Dagmar Hanses: „Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nimmt die Jugendkriminalität ab“

Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU- und der FDP-Fraktion zur Kriminalitätsentwicklung in NRW

Dagmar Hanses (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon die Überschrift des Antrags von Schwarz-Gelb zu dieser Aktuellen Stunde lässt uns am Rechtsverständnis der Antragsteller zweifeln. „Rückgang strafrechtlicher Verurteilungen und Anstieg Verfahrenseinstellungen trotz besorgniserregender Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen“ – darin sind ganz viele Fehler auf einmal enthalten. Das müssen wir jetzt erst einmal durchgehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich kann Ihnen da gerne grundsätzlich noch einmal etwas erklären. Beim Kollegen Wedel habe ich durchaus Hoffnung, beim Kollegen Kruse war ich gerade verzweifelt.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Als Pädagogin ist mir klar, dass Wiederholungen – Frau Ministerin Löhrmann ist auch hier – ein wichtiges Lernprinzip sind. Von daher: Wie wichtig Gewaltenteilung ist, können wir hier noch einmal auseinanderdividieren. Herr Minister Kutschaty, vielleicht könnten Sie der CDU-Fraktion auch einmal Rechtskundeunterricht anbieten. – Ich weiß, der Minister macht das sehr erfolgreich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie machen hier einen absurden, schrägen und völlig unzulässigen Zusammenhang zwischen der Kriminalitätsstatistik und der Strafverfolgungsstatistik 2011 auf. Was gibt es mittwochs morgens Spannenderes? Ich freue mich, denn die Rechtspolitik bekommt vielleicht jetzt eine größere Aufmerksamkeit. Dann schauen wir gemeinsam in den Antrag hinein.
Wenn Sie in Ihrem Antrag behaupten, es sei bedenklich, dass die Zahl der Anklagen und Strafbefehle gesunken sei, dann ist das erstens falsch und zweitens haben Sie das nicht zu bewerten. Sie bedauern Verfahrenseinstellungen. Das wiederum bedauere ich. Liebe CDU, liebe FDP, das steht Ihnen nicht zu, das steht uns nicht zu. Denn Richterinnen und Richter, die keinen Strafbefehl erteilen, und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die Verfahren einstellen, entscheiden das unabhängig. Herr Wedel, nicht nur die Richterinnen und Richter, auch die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte entscheiden das unabhängig, sorgfältig, nach Prüfung im Einzelfall.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Eine Bewertung durch die Politik weisen wir entschieden zurück. Diese rechtsstaatliche Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut, das wir zu respektieren und zu erhalten haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Das Parlament und die Regierung können aus unserer Sicht lediglich Folgen für die Rechtspolitik daraus ziehen. Und das haben wir gemacht. Der Justizminister hat am Freitag in seiner Vorstellung zwei Instrumente der Kriminalitätsstatistik dargelegt. Ich möchte hier ein Weiteres ergänzen. Er nannte die Häuser des Jugendrechts und die Staatsanwälte für den Ort. Ich möchte kurz auf den Haushalt eingehen, in dem wir den Jugendarrestvollzug pädagogisch weiter ausrichten.
Wir können hier festhalten, dass der Rückgang der Jugendkriminalität um 7,5 % bedeutet, dass es der niedrigste Wert seit 14 Jahren ist. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, Herr Kruse, nimmt die Jugendkriminalität ab. Es ist schon länger zu beobachten, dass das trotz der demografischen Entwicklung kein Selbstläufer ist. Dafür muss man etwas tun.
Um diese Entwicklung fortzusetzen, müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Wir können es nämlich nicht hinnehmen, dass 5 bis 10 % aller jungen Tatverdächtigen 50 % der Straftaten ihrer Altersgruppe begehen. Und da, Herr Kruse, liegt der Unterschied. Uns sind die nämlich nicht egal. Wir werden weiter sinnvolle Instrumente ausbauen – ja, selbstverständlich –, die bereits Frau Müller-Piepenkötter eingeführt hat.
Die Staatsanwälte für den Ort und die Häuser des Jugendrechts wurden genannt. Dafür braucht man Ressourcen. Das müssen wir in die Fläche bringen, an verschiedene Orte, Herr Wedel. Selbstverständlich ist Paderborn auch ein wichtiger Ort. Auch da gibt es Jugendliche, die ein Recht auf eine Begleitung, eine Betreuung haben, damit eine Straftat ein einmaliges Ereignis im Leben junger Menschen bleibt und sich kriminelle Karrieren nicht manifestieren.
Es hat sich bewährt. In der Jugendhilfe nennt man es „sozialräumlichen Ansatz“, was Staatsanwälte für den Ort leisten, nämlich die Zuständigkeit nicht nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens zu wählen, sondern nach dem Wohnort. Dadurch entstehen kurze Wege, die Bündelung der Sachkompetenz. Das hat zu deutlich verkürzten Verfahren – um ca. 15 Tage – geführt.
Herr Wedel, es erstaunt mich schon, dass Sie jetzt nach mehr Personal schreien. Das freut mich. Ich bin auf die Haushaltsberatungen mit der FDP gespannt. Das Haus des Jugendrechts, das wir in Köln haben, sollten Sie einmal besuchen. Im Haushalt haben wir auch zusätzliche Stellen für die pädagogische Ausrichtung des Jugendarrestvollzugs eingerichtet. Das ist auch ein Baustein, damit die Jugendkriminalität weiter sinken kann. Ihre Zusammenhänge sind unzulässig.
Herr Kruse, Sie haben darauf abgehoben, das Rot-Grün in diesem Parlament eine Mehrheit hat. Ja, Sie haben auch gesagt, wir könnten stolz darauf sein. Das hat natürlich Gründe. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben uns im letzten Jahr gewählt, weil sie unseren Ansatz der vorsorgenden, der präventiven Politik richtig finden. Die Bürgerinnen und Bürger haben uns im letzten Jahr gewählt, weil sie auf Ihren platten Populismus, Ängste zu schüren, nicht hereinfallen, sondern weil sie Entwicklungen in der Gesellschaft sehen, die sie ernst nehmen, und viele pragmatische Ansätze der Landesregierung sehen, dem entgegenzuwirken.
Hier Sachen schräg miteinander zu verknüpfen – das kommt nicht an.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mehr zum Thema

Jugend, Recht & Justiz