Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Landesregierung

A Problem

1.            Die bekannt gewordenen Anschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds haben gezeigt, dass eine wehrhafte Demokratie einen Verfassungsschutz benötigt, der imstande ist, Radikalisierungstendenzen und Gewaltorientierung frühzeitig zu erkennen und ihnen wirksam entgegenzutreten. Für die Wahrnehmung dieser Funktion als nicht nur politisches, sondern auch gesellschaftliches Frühwarnsystem müssen Verfassungsschutz und Gesellschaft im ständigen Dialog miteinander stehen. Dies setzt eine starke gesellschaftliche Akzeptanz des Verfassungsschutzes voraus. Hierzu bedarf es eines parlamentarisch umfassend kontrollierten, modernen und transparenten, aber auch effektiven Verfassungsschutzes, der von seinen Eingriffsbefugnissen im Rahmen enger und klarer Regeln Gebrauch macht.
2.            Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27.02.2008 (BVerfGE 120, 274) zur sog. Online-Durchsuchung die Forderung an den Gesetzgeber gerichtet, Eingriffsbefugnisse hinreichend und normenklar zu regeln und mit einem Kernbereichsschutz zu versehen.
3.            Die Rechtsprechung sieht zunehmend allgemeine Befugnisnormen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht als ausreichenden Rechtfertigungsgrund für die strafbare Mitgliedschaft von Personen in verbotenen oder terroristischen Organisationen an.
4.            Die Befugnisse des Verfassungsschutzes zur Einholung von Auskünften bei Zahlungsdienstleistern, bei Telekommunikations- und Telediensten sowie die Ermächtigung, mit technischen Mitteln (Einsatz von GPS) Observationen durchzuführen, treten gemäß § 29 des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.07.2012 (SGV.NRW. S. 294) am 01.04.2013 außer Kraft.

B Lösung

Durch die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes erfolgt ein wesentlicher Schritt in Richtung eines umfassend kontrollierten, modernen, transparenten und gleichzeitig effektiven Verfassungsschutzes. Dazu werden die parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber dem Verfassungsschutz gestärkt. Gleichzeitig wird die Zweckbestimmung des Verfassungsschutzes herausgestellt, durch Information das gesellschaftliche Bewusstsein für Bestrebungen zu stärken, die Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes sind. Dies geschieht unter gleichzeitiger Fokussierung auf gewaltorientierte Bestrebungen. Die Eingriffsbefugnisse des Verfassungsschutzes werden bestimmter gefasst und mit einem Kernbereichs- und Berufsgeheimnisträgerinnen- und Berufsgeheimnisträgerschutz versehen. Darüber hinaus wird der Verfassungsschutz ermächtigt, im Internet auf dem technisch hierfür vorgesehenen Weg Zugriff auf zugangsgesicherte Kommunikationsinhalte (z.B. Chats oder Foren) zu erhalten, ohne selbst Kommunikationsadressat zu sein. Diese neugeschaffene Befugnis wird auf fünf Jahre befristet. Die Novelle greift zudem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Telekommunikationsgesetz auf und schafft konkretisierende Regelungen für den  Abruf  von  Telekommunikationsverbindungs-  und  Telekommunikationsbestandsdaten. Des Weiteren wird erstmals ausdrücklich geregelt unter welchen Voraussetzungen eine Vertrauens-Person zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden darf, wann die Zusammenarbeit zu beenden ist und wann ggf. die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten sind. Darüber hinaus wird ein Rechtfertigungsgrund für den Einsatz dieser Personen innerhalb verbotener oder terroristischer Organisationen geschaffen. Während die Befugnis zum Einsatz von GPS bei Observationen entfristet wird, werden die bestehenden befristeten besonderen Befugnisse der Finanzermittlungen und der Verbindungsdatenabfragen um weitere fünf Jahre verlängert. Diese sowie die neueingefügten befristeten Befugnisse müssen nach vier Jahren evaluiert sein.

C Alternativen

Ohne die Novellierung würde der Gesetzgeber auf einen wesentlichen Schritt zur Modernisierung des Verfassungsschutzes und damit auf eine größere gesellschaftliche Akzeptanz verzichten und darüber hinaus die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts unberücksichtigt lassen. Der damit verbundene Verzicht auf die Verlängerung der befristeten Befugnisse des § 5a VSG NW und des § 5 Abs. 2 Nr. 2 VSG NW würde die Aufklärung gewaltorientierter extremistischer und terroristischer Bestrebungen erheblich erschweren. Dasselbe gilt bei einem Verzicht auf die durch dieses Gesetz eingeführte Möglichkeit, auf Foren oder Chats im Internet auf dem technisch hierfür vorgesehene Weg zuzugreifen.

D Kosten

Das Gesetz räumt dem Parlamentarischen Kontrollgremium das Recht ein, sich bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben durch Beschäftigte der Landtagsverwaltung unterstützen zu lassen. Diese Ausstattung wird im Einzelplan des Landtags gesondert ausgewiesen. Endgültige Festlegungen bleiben somit den jeweiligen Haushalten vorbehalten.
Entsprechend der Regelung des Bundes wird eine Verpflichtung der Verfassungsschutzbehörde geschaffen, die zur Auskunft nach dem Telekommunikationsgesetz verpflichteten Unternehmen zu entschädigen. Hierdurch entsteht ein jährlicher Kostenaufwand, der im bestehenden Mittelrahmen aufgefangen werden kann.

E Zuständigkeit

Zuständig ist das Ministerium für Inneres und Kommunales. Beteiligt sind das Finanzministerium, das Ministerium für Familie, Jugend, Kultur und Sport, das Justizministerium und das Ministerium für Schule und Weiterbildung.

F Auswirkungen auf die Selbstverwaltung und die Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände

Keine.

G Finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen und die privaten Haushalte

Die nach den Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes zur Auskunft verpflichteten Unternehmen werden durch die Schaffung einer Verpflichtung zur Entschädigung durch die Verfassungsschutzbehörde finanziell entlastet.

H Befristung

Die Befugnisse nach § 5 Abs. 2 Nr. 11, 13 und 14 sowie § 7c treten nach Artikel 1, Nr. (§ 33 Abs. 1) am 01.06.2018 außer Kraft (Art. 1, Nr. 28 des Gesetzesentwurfs).