Sigrid Beer: „Wir gehen den Weg zur Inklusion weiter: sorgsam, konsequent und wirkungsvoll.“

Antrag der CDU-Fraktion zu Inklusion

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einer Gratulation beginnen. Nein, sie gilt nicht Herrn Kaiser für seinen Antrag, sondern ich möchte der Gemeinschaftsgrundschule Ketteler in Bonn-Dransdorf gratulieren, die in diesem Jahr den Jacob Muth-Preis für ihre hervorragende Arbeit bekommen hat. Von hier aus sollte ein Glückwunsch an diese Grundschule gehen!
(Allgemeiner Beifall)
Seit 2006 arbeitet sie inklusiv und jahrgangsübergreifend. Wer dann noch die Frage nach der Qualität stellt, sollte sich klarmachen, dass sich in dieser Zeit die Zahl der Übergänge zum Gymnasium verdoppelt und die Zahl der Übergänge zur Realschule fast verdreifacht haben. – So viel zur Frage der Leistungsentwicklung und auch der Entwicklung von sozialen und emotionalen Kompetenzen.
Herr Stamp guckt aufmerksam zu. Ich hoffe, dass sich dann auch einmal die Grundsatzposition der FDP ändert, die das gemeinsame Lernen eigentlich immer noch ablehnt. Solange Sie diese Grundsatzposition nicht aufgeben und Ihre Bedenken gegen das gemeinsame Lernen nicht zurückstellen, sind Sie keine Sachwalter in Sachen Inklusion; dann sind auch Ihre PM nicht ernst zu nehmen.
(Zuruf von der FDP)
Aber lassen Sie mich jetzt auf den Antrag der CDU zurückkommen. Kollege Kaiser, ich reibe mir da verwundert die Augen. In fünf Jahren Schwarz-Gelb ist der gemeinsame Unterricht nur zögerlich ausgebaut worden; die Stellenanteile für die integrativen Lerngruppen hatten Sie im Haushalt noch nicht einmal ausfinanziert.
Das haben wir seit 2010 korrigiert. Insgesamt sind 1.148 Stellen zusätzlich in den Inklusionsprozess investiert worden.
Umfassende Daten zur Entwicklung der sonderpädagogischen Förderung mussten wir dem CDU-geführten Ministerium noch in einer Großen Anfrage abringen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich von dieser Stelle aus den Staatssekretär anmahnen musste, dem Parlament wirklich alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen und nicht einzelne Datenblätter zurückzuhalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich bin dem Ministerium und der Ministerin sehr dankbar, dass sie diese Datensammlung unaufgefordert fortgeschrieben und allen zugänglich gemacht haben; denn diese Daten zeigen zusammen mit den Haushaltsdaten, welche positiven Entwicklungen wir seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün zu verzeichnen haben.
Kollege Kaiser, ich bin persönlich doch etwas verwundert und durchaus enttäuscht; denn ich hatte gedacht, dass 2010 der Inklusionsknoten bei Ihnen geplatzt wäre. Sie hatten sich von der Bremse FDP freigemacht, die 2009 noch einen gemeinsamen Antrag zur Inklusion verhindert und die Koalitionskarte gezogen hatte. Ihre damalige Schulministerin durfte lange Zeit den Begriff „Inklusion“ noch nicht einmal hier im Plenum benutzen.
Dann haben wir 2010, in der Zeit der Minderheitsregierung, in der Tat einen gemeinsamen Antrag zur Entwicklung eines inklusiven Schulsystems in Nordrhein-Westfalen – mit dem Inklusionsauftrag an alle Schulen und Schulformen – verabschiedet.
Dann gab es bei Ihnen – so will ich es einmal nennen – eine kleine Inklusionspause.
(Klaus Kaiser [CDU]: Nein, nein, nein! – Weitere Zurufe von der CDU)
Wir haben in der Zeit aber das Thema kontinuierlich vorangetrieben.
(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU)
– Lieber Kollege Kaiser, Sie haben es doch gemeinsam mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden in der eigenen Fraktion nicht gebacken bekommen. Ich erinnere an die Runden, in denen wir gemeinsam gesessen haben und Sie nicht in der Lage gewesen sind, für die Fraktion eine einheitliche Meinung darzustellen. Das muss man deutlich sagen: Mehr als ein Jahr haben wir in der Debatte mit Ihnen verbracht, um gemeinsam während der Zeit mit der Minderheitsregierung einen Antrag hinzubekommen und das fachlich auch zu beschreiben. Das wollen Sie doch jetzt wohl jetzt nicht vergessen haben!
(Klaus Kaiser [CDU]: Warum hat das so lange gedauert? Weil ihr keine Zahlen nennen wolltet!)
Ist das Oppositionsamnesie, Herr Kaiser? Nein. Aber in dieser Zeit hat der Löhrmann-Erlass gewirkt. Sie müssen sich schon vor Augen führen: Wir haben in zwei Jahren rot-grüner Schulpolitik mehr bezüglich des gemeinsamen Unterrichts geschafft als Sie in den fünf Jahren Schwarz-Gelb zuvor. Dass Sie nicht rechnen können, haben wir gestern bei dem Sanierungskonzept auch gesehen. Dazu komme ich aber später noch einmal.
33,6 % der Kinder im Landesschnitt lernen inzwischen in der Grundschule gemeinsam. Das sind 50 % mehr als 2009/2010. 18,4 % sind es in den weiterführenden Schulen – mehr als doppelt so viele wie im Schuljahr 2009/2010. Und mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz haben wir hier das Fortbildungskonzept für die Sonderpädagogen verabschiedet; das betrifft 2.500 Lehrkräfte. Und in der kurzen Zeit ist der Ansturm so groß, dass über 200 Plätze gefüllt werden können. Das sollten Sie einmal positiv sehen. Es geht in zehn Tranchen in alle Regionen hinein. Sie haben in der Zeit nichts getan. Und das wird jetzt auf den Weg gebracht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dazu kommen die Studienplätze, dazu kommen 300 Moderatorinnen, dazu kommen 53 Koordinatorinnen in den Netzwerken.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Professor Sternberg zulassen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gerne.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Frau Kollegin Beer, nur eine Frage: Ist Ihnen bekannt, dass wir im Jahre 2011 sehr intensive Diskussionen zum Thema „Inklusion“ geführt haben, die dazu führten, dass Ende des Jahres 2011 eine sehr umfassende Stellungnahme der CDU-Fraktion zur Inklusion erarbeitet worden ist, die bei den Verbänden große Begeisterung hervorgerufen hat und die die Politik umzusetzen nicht imstande war? Zumindest galt dies für die Regierung. Ist Ihnen bekannt, dass wir da Positionen erarbeitet haben, die maßstabsetzend für die Inklusionspolitik sein sollten?
Sigrid Beer (GRÜNE): Wir haben einmal eine Runde, Herr Kollege Sternberg, innerhalb der Fraktionen durchgeführt. Da kamen Sie schon nicht überein mit der Frage Inklusion im Gemeinwesen und im schulischen Teil. Dann haben wir uns hier zusammengesetzt, was die parlamentarische Umsetzung angeht. Es war wieder keine Sprachfähigkeit vorhanden. Wie oft haben wir dort unten gestanden, und der Fraktionsvorsitzende hat mir persönlich gesagt: Wir sind in der Fraktion noch nicht so weit. Wir können uns diese Woche wieder nicht treffen. – Auch der Kollege war da, und wir haben in der Tat oft genug zusammengesessen, aber nicht mit dem Ergebnis, dass wir plenar hätten etwas auf den Weg bringen können.
Das war so bis zum 14.03., als Rot-Grün einen Antrag vorgelegt hat. Und Sie haben dann fast wortgleich, mit kleinen Nuancen, nachgezogen; Sie hatten quasi den gleichen Antrag an dem Tag, an dem hier im Landtag Neuwahlen beschlossen worden sind.
