DS 16/1898 Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Ausgangssituation

Die Autonomie der Hochschulen ist seit langem zentrales Leitmotiv der Wissenschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen. In konsequenter Anwendung dieses Grundsatzes hat die damalige Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem am 1. April 2000 in Kraft getretenen Hochschulgesetz die Freiheit der Hochschulen in bundesweit einmaligen Umfang ausgebaut. In der Umsetzung dieses Gesetzes hat die Landesregierung das Konzept des Globalhaushaltes ausgestaltet und damit beachtliche Kräfte der Selbststeuerung in den Hochschulen freigesetzt. Mit diesem neuen Kapitel der Hochschulpolitik wurden Forschung und Lehre an den Hochschulen nachhaltig gestärkt.
Im engen Anschluss daran hat Rot-Grün im Jahr 2004 mit dem Hochschulreformweiterentwicklungsgesetz die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass nicht mehr das Ministerium, sondern die einzelnen Hochschulen die Professorinnen und Professoren berufen. Zudem hat die Landesregierung seinerzeit weitgehend auf die Genehmigung von Studiengängen und Prüfungsordnungen verzichtet. Damit wurde bereits weit vor dem sogenannten „Hochschulfreiheitsgesetz“ die Verantwortung für die Gestaltung von Lehre und Studium im beginnenden Bologna-Reformprozess auf die Hochschulen übertragen.
Mit dem NRW-Hochschulgesetz aus dem Jahr 2007 wurden die Hochschulen in Nordrhein- Westfalen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt. Versäumt wurde aber, diese Verselbstständigung konsequent zu Ende zu denken. Die Verantwortlichkeit der Hochschulen als öffentlich-rechtlich handelnde Einrichtungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern wurde im NRW-Hochschulgesetz nicht im erforderlichen Umfang neu justiert. So ist es beispielsweise dem demokratischen Willensbildungsprozess im Allgemeinen und dem Budgetrecht des Parlaments im Besonderen nicht angemessen, dass der Landtag zwar jährlich die Globalhaushalte der
Hochschulen beschließt, die Hochschulen aber anschließend nicht mehr angemessen bei der selbstständigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben begleiten kann. Ebenso ist es der Verantwortung der Landesregierung für das Hochschulwesen unangemessen, wenn der Verantwortungsgedanke nur bei den Hochschulen selbst und nicht auch beim Land hochschulrechtlich angesiedelt wird. Die Gestaltungsverantwortung der autonomen Hochschulen ist nur im Zusammenwirken mit der Gewährleistungsverantwortung des Landes langfristig tragfähig.
Das NRW-Hochschulgesetz ist somit auf halber Strecke stehen geblieben: Es hat den Autonomiegedanken weiterentwickelt, ohne dem Verantwortungsgedanken angemessen Rechnung zu tragen. Zu Recht hat der Hauptpersonalrat beim Wissenschaftsministerium daher in seiner damaligen Stellungnahme im Rahmen der parlamentarischen Anhörung zum NRW-Hochschulgesetz "mit Nachdruck den weitgehenden Rückzug des Staates aus seiner abschließenden Verantwortung für den tertiären Bildungsbereich und dessen Akteure" kritisiert.
Der neu eingeführte Hochschulrat konnte diese offene Flanke des NRW-Hochschulgesetzes nicht schließen. Die demokratisch gebotene Anbindung der Hochschulen an das Parlament kann nicht ausschließlich durch hochschulinterne Organe geleistet werden.

