Arndt Klocke: „Die Brücke ist ein Signal und ein Symbol für die marode Infrastruktur bei uns im Land.“

Unterrichtung der Landesregierung zur Sperrung der Rheinbrücke A1 bei Leverkusen

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal ein Dank an den Minister für die Unterrichtung, die Information und das zügige Handeln in der Sache. Lieber Herr Schemmer, das ist kein Aktionismus, sondern das war dringend notwendig. Für die Rede hätten wir Ihnen gern ein Hustenbonbon angeboten, dann hätte man Sie noch besser verstehen können.
(Zuruf von der FDP: Honigbonbon!)
In den letzten Wochen haben die Ingenieure, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Straßen.NRW wichtige Arbeit geleistet, und das bei bitterer Kälte.
(Zurufe von der FDP: Oh!)
Ihnen gilt ein großer Dank, insbesondere auch den Polizistinnen und Polizisten. – Ich weiß nicht, warum man Ihnen das sagen muss. Wir haben in den grünen Reihen einige Polizistinnen und Polizisten, die da eine Woche eingesetzt waren und uns berichtet haben, was vor Ort los war, wie schwierig es war, die Brummifahrer abzudrängen. Wenn man das im Plenum erwähnt und zu Protokoll gibt, scheint das der FDP nicht zu gefallen – warum auch immer.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Wir bedanken uns auf jeden Fall bei den Bauingenieuren und bei den Polizistinnen und Polizisten. Die wichtige Brücke ist ein Nadelöhr für den Verkehr in Nordrhein-Westfalen, sehr geehrte Damen und Herren, und sie ist – so schlimm das Vorkommnis ist – ein Signal und ein Symbol für die marode Infrastruktur bei uns im Land. Kürzlich schrieb ein Journalist: Leverkusen ist überall. – Da ist etwas dran, denn in Nordrhein-Westfalen sind fast 400 Autobahnbrücken dringend sanierungsbedürftig. Es geht um ein Gesamtvolumen von 3,5 Milliarden €.
So schwierig die Situation ist, es ist vielleicht gut, dass wir die Debatte jetzt führen, dass wir einen Blick auf die marode Infrastruktur des Landes werfen und dass in den nächsten Wochen und Monaten entsprechend gehandelt wird. Wir brauchen eine Allianz für Infrastruktur im Land, eine Allianz für Sanierung und ein Sonderarbeitsprogramm, in dem Bund und Land zusammenarbeiten. In dem Zusammenhang – das wird der FDP und auch der CDU vielleicht ein bisschen besser gefallen – sind die Zusagen aus Berlin – der Besuch von Staatssekretär Bomba, die Zusage über 1 Million € für die Planung und auch die Zusage, dass bis 2020 ein Ersatzbau errichtet und die Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen – ein gutes Signal. Wir bedanken uns dafür, dass auch die Bundesregierung in dem Punkt schnell gehandelt hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Letztlich ist es egal, wer in Berlin oder in Düsseldorf an der Regierung ist, wir müssen uns in den nächsten Jahren besser um unsere Infrastruktur kümmern. Das Verteilen des Geldes im Verkehrsbereich nach Himmelsrichtungen muss ein Ende haben. Es muss in den nächsten Jahren nach Bedarfen verteilt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und Bedarfe sind in Nordrhein-Westfalen sehr stark vorhanden.
Die VDV-Studie hat belegt, dass wir in Nordrhein-Westfalen für die Sanierung von U- und Stadtbahnsystemen in den nächsten Jahren 1,1 Milliarden € brauchen, also in den nächsten fünf Jahren 1,1 Milliarden € für Ersatzinvestitionen, weil die Städte in den 70er- und 80er-Jahren für U-Bahntunnel, für Stadtbahnstrecken keine Rücklagen gebildet haben und jetzt nach 30, 40 Jahren dort die Sanierungen anstehen.
Das, was die Brücke bei der A1 in Leverkusen ist, das ist die U-Bahnstrecke in Mülheim, die im Herbst stillgelegt worden ist. Auch hier haben wir die Situation, dass die Infrastruktur mittlerweile so marode ist, dass in Essen eine Haltestelle und in Mülheim die U-Bahnlinie stillgelegt werden musste.
Das ist unsere Antwort auf die Situation: Wir brauchen mehr Geld im System für Sanierung. Deswegen brauchen wir eine nutzerorientierte Finanzierung und eine höhere Lkw-Maut auf allen Straßen, und das mindestens ab 7,5 t, besser ab 3,5 t.