Nach der Neuwahl sind wir sofort mit unserem Antrag im Plenum gewesen und haben die parlamentarische Beschlussfassung herbeigeführt. Das Ministerium hat das anschließend in einen Referentenentwurf umgesetzt, der dann in die Verbändebeteiligung hineingegangen ist. Es hat also keine Verschleppung und keine Hinhaltetaktik gegeben.
Sie aber haben Ihre Prozesse in der Fraktion noch nicht abgeschlossen. Das sieht man auch an den Einlassungen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Das wird da sehr deutlich, und es ist sehr unterschiedlich.
Eine Sache finde ich wirklich bedenklich. Sie betrifft das, was ich jetzt in der Landschaft höre; und ich bin viel unterwegs, um mit Lehrern, mit Vertretern von Schulen und auch von Schulträgern zu reden. Ich bin irritiert, wie sich die kommunalen Spitzenverbände in dem gesamten Prozess verhalten haben und dass sie aus Gesprächen ausgestiegen sind. Ich kenne von ihnen jede Menge Forderungen, aber keine Zahlen, und das über lange Jahre in diesem Prozess. Die Hausaufgabe bezüglich der interkommunalen Ausgleiche von Umlageverbänden, Landschaftsverbänden, Kreisen und Kommunen – nichts wird diskutiert, auch von sich aus nicht. Und darin stecken eine Menge Hausaufgaben, die die kommunalen Verbände zu leisten haben.
Am bedenklichsten finde ich aber eine andere Sache, wenn sich diese bestätige sollte. Kommunen sollen von den Spitzenvertretern aufgefordert worden sein, die Erarbeitung ihrer kommunalen Inklusionspläne anzuhalten; denn offenbar könnte damit deutlich werden, dass die jetzige Entwicklung nur einen Prozess fortführt, der seit 1985 in Nordrhein-Westfalen läuft.
Wenn das richtig ist, dann ist das eine Blockadehaltung, die auf dem Rücken von Kindern ausgetragen wird. Das darf so nicht sein. Wir sind jederzeit bereit, miteinander darüber zu reden. Aber das, was da passiert ist, ist nicht lauter, wenn es wirklich so sein sollte.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und die Kommunen wissen selbst, dass der demografische Wandel auch nicht vor den Förderschulen Halt macht. Circa zwei Drittel aller Förderschulen erreichen die Mindestzahlen jetzt schon nicht mehr. Das ist auch den Kollegen von der CDU bekannt. Und das ist auch schon länger so.
Es ist auch nicht nachzuvollziehen, wenn sehr lautstark eingefordert wird, das Land solle eine Leistung übernehmen, die eigentlich aus dem Sozialgesetzbuch finanziert wird, nämlich die Integrationsassistenzen. Sie stehen einem Kind als individuelles Recht zu. Wenn sie an der Förderschule zugestanden werden, dann auch an einem anderen Ort, nämlich in der allgemeinen Schule. Die Inklusion löst insofern nichts Neues aus.
Eine Sache will ich zum Schluss noch aufgreifen. Nach Ihrem gestern vorgestellten Finanzkonzept wollen Sie im Bereich Schule 300 Millionen € einsparen. Sie stellen noch 170 Millionen bereit, um Inklusion und den Ganztag vor Ort in den Kommunen zu gestalten. Ich verlange von Ihnen die Antwort: Steigen Sie jetzt aus dem Schulkonsens aus? Steigen Sie aus den Verbesserungen der Rahmenbedingungen aus, die wir gemeinsam vereinbart haben? Das lässt sich nämlich so nicht machen.
Ich finde, es ist besser, wenn die Menschen bei Rot-Grün und damit bei den verlässlichen Ressourcen,
(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])
die wir festgelegt haben, bei dem Weg, auf dem wir weitergehen, bleiben als sich auf diese Konzepte, die Sie vorgelegt haben, zu verlassen. Wir gehen den Weg zur Inklusion weiter: sorgsam, konsequent und wirkungsvoll. Darin werden wir uns nicht beirren lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mehr zum Thema

Inklusion