Hans Christian Markert: „Unsere moderne Industriepolitik versteht sich als Gesamtkonzept“

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Einsetzung einer Enquetekommission zur Zukunft der Chemieindustrie

Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen beschäftigt uns die Opel-Krise. Gerade diese bedrückende Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, politische Verantwortung für eine rechtzeitige und zukunftsfeste Weiterentwicklung unseres Industriestandortes zu übernehmen.
„Der Aufbau industrieller Kernkompetenzen dauert mehrere Generationen und mehrere Jahrzehnte. Das bedeutet, was weg ist, ist praktisch für immer weg.“ – Ich habe soeben Dr. Klaus Engel zitiert, den Vorstandsvorsitzenden von Evonik Industries und ehemaligen Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie in Deutschland.
Die Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben uns in der Tat deutlich vor Augen geführt, dass uns das Vorhandensein starker und gesunder industrieller Kerne insgesamt besser durch die Krise gebracht hat als nahezu alle anderen europäischen Volkswirtschaften. Unsere Volkswirtschaft ist eine der ganz wenigen traditionellen Industriegesellschaften, die überhaupt noch nennenswerte industrielle Kerne aufzuweisen hat.
Auch deswegen wollen wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dieser Legislaturperiode die Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ziel der Enquetekommission ist es, an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und im Konsens mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen in zwei Jahren Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die der Schlüsselfunktion der chemischen Industrie als Innovationsmotor für die gesamte Industrie gerecht werden.
Die Fragestellungen der Enquetekommission bewegen sich hierbei entlang fünf großer ökonomischer und ökologischer Herausforderungen unserer Zeit:
1.      Alternative Rohstoffe zum Öl
2.      Umweltverträgliche Produktionsverfahren und Werkstoffe
3.      Neue Speichertechnologien in der Elektrochemie
4.      Nachahmung umweltschonender natürlicher Prozesse in der Industrie, die sogenannte Biomimetik
5.      Zukunft der Wasserstofftechnologie, allgemein: Power-to-Gas-Technologie
Wir wollen hiermit den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen durch Nachhaltigkeit sichern und zukunftsfest ausbauen. Unsere moderne Industriepolitik denkt nicht mehr in Gegensätzen, sondern versteht sich als Gesamtkonzept, das ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung zusammenführt.
Aber warum eigentlich die chemische Industrie? – Die chemische Industrie mit ihren über 100.000 Beschäftigen in Nordrhein-Westfalen ist wie kaum eine andere Industriebranche eng mit anderen Branchen verknüpft. Rund 70 % aller von der chemischen Industrie hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. Als zentraler Materiallieferant stößt die chemische Industrie einen hohen Anteil von Innovationen in diesen Wertschöpfungsketten an. Daher kommt der Chemie eine entscheidende Rolle bei der großen ökologischen Zukunftsfrage unserer Zeit zu.
Studien der OECD belegen, dass es trotz aller Effizienzbemühungen ein „Weiter so!“ nicht geben kann. Diese Studien führen uns unsere Verantwortung vor Augen. Die modernen Industriegesellschaften der Nordhalbkugel sind dafür verantwortlich, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts geschätzte 60 % der weltweiten Ökosysteme zerstört, geschädigt oder übernutzt worden sind.
Daher stoßen wir alleine mit Effizienzstrategien, die natürlich nach wie vor zentral bleiben, aber auch mit herkömmlichem nachgelagertem Umweltschutz zunehmend an unsere Grenzen. Die Fragestellungen dieser Enquete zielen daher auf eine politische Ökologie, indem wir rechtzeitig neue Rohstoffbasen, Produktionsverfahren und Produkte erforschen. Damit zielen die Fragen auch auf die Märkte der Zukunft und, wie ich eingangs erwähnte, auf Erhalt und Ausbau unserer industriellen Kerne in der Chemie.
Es ist kein Zufall, dass wir gerade aus dieser Industrie sehr viel Zuspruch für diesen Ansatz erfahren haben. Gefragt sind vorausschauendes Denken, Pioniergeist und Mut zum unternehmerischen Risiko.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, deswegen möchte ich Sie im Namen meiner Fraktion sehr herzlich einladen, gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteuren aus Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft in der Enquetekommission Handlungsoptionen für die nachhaltige Sicherung und den nachhaltigen Ