade die Angehörigen der Ermordeten haben ihr Vertrauen in unseren Rechtsstaat verloren, auch weil sie lange Zeit von den Behörden selbst verdächtigt wurden.
Der Verfassungsschutz steht in der Diskussion, die wir über die Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden führen, im Fokus, wobei ich auch noch einmal betonen will, dass wir die Debatte sicherlich auch noch ausweiten müssen und nicht nur auf den Verfassungsschutz begrenzen dürfen.
Die katastrophalen Fehler haben unbestreitbar zu einem massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt, befeuert unter anderem noch durch das Schreddern von Akten, das Zurückhalten von Informationen gegenüber den Untersuchungsausschüssen. Deshalb ist es aber unsere Aufgabe, als Politiker, als Abgeordnete die Arbeit der Sicherheitsbehörden wirklich zu hinterfragen und zu diskutieren, was sich ändern muss.
Mein Fazit bei dieser Debatte ist, dass wir mehr Kontrolle brauchen, dass wir aber auch mehr Transparenz brauchen, um dieses verloren gegangene Vertrauen wiederzuerlangen.
Die Debatte eben zum Thema Salafismus hat eines gezeigt: Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um die gefährlichen, gewaltorientierten Bestrebungen und Personen, die sich klar gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten, bereits im Vorfeld zu beobachten und damit auch Straftaten verhindern zu können. Diese Gefahr – das wird Sie nicht wundern – sehe ich derzeit vor allen Dingen im rechtsextremistischen und im islamistischen Bereich. Da geht es mir nicht darum zu sagen, wir machen das linke Auge zu, sondern wir müssen dorthin blicken, wo tatsächlich eine Gefahr für unsere freiheitliche Gesellschaft droht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deshalb ist dieser Gesetzentwurf an dieser Stelle auch richtig. Er sagt nämlich, dass die Kapazitäten des Verfassungsschutzes und der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln zukünftig genau auf die Bereiche konzentriert werden müssen, in denen eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft durch gewaltorientierte Gruppierungen droht.
Derzeit ist es so, dass das Parlamentarische Kontrollgremium nicht öffentlich tagt. Das heißt im Klartext, dass Herr Körfges, Herr Kruse, Herr Orth und ich und die weiteren Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums Ihnen nicht sagen dürfen, wann wir tagen, wie lange wir tagen, wo wir uns treffen, welche inhaltlichen Schwerpunkte wir setzen und so weiter und so fort. Diese Geheimniskrämerei trägt aus meiner Sicht nicht wirklich zur Vertrauensbildung bei, sondern verschärft im Gegenteil das Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz.
Natürlich werden wir auch in Zukunft die Öffentlichkeit dann ausschließen müssen, wenn Geheimhaltungsgründe das erfordern. Dennoch glaube ich, dass wir mit den Mitteln dieses neuen Gesetzes, wonach wir die Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums öffentlich durchführen können, einen wichtigen Schritt gehen, und zwar einen Schritt hin zu mehr Transparenz, um Vertrauen wiederzugewinnen, aber auch zu mehr Öffentlichkeit, denn Öffentlichkeit schafft auch Kontrolle.
Herr Biesenbach, Sie haben gerade gesagt, dieses Gesetz sei schön sortiert, es schaffe Klarheit. Das ist gut. Ich finde aber, diese Klarheit an sich hat auch einen Wert. Denn diese Klarheit bedeutet Transparenz. Natürlich haben wir hier keine Generalklausel eingebaut, denn gerade beim Verfassungsschutz bewegen wir uns in einem Bereich, der weit ins Vorfeld rückt. Wir bewegen uns in einem Bereich, in dem es noch keine Straftaten gibt. Es ist ein sehr sensibler Bereich für eine Demokratie, für einen Rechtsstaat, wenn es darum geht, sich dorthin zu begeben und zu gucken: Was machen da Personen? Wo bewegen sich Personen verfassungsfeindlich?
Dass wir hier keine Generalklausel haben, sondern sehr genau überlegen, welche Befugnisse wir dem Verfassungsschutz geben wollen, welche nachrichtendienstlichen Mittel wir ihm zur Verfügung stellen wollen, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Es ist auch selbstverständlich, dass diese klar definiert sein und immer wieder diskutiert werden müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Gerade im Bereich des Einsatzes von V-Leuten werden wir gesetzliches Neuland betreten und damit aus meiner Sicht eine Vorreiterrolle insgesamt auch für andere Bundesländer einnehmen. Gerade der Einsatz von V-Leuten ist eine sehr sensible Maßnahme. Der demokratische Rechtsstaat bewegt sich immer auf einem sehr schmalen Grat, wenn er sich der Maßnahme des Einsatzes von V-Leuten bedient. Denn der Staat arbeitet mit Verfassungsfeinden zusammen und bezahlt sie für Informationen, die zum Schutze unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung beitragen sollen. Aber es sind Verfassungsfeinde, von denen wir die Informationen bekommen.
Nichtsdestotrotz halte ich diese Informationen für zu relevant, als dass wir auf sie verzichten können. Aber umso wichtiger ist es, dass wir hier eindeutige Kontrollmechanismen und klare Kriterien zur Verhältnismäßigkeit beim Einsatz von V-Leuten schaffen.
Die gesetzlichen Regelungen haben neben der Klarheit und der Verbindlichkeit auch noch einen weiteren Vorteil. Bisher sind Regelungen in Geheimakten geschaffen worden. Das heißt, dass die Öffentlichkeit, aber dass auch die Abgeordneten, also Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Prinzip nicht wirklich darüber diskutieren wollten, welchen Freiraum wir dem Verfassungsschutz beim Einsatz von V-Leuten genehmigen wollen.
Das jetzt öffentlich zu machen und eine öffentliche Auseinandersetzung darüber zu führen, was wir eigentlich wollen und welche Kriterien wir anlegen wollen, wenn wir uns der V-Leute bedienen, halte ich für einen sehr wichtigen Schritt in Richtung Transparenz und um verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu können.
Ich sage noch einmal: Geheimniskrämerei trägt nicht zum Vertrauen bei, sondern schafft eher Legendenbildung. Das kann aus meiner Sicht nicht in unserem sicherheitspolitischen Interesse sein, sondern wir müssen hierbei für Transparenz sorgen, damit das Vertrauen in diese wichtige Arbeit des Verfassungsschutzes – es gibt diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen – wieder gestärkt wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mehr zum Thema

Innenpolitik