Sigrid Beer: „Sie tun den Schulen, die so erfolgreich arbeiten, und den Schülerinnen und Schülern bitter unrecht.“

Antrag der FDP zur leistungslosen Schule

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Damit es keine Verwirrung gibt, möchte ich hier zuerst einmal für die Grünen ein Bekenntnis zur Leistung ablegen.
(Lachen von der FDP)
– Das ist ganz wichtig, ja. Ich bin für Leistung und dafür, dass Erfolge auf ehrlicher Leistung beruhen müssen.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Genau, Herr Dr. Stamp. – Frau Gebauer, zum Beispiel für den Wahlerfolg der FDP in Niedersachsen kann ich das leider nicht konstatieren. Das kann ich noch nicht mal für den Wahlerfolg der FDP hier in NRW konstatieren.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nur kein Neid!)
Ich bin auch – das will ich auch ganz deutlich sagen – gegen leistungsloses Einkommen von Europaabgeordneten sowie gegen leistungslose Doktortitel.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt will ich aber dem Kollegen Kaiser ausdrücklich eine Freude machen. Deswegen habe ich mir ein Zitat herausgesucht, das ich hier entsprechend vortragen möchte.
„Die Zahl der Sitzenbleiber ist viel zu hoch. Das ist eine Verschwendung von Potenzial. Gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung können wir uns das gesellschaftlich nicht mehr leisten, da wir diese jungen Leute dringend benötigen. Außerdem ist das Sitzenbleiben häufig eine pädagogisch kaum weiterführende Maßnahme. Es ist für mich nicht einsehbar, warum eine Schülerin oder ein Schüler, die beziehungsweise der vielleicht in ein, zwei Fächern nicht mehr ausreichende Leistungen erbringt, ein ganzes Schuljahr in allen Fächern wiederholen soll. Die Wiederholung einer Klasse hat auch nicht immer dazu geführt, dass ein Schüler nächstes Jahr tatsächlich bessere Leistungen erbringt. Ganz zu schweigen davon, dass man seine Klasse verlassen muss, dass man sich als Außenseiter fühlt und vieles mehr, was einen jungen Menschen psychisch belastet kann. Und noch etwas kommt dazu: Die Maßnahme ist finanziell sehr fragwürdig. Experten haben berechnet, dass jeder Sitzenbleiber den Staat rund 15.000 Euro kostet – an zusätzlichen Lehrerstellen sowie an ausbleibenden Steuerzahlungen.“
Ich weiß, dass der Kollege Kaiser weiß, wen ich zitiert habe: Barbara Sommer in der Zeitschrift der GEW, Ausgabe 3/4 im Jahr 2009. Wie erfrischend klar ist diese Aussage einer ehemaligen Ministerin einer schwarz-gelben Landesregierung!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In diesem Ansatz haben wir sie auch unterstützt, als die Initiative „Komm mit!“ mit den Lehrerverbänden ins Leben gerufen worden ist. Sie hat gewusst, wovon sie redet. Gerade als Grundschullehrerin wusste sie, wie es geht und dass es geht.
Allerdings hat die Ministerin bei der FDP offensichtlich keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das muss man auch konstatieren.
Liebe Kollegen und Kolleginnen von der FDP, ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen beim Schreiben dieses Antrags gegangen ist: Ihnen sind die heiligen liberalen Schauer über den Rücken gelaufen angesichts der rot-grünen Bildungspolitik, die Sie hier auszuhalten haben und die Ihnen offensichtlich Ängste bereitet.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Mit Unterstützung der CDU!)
Ich habe mich aber auch gefragt, welche Vorstellungen vom Lernen Sie eigentlich haben und was bei Ihnen „nachhaltige Leistungsentwicklung“ heißt. Wir wissen aus der Neurobiologie doch ganz genau:
„Das Gehirn lernt immer. Dafür ist es geschaffen. Das kann es am besten und würde es am liebsten andauernd tun. Käme ihm die Angst nicht allzu oft in die Quere.“
Das sagt Manfred Spitzer. – Gerald Hüther führt aus:
„Kinder, die ihre ursprüngliche Lernlust schon verloren haben, kann man kurzfristig dazu bringen, sich bestimmtes Wissen anzueignen – durch Androhung von Strafe oder die Ankündigung einer Belohnung. Langfristig haben diese Dressurmethoden allerdings ungewollte Folgen, denn bestenfalls können wir unsere Kinder damit zu braven Pflichterfüllern machen. Inzwischen haben wir es aber noch weiter getrieben: Der Druck wird nicht nur von außen erzeugt, sondern wir erziehen unsere Kinder so, dass sie sich den Stress freiwillig selbst bereiten.“
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Was bedeutet es eigentlich für Ihr Weltbild, dass es Schulen gibt, die Schülerinnen und Schüler viele Jahre zu Spitzenleistungen führen und dabei ohne Ziffernoten auskommen? Das muss Sie doch total erschüttern.
Nehmen Sie doch mal wahr, welche Schulen für den Deutschen Schulpreis nicht nur nominiert werden, sondern mit diesem Preis auch ausgezeichnet werden! Wie zum Beispiel Reinhard Kahl im Jahr 2011 ausgeführt hat, stehen in Erhebungen diejenigen Schulen mit Spitzenleistungen an der Spitze im Land Niedersachsen – vor allen anderen Gymnasien bis auf eines –, die genau diese Lernkultur entwickelt haben und berücksichtigen, dass Leistung Freude macht, dass sie nachhaltig verankert ist und dann wirklich übers Leben mitgetragen wird.
Deswegen ist dieser Antrag – ich sage das mal ganz hart – bildungspolitischer Blödsinn, weil sich hier niemand von Leistung distanziert. Vielmehr geht es um Folgendes: Leistung muss Freude machen. Leistung muss angstfrei erbracht werden können. Diese Lernkultur wollen wir hier in Nordrhein-Westfalen stiften.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Überlegen Sie sich deswegen bitte, wie Sie in Ihren Ausführungen weiter damit umgehen; denn Sie tun den Schulen, die so erfolgreich arbeiten, und den Schülerinnen und Schülern bitter unrecht.
Sie haben in diesem Antrag eine ideologische Überhöhung vorgenommen. Das Ganze fällt in die Schublade „Ideologie“. Diese Schublade haben Sie aufgemacht und gefüllt. Das führt nicht weiter. So werden Sie – die Kollegen haben es gesagt – ein negatives Alleinstellungsmerkmal beibehalten. Das ist für Ihre Arbeit auch nicht leistungsfördernd.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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