Gudrun Zentis: „Wesentliche Aufgaben sind die Alphabetisierung und die Grundbildung“

Unterrichtung zur Weiterbildungskonferenz NRW

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ziel grüner Bildungspolitik ist es, die Weiterbildungsbeteiligung zu erhöhen und insgesamt Angebote der „2. Chance“ nachhaltig zu stärken. Dies ist auch im Koalitionsvertrag so zum Ausdruck gekommen.
Muss ich auch zugeben, dass meine Kontakte in die Strukturen der Träger der Weiterbildungseinrichtungen vor Übernahme meines Mandates im letzten Jahr lückenhaft waren, so kann ich heute den Volkshochschulen und den anderen Trägern von Weiterbildungseinrichtungen nur meine Hochachtung aussprechen vor dem, was dort in großer Vielfalt und mit viel Engagement geleistet wird.
Die Weiterbildung ist der Garant für lebensbegleitendes Lernen mit Angeboten für alle Altersgruppen und für alle Lebensbereiche. Die Ergebnisse der Weiterbildungskonferenz wurden im Oktober letzten Jahres mit großer Einmütigkeit von dieser verabschiedet und sind Anlass und Grund der heutigen Debatte.
Sie wurden Frau Landtagspräsidentin Gödecke und Frau Ministerin Löhrmann im Dezember letzten Jahres übergeben. Stellvertretend für alle Beteiligten an der Weiterbildungskonferenz – Herrn Heinemann, Frau Ministerin Löhrmann – möchte ich insbesondere Frau Sandbrink und Herrn Hammelrath als Sprecherin und Sprecher der Weiterbildungskonferenz danken für ihren Einsatz und die – wie ich in der letzten Sitzung der Weiterbildungskonferenz erlebt habe – nicht immer leichte Aufgabe, die unterschiedlichen Interessen der am Prozess beteiligten Protagonisten verschiedenster Verbändevertretungen einvernehmlich zu bündeln und zu formulieren.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Die konstruktive Arbeit der Weiterbildungskonferenz hat uns, der Politik, Handlungsbedarf und teilweise schon Lösungsansätze aufgezeigt. Wir haben hier gemeinsam einen hohen Anspruch zu erfüllen.
Handlungsbedarf besteht in der Weiterbildung bei der Zielgruppenerreichung aller Bevölkerungsschichten, unabhängig von der Quartierszugehörigkeit. Eine Weiterbildungsberatung für bildungsferne Zielgruppen kann nicht erfolgreich sein, wenn nur diejenigen Personen erreicht werden, die mit einem konkreten Bildungsanliegen den Weg in die Weiterbildungsberatungsstelle finden. Beratungsanliegen müssen dort aufgegriffen werden, wo sie artikuliert werden.
Ein Projekt vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, „Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld“, trägt diesem Anliegen bereits Rechnung. Diese positiven Projektergebnisse haben wir nach einer entsprechenden Auswertung auf unser gesamtes Bundesland umzusetzen.
Handlungsbedarf besteht innerhalb der vorhandenen Strukturen, weil ein altersbedingter Generationenwechsel stattfinden wird. Der große Ausbau der Weiterbildung fand in den 70er-Jahren statt, und die Beschäftigten gehen nun in den wohlverdienten Ruhestand. Diesen Generationenwechsel müssen wir vorbereiten, damit die Kompetenzen weitergetragen werden können.
Die Weiterbildungskonferenz wie auch die Gutachten zur Weiterbildung attestieren mit großer Einigkeit den unterschiedlichen politischen Akteuren dieses Parlaments in der Weiterbildung stets einen breiten Konsens; die Vorredner haben es auch schon betont.
Gleichzeitig hat die Weiterbildungskonferenz Bereiche für ein gerechteres Weiterbildungssystem für alle entwickelt. Rot-Grün wird sich der Aufgabenstellung annehmen, die Weiterbildung im ständigen Dialog mit allen Akteurinnen und Akteuren im weiten Feld der Weiterbildungseinrichtungen zukunftsfähig zu gestalten.