Wenn man sich momentan unsere Briefeingänge oder unsere Mails, die wir bekommen, durchguckt, dann stellt man fest: Man wird jetzt viel angeschrieben, gerade von Betrieben, von IHKn, von der Logistikwirtschaft, dass dringend gehandelt werden muss, dass die Brücke bei Leverkusen saniert werden soll. Aber auf gar keinen Fall soll man weitere Abgaben erheben. Die Aufforderung „Hände weg von der Lkw-Maut!“ erreichte uns gestern.
Sehr geehrte Damen und Herren, so wird es in den nächsten Jahren nicht funktionieren. Wir brauchen eine nutzerorientierte Steigerung der Abgaben, damit wir mehr Geld für die Sanierung unserer Straßen und unserer Stadtbahnsysteme in Nordrhein-Westfalen einsetzen können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Hier kommt es darauf an, dass wir in den nächsten Wochen einen Konsens erreichen. Da hat der Kollege Breuer eben das Richtige gesagt. Eine Anhebung der Lkw-Maut ist nur dann zu verantworten, wenn dieser Betrag eins zu eins in die Verkehrsinfrastruktur geht. Es muss eine zweckgebundene Abgabe sein, die in den Infrastrukturhaushalt geht.
Ich habe den Eindruck, dass wir mittlerweile auf der Bundesebene in der Diskussion weiter sind. Ich hatte am Montagabend das Vergnügen, den ADAC-Präsidenten, Herrn Peter Meyer, zu hören, der ganz klar sagt: Die große Zukunftsaufgabe im Land ist nicht der Neubau von Straßen, sondern ist die Sanierung und der Erhalt von Straßen in Deutschland. – Nun ist ja der ADAC nicht bekannt als grüne Vorfeldorganisation.
(Zuruf von der SPD: Wer weiß!)
Ich fand es spannend, dass er sozusagen mit dieser Äußerung herausging.
Wenn ich mir – um mal ein weiteres Stichwort zu nennen – die Zusammenstellung der Planungen in den Regionalräten in Nordrhein-Westfalen angucke, die Anmeldungen für den neuen Bundesverkehrswegeplan, dann stelle ich fest, dass die Botschaft, dass wir uns zentral um Sanierung und Erhalt kümmern müssen, leider in den Kommunen und in den Kreisen in Nordrhein-Westfalen noch nicht angekommen zu sein scheint. Denn dort wird für die Anmeldung des Bundesverkehrswegeplans 2015 wieder die große Wünsch-dir-was-Liste ausgebreitet. Ich habe mir das mal detailliert beim Regionalrat Düsseldorf angeguckt: Wenn wir die Straßenprojekte, die jetzt gerade dort zusammengestellt worden sind, in Nordrhein-Westfalen realisieren wollten, dann hätten wir den Straßenbauetat der nächsten 20 Jahre komplett aufgebraucht.
Wir brauchen eine realistische Sicht auf die Dinge. Eine realistische Sicht auf die Dinge heißt, wir brauchen eine Priorisierung und eine Schwerpunktsetzung. Wir müssen uns auf das Notwendige konzentrieren. Es kann nicht sein, dass sozusagen jedes regionale Einzelinteresse bedient wird und jede kleine Umgehungsstraße uns die nächsten 20, 30 Jahre blockiert.
(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])
– Fahrradautobahnen werden, wenn wir sie gebaut haben, lieber Herr Schemmer, die Straßen in Nordrhein-Westfalen entlasten. Deswegen werden wir das im nächsten Jahr voranbringen.
(Weiterer Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])
– Wenn die Fahrradautobahnen vom Bund bezuschusst werden.
(Lachen von der CDU)
Das hätte ich mir bei der 750-Millionen-€-Liste von Herrn Ramsauer gewünscht, die wir jetzt ja mit den ganzen Einzelmaßnahmen vorgelegt bekommen haben. Dort finden sich zahlreiche Umgehungsstraßen, insbesondere im Süden und insbesondere in Bayern, auf die man gut und gerne hätte verzichten können. Ein paar Fahrradschnellstraßen hätten dieser Liste durchaus gutgetan,
(Zurufe von der CDU)
damit wir die Straßen und auch die überlasteten Stadtbahnen, die U-Bahnen und S-Bahnen in Nordrhein-Westfalen entlasten können.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir können uns in Zukunft, sehr geehrte Damen und Herren, eine solche Politik der Gießkanne und des Wünsch-dir-was nicht mehr leisten. Wir können uns auch in Zukunft keine Großprojekte mehr leisten, die uns mit fehlerhafter Planung, wenn sie uns dann finanziell aus dem Ruder laufen – ich nenne nur das Stichwort „Stuttgart 21“ und den Berliner Hauptstadtflughafen –, über Jahre in der Verkehrsinfrastruktur blockieren, wofür Milliarden zusätzlich investiert werden müssen, die in anderen Bereichen fehlen. Die Milliarden, die in Stuttgart verbuddelt werden, hätte man besser für Straßensanierung ausgegeben.