II. Hochschulzukunftsgesetz: Autonomie und Verantwortung zusammen denken

Am 20. November 2012 hat die Landesregierung Eckpunkte zum Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetzes beschlossen. Diese beruhen auf einem sorgfältigen und offenen Dialog mit allen Beteiligten und interessierten Gruppen über die Agenda der künftigen Hochschulgesetzgebung. Dieser Dialogprozess ist in der Geschichte der Hochschulgesetzgebung des Landes Nordrhein-Westfalen in dieser Form nahezu beispiellos und vorbildhaft.
Die beschlossenen Eckpunkte sowie die Stellungnahmen von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze seit Ende 2010 und der bisherige Verlauf des Dialogprozesses belegen, dass das geplante Hochschulzukunftsgesetz – in Fortführung einer jahrzehntelangen Traditionslinie von Rot-Grün – vom Gedanken einer zeitgemäßen Weiterentwicklung der bereits im Jahre 2000 hochschulgesetzlich umgesetzten Hochschulautonomie getragen ist.
Das Hochschulzukunftsgesetz wird den Autonomiegedanken vollenden, indem es Autonomie und Verantwortung zusammenbringt und damit die demokratische Lücke schließt, die das NRW-Hochschulgesetz gelassen hat.
Damit die autonomen Hochschulen innerhalb des demokratischen Gemeinwesens verantwortlich handeln können, ist es erforderlich, dass sich auch das Land seiner Verantwortung als Partner der Hochschulen stellt und eine strategische Planung umsetzt. Künftig soll die Landesregierung einen für die gesamte Hochschullandschaft verbindlichen Landeshochschulentwicklungsplan vorlegen, dessen Eckpunkte in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben und vom Landtag beschlossen werden.
Zudem muss der demokratische Anspruch auf Transparenz im Handeln der Hochschulen systematisch weiterentwickelt werden. Ein angemessenes Finanzcontrolling der verselbständigten Hochschulen ist die Voraussetzung dafür, dass parlamentarische Entscheidungen in Zeiten knapper Haushaltsmittel sachgerecht und entsprechend der für das Land zentralen Bedeutung des Hochschulwesens getroffen werden können.
CDU und FDP versuchen demgegenüber, die Verantwortung des Landes für das Hochschulwesen so weit wie möglich abzustreiten. Damit schwächen sie sowohl die demokratische Legitimation der Hochschulen als auch deren berechtigte Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Land. Offenkundig wollen CDU und FDP keine Verantwortung für die nordrhein-westfälische Hochschullandschaft übernehmen. Die langfristige Abkehr von der Gewährleistungsverantwortung des Landes aber wäre hochschulrechtlich ein Verfassungsbruch und hochschulpolitisch ein Offenbarungseid. Wer das Land als verlässlichen Partner der Hochschulen begreift, darf sie nicht alleine lassen. Wer starke und autonome Hochschulen will, muss auch ihre demokratische Verantwortlichkeit stärken.
Dabei bedarf es nicht nur im Verhältnis zwischen Land, Gesellschaft und Hochschulen der Nachsteuerung. Auch innerhalb der Hochschulen selbst sind die demokratischen Strukturen weiterzuentwickeln und die damit verbundene Kultur zu fördern. Die derzeitige Form der Hochschulräte hat sich als verfassungsrechtlich bedenklich erwiesen und zu einer demokratischen Ernüchterung an den Hochschulen geführt. Daher gilt es auch hier zielgenaue Korrekturen durchzuführen und in diesem Zusammenhang insbesondere die Position der Senate in den Entscheidungsstrukturen der Hochschulen zu stärken.
Mehr denn je ist es heute auch Aufgabe der Hochschulen zentrale Beiträge zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu liefern und dabei die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen von technologischen und sozialen Innovationen umfassend zu berücksichtigen. Auch die Verankerung dieser ethischen Verantwortung bedarf einer zukunftsgerechten Weiterentwicklung im Rahmen des Hochschulgesetzes.

III. Der Landtag stellt fest

1.         Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ ist auf halber Strecke stehen geblieben, indem es den Autonomiegedanken weiterentwickelt hat, ohne dem Verantwortungsgedanken angemessen Rechnung zu tragen.
2.         Über ein Hochschulzukunftsgesetz soll diese offene Flanke des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ geschlossen werden.
3.         In einer Demokratie müssen Autonomie und Gestaltungsverantwortung der Hochschulen auf der einen Seite und die Gewährleistungsverantwortung des Landes auf der anderen Seite zusammen gedacht werden.
4.         Das Land ist dabei – anders als dies CDU und FDP sehen wollen – kein Gegenspieler der nordrhein-westfälischen Hochschulen, sondern steht mit ihnen in einer wechselseitigen und verlässlichen Verantwortungspartnerschaft, die es gemeinsam zukunftsfest zu machen gilt.
5.         Mit dem dafür eingeschlagenen Weg, der auf den Dialog und den sorgfältigen Interessensausgleich aller Beteiligten setzt, hat die Landesregierung ein neues Kapitel demokratischer Beteiligung in der Hochschulgesetzgebung aufgeschlagen.

IV. Der Landtag beschließt

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.         vor dem Hintergrund einer bereits jahrzehntelangen Traditionslinie die bestehende Hochschulautonomie auf der Grundlage der von der Landesregierung beschlossenen Eckpunkte angemessen weiterzuentwickeln;
2.         den bisherigen offenen Dialogprozess mit den Beteiligten und interessierten Gruppen weiterzuführen;
3.         die Ergebnisse dieses Dialogprozesses bei der Erarbeitung des Entwurfs eines
Hochschulzukunftsgesetzes einzubeziehen;
4.         dabei insbesondere solche Ergebnisse zu berücksichtigen, die Hinweise darauf geben, an welchen Stellen die demokratischen Strukturen innerhalb der Hochschulen, ihre gesetzlichen Aufgaben sowie das Verhältnis ihrer Gestaltungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortung des Landes zukunftsgerecht angepasst werden müssen.