Eines dieser Aufgabenfelder ist die nachhaltige Finanzierung. Welche Bedeutung die Weiterbildung bei Rot-Grün einnimmt, ist daran zu ersehen, dass trotz aller Finanzknappheit im Bereich „Weiterbildung“ keine Mittelkürzung im Haushalt vorgenommen wurde. Dies ist verlässliche rot-grüne Politik.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben Wort gehalten. Wir haben Mittelkürzungen, die unter Schwarz-Gelb erfolgt sind, wieder zurückgenommen. Rot-Grün wird, soweit es die Förderkriterien der EU zulassen, Mittel des ESF ergänzend zur Verfügung stellen.
Bei der Überprüfung der Fördersystematik haben wir auf effiziente Strukturen zu achten, die gerecht, zielführend und mit geringem Aufwand zu verwirklichen sind.
Ergänzende ESF-Mittel sind notwendiges und gut investiertes Geld. Kürzungen wären hier auch deshalb umso schlimmer, weil sie genau den Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung treffen. Wir werden die EU hier in die Pflicht nehmen; denn wesentliche Aufgaben der Weiterbildung sind die Alphabetisierung und die Grundbildung.
Gestern habe ich erfahren, dass die Volkshochschulen rund 5.000 Personen jährlich bilden, damit diese nicht nur einzelne Buchstaben erkennen und einzelne Wörter lesen können, sondern auch fähig sind, die Zusammenhänge im Satzgefüge zu verstehen. Das Nachholen von Schulabschlüssen für Menschen, die es in unserem etablierten Schulsystem nicht geschafft haben – aus sozialen oder welch anderen Gründen auch immer – und später ihre Lust am Lernen wiederentdecken und einen höheren Bildungsabschluss anstreben, ist ein wesentlicher Bildungsauftrag an Volkshochschulen, anerkannten freien Weiterbildungseinrichtungen, Weiterbildungskollegs und Abendgymnasien.
Eine Studie hat ergeben, dass rund 14 % unserer erwerbsfähigen Bevölkerung als funktionale Analphabeten gelten. Auf unser Bundesland bezogen müssen wir erkennen, dass wir nur 5.000 Menschen erreichen und nur ihnen eine größere Teilhabe und eine andere Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft und unserem Arbeitsleben ermöglichen. Mit mehr Bildungsteilhabe und mehr Bildungsgerechtigkeit verhindern wir Armut und Arbeitslosigkeit und minimieren staatliche Unterstützungsleistungen. Das ist also eine gute Investition in unsere Gesellschaft. Dafür benötigen wir auch dringend die ESF-Mittel.
Ein weiteres Aufgabenfeld ist der Aufbau eines landesweiten Supportsystems für die Weiterbildung. Auch das hat die Weiterbildungskonferenz deutlich gemacht. Die Weiterbildung benötigt zur Sicherung ihrer Zukunftsfähigkeit ein Unterstützungssystem. Es geht darum, die vorhandenen Ideen und die guten, innovativen Beispiele aus der Praxis zu bündeln sowie dringend erforderliche Entwicklungsaufgaben anzupacken. Ein Landesinstitut, wie früher in Soest, ist nicht mehr vorhanden. Eine ähnliche Unterstützung ist ratsam und sollte so bald wie möglich umgesetzt werden.
Eine Supportstruktur muss für uns Grüne folgende Ziele verfolgen: erstens die zentrale Unterstützung von Fortbildungs- und Qualifizierungsangeboten sowie das Aufzeigen inhaltlich-pädagogischer Perspektiven zur Weiterentwicklung, zweitens die Entwicklung innovativer Formate und zielgruppengerechter Angebote für nicht erschlossene Zielgruppen und drittens beim Generationenwechsel die Sicherung des Know-hows und der Best-Practice-Beispiele, um neue Stellen betreuen zu können.
