Matthi Bolte: „Wir müssen endlich anfangen, die Hürden für digitale Teilhabe abzubauen.“

Antrag der Piraten zur Abschaffung der Störerhaftung

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass ich nun auch noch drankomme.
(Allgemeine Heiterkeit)
Ich danke der Piratenfraktion ausdrücklich, dass sie das Thema „Störerhaftung bei WLAN“ aufgemacht hat. Der Antrag ist – das haben wir gehört – in Ordnung. Deswegen unterstützt Nordrhein-Westfalen auch die schon mehrfach angesprochene Bundesratsinitiative aus Hamburg. In der Tat – das ist völlig klar und richtig festgestellt worden – ist an dieser Stelle der Bund am Zug. Ich habe auch gestern schon, als es um den Breitbandausbau ging, ganz deutlich gesagt: Die Bundesregierung verschläft es, den digitalen Wandel zu gestalten.
(Zuruf von der SPD: Herr Hegemann, hören Sie zu!)
Da gibt es nichts zu beschönigen.
Wir stehen im Moment an einem historischen Punkt, weil wir einsehen müssen, dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern wird. Was heute gilt, das wird nach meiner festen Überzeugung in den nächsten Jahrzehnten in einem noch weit größeren Ausmaß gelten. Durch das Internet kommunizieren wir anders, wir wirtschaften anders, wir stellen unsere Demokratie anders auf. Wir haben andere gesellschaftliche Mechanismen und andere Formen von gesellschaftlicher Öffentlichkeit.
Und da wir hier jetzt schon einige Bilder hatten, möchte ich auch noch eines hinzufügen: Ich vergleiche den digitalen Wandel, wie wir ihn heute erleben, immer gerne mit den Folgen und der historischen Dimension der Erfindungen von Buchdruck und Dampfmaschine. Das waren technische Innovationen, die ihre Gesellschaft und ihr Zeitalter dramatisch verändert haben.
Wir sehen es schon heute: Die Welt sortiert sich im Zuge der Digitalisierung neu. Gerade Deutschland, aber auch viele andere westeuropäische Staaten drohen den Anschluss zu verpassen.
Wenn Sie sich fragen – es ist Freitagnachmittag –: „Geht es nicht vielleicht eine Stufe kleiner?“, dann sage ich eindeutig: Nein. Wir müssen endlich anfangen, die Hürden für digitale Teilhabe abzubauen. Dabei geht es – das haben wir gestern besprochen – zum Beispiel um technische Zugänge. Deshalb ist es richtig, dass wir häufig über Breitbandausbau diskutieren, nicht nur hier im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen. Deshalb sind die Vorschläge, die wir Ihnen gestern mit Bezug auf den Koalitionsvertrag vorgestellt haben, so notwendig. Deshalb ist es richtig, dass wir da aktiv sind.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es geht um die Dimension der sozialen Teilhabe: Bildung, Medienkompetenz, die vielen neuen Herausforderungen, die es in diesem Bereich gibt. Im neuen digitalen Zeitalter sind ganz neue Kompetenzen erforderlich, Stichwort „Informationskompetenz“. Wir brauchen ganz neue Konzepte, ganz andere Herangehensweisen als im analogen Zeitalter.
Wir brauchen auch – das ist der Gegenstand des heutigen Antrags – Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer. Sie müssen wissen, was sie dürfen und was nicht. Wir müssen verhindern, dass durch unseriöse Praktiken Rechtsunsicherheiten entstehen, die dann in einer unseriösen Weise genutzt werden. Deshalb ist es gut, dass Nordrhein-Westfalen vor drei Wochen eine Bundesratsinitiative unternommen hat, um das Unwesen mit den Abmahnungen endlich in den Griff zu bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann sind wir doch wieder bei der Störerhaftung angekommen. Was sagt die Bundesregierung dazu? Das Zitat aus der Stellungnahme der Bundesregierung zur Entschließung des Bundesrates war ja ganz interessant – Zitat –:
„Die Frage der Störerhaftung beim Betrieb … öffentlicher WLAN ist … noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden …“
Aber den Umgang der Bundesregierung damit kennt sie schon! Die Bundesregierung hält eine – wieder Zitat – „gesetzliche Regelung zur Beschränkung des Haftungsrisikos für WLAN-Betreiber weder für geeignet noch für erforderlich.“ – Das ist ja mal ‘ne Ansage.
Ich hoffe vor diesem Hintergrund einfach, dass die Kanzlerin und ihr Wirtschaftsminister sich in der nächsten Zeit – in der Zeit, die ihnen bis zur Bundestagswahl noch bleibt – auf einer ihrer Auslandsreisen mal an eine Straßenecke in Tallinn oder in eine U-Bahn in Kopenhagen setzen und sich wundern, weshalb man dort ganz einfach ins Internet kommt. Denn dort – und nicht nur dort – halten Regierungen die Gestaltung des digitalen Wandels für geeignet und für erforderlich.
So etwas brauchen wir endlich auch in Deutschland. Deshalb brauchen wir auch auf der Bundesebene endlich einen Politikwechsel. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)