(Beifall von der SPD)
Die hätte man besser für Brückensanierung ausgegeben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Die hätte man in Nordrhein-Westfalen viel besser investieren können als da, wo sie jetzt eingesetzt werden.
Wir brauchen, wenn jetzt ein neuer Bundesverkehrswegeplan aufgestellt wird und weitere Schienenprojekte geplant werden, vorab eine bessere Öffentlichkeitsbeteiligung. Was wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können werden, das ist Bürgerbeteiligung über zahlreiche Klageverfahren, über Prozesse, über Volksabstimmungen, die im Nachhinein stattfinden. Wenn man die Bürgerinnen und Bürger im Land rechtzeitig beteiligt, wenn man die Planungen offenlegt, wenn man sich dem Gespräch stellt, dann kann man Verkehrsinfrastrukturprojekte viel schneller in diesem Land voranbringen. Das muss unsere Aufgabe sein mit Blick auf den neuen Bundesverkehrswegeplan, dass man sich jetzt der Debatte stellt und nicht Planungen vorantreibt, die man erst viel später offenlegt, die die Bürgerinnen und Bürger im Nachhinein beklagen. Darauf werden wir in Zukunft aufpassen, dass diese Bürgerbeteiligung stattfindet.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Wir werden und müssen uns auch Gedanken machen, was den Modal Split und die Veränderung des Modal Split angeht. Das hat der Verkehrsminister eben angesprochen. Bezüglich des Güterverkehrs gibt es positive Beispiele in unseren Nachbarländern. Wenn man sich die Niederlande anguckt, wenn man sich zum Beispiel die Planungen in Rotterdam anguckt – ich hatte diese Woche ein Gespräch mit Vertretern des Rotterdamer Hafens –: Hier gibt es eine klare Festlegung für die Verteilung beim Modal Split bis 2030 und entsprechende Festlegungen von Finanzquellen und Verkehrsinfrastrukturprojekten. Hier soll verschoben werden, nämlich weg von der Straße und hin zu Wasserwegen und zur Schiene. Dafür werden entsprechend Gelder zur Verfügung gestellt. Ein Blick zu den niederländischen Nachbarn würde helfen, damit wir unsere Planungen besser in die richtige Richtung lenken.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)
– Sie dürfen mir, liebe Kollegen von der FDP, gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich fühle mich natürlich durch Zwischenrufe geadelt. Aber Sie dürfen mir gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie meine Ausführungen kritikwürdig finden oder irgendetwas anzumerken haben. Auch Herr Lindner kann das gerne machen – oder Herr Rasche; wie auch immer.
(Christian Lindner [FDP]: Ich habe keine Fragen an Sie!)
– Okay. – Wenn wir jetzt nicht konzentriert und klug handeln, drohen uns in den nächsten Jahren weitere massive Schäden in der Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen, die auch unseren Wirtschaftsstandort schwächen werden.
Wir brauchen verstärkte Investitionen. Wir brauchen hier auch weitere Unterstützung vom Bund. Die Benachteiligung von Nordrhein-Westfalen in zahlreichen Bereichen, die wir auch zahlenmäßig nachgewiesen haben – wenn vonseiten des Bundes Gelder zur Verfügung gestellt werden, stehen uns nach dem Königsteiner Schlüssel 21 % zu; wir stellen aber fest, dass bei den zentralen Infrastrukturprojekten nur 3 bis 4 % nach Nordrhein-Westfalen fließen –, muss dringend beendet werden. Wir brauchen mehr Geld für Infrastruktur. Der Druck muss hier erhöht werden.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Egal, welche Regierung und welche Farbenlehre gerade am Start war, ist Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn, 15 Jahren hier deutlich benachteiligt worden.
Wir von SPD und Grünen laden mit diesem Entschließungsantrag alle Fraktionen zur Diskussion und zur Mitarbeit ein. Teilweise gibt es im Verkehrsausschuss konstruktive Debatten und eine fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Sie ist in dieser Frage dringend notwendig, damit wir nicht aufs Abstellgleis geschoben werden und noch weitere Vorfälle wie den in Leverkusen zu beklagen haben. Wir dürfen in Nordrhein-Westfalen nicht abgehängt werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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