Sehr geehrte Damen und Herren, von allen Beteiligten gewünscht ist ein schlankes, transparentes Berichtswesen, welches verlässliche Daten liefert und nicht unnötig Ressourcen bindet. Im Jahr 2000, bei der letzten größeren Änderung des Weiterbildungsgesetzes, gab es hierzu bereits einen Vorschlag des Gesprächskreises für Landesorganisationen der Weiterbildung in NRW. Vielleicht kann dieses noch hilfreich sein und zur schnellen Umsetzung noch in diesem Jahr beitragen. Mit einem effektiven Berichtswesen ist nicht nur eine finanzielle Grundlage für die Weiterbildung zu ermitteln. Vielmehr kann damit auch die institutionelle Entwicklung dokumentiert werden und als Grundlage für weiteres Handeln dienen.
Ferner mangelt es bisher am Aufbau einer flächendeckenden und mobilen Weiterbildungsberatung. Das Gutachten des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung testiert Entwicklungsbedarf der Weiterbildungsberatung. Eine landesweite Grundversorgung durch trägerneutrale Beratungsinfrastruktur ist dringend erforderlich, wenn wir den Vergleich mit den europäischen Nachbarländern im Bereich der Weiterbildung nicht mehr scheuen wollen. Der Ausbau von Beratungsstellen für den Bildungsscheck und die Bildungsprämie sowie eine trägerübergreifende, ganzheitliche, flexible Beratung zur Weiterbildung sind für mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Bildungsteilhabe erforderlich.
Nicht erschlossene Zielgruppen erreichen wir nur durch Innovation der Weiterbildungsberatung und durch aufsuchende mobile Beratung. Dazu gibt es an Einrichtungen der Weiterbildung heute schon hervorragende Praxisbeispiele, die gebündelt und für die Fläche nutzbar gemacht werden sollten. Das wäre ebenfalls eine Aufgabe der dringend erforderlichen Supportstelle für Weiterbildung.
Auch der Generationenwechsel ist nur durch die Erschließung neuer Zielgruppen zu erreichen, die ihre Aufgabe in der Weiterentwicklung der Weiterbildungsinstitutionen sowie in ihrem Selbstverständnis der fachlich-didaktischen Arbeit und der strategischen Ausrichtung sehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich verspreche mir viel von dem Wunsch der Weiterbildungskonferenz, einen Landesbeirat einzurichten. Ich halte es für sinnvoll und zielführend, hier ein Expertengremium aus Vertretern aller Weiterbildungsträger einschließlich der kommunalen, gesetzlich verankerten Volkshochschulen und eventuell eine Vertretung zur Beratung der Verbraucher zu haben.
Die Beteiligung eines Landesbeirats der Weiterbildung ist auch ein Zeichen für Bürgernähe und Transparenz rot-grüner Politik. Ein solcher Landesbeirat sollte mit einer Geschäftsstelle ausgestattet sein und Empfehlungen an das Parlament geben können. Darin sind wir uns alle einig, glaube ich.
Die Einbindung der Weiterbildungseinrichtungen in der regionalen Bildungslandschaft muss verstärkt werden. In Kürze wird ein vom Land geförderter Handlungsleitfaden des Gesprächskreises für Landesorganisationen der Weiterbildung vorliegen, mit dem die Zusammenarbeit zwischen den regionalen Bildungsnetzwerken und der Weiterbildung entwickelt und gestaltet werden kann.
Weiterbildung ist lebensbegleitendes Lernen. Eine Beschränkung auf die Bildungseinrichtungen der Kindertagesstätten, der allgemeinbildenden Schulen, der Hochschulen bzw. Universitäten und der beruflichen Bildungseinrichtungen entspricht nicht mehr den Anforderungen, die an die Menschen dieses Jahrhunderts gestellt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auf Basis der Ergebnisse der Weiterbildungskonferenz werden wir mit dieser rot-grünen Landesregierung zu mehr Bildungsteilhabe und zu einer nachhaltigen Weiterbildung gelangen, die den anstehenden Generationenwechsel helfend begleiten wird.
Weiterbildung wird nur so unser demokratisches Gemeinwesen weiter stabilisieren und durch mehr Bildungsgerechtigkeit Armut verhindern bzw. Wohlstand sichern. Ganzheitliche Bildung und lebensbegleitendes, lebenslanges Lernen durch Weiterbildung ist Zielmarke grüner Politik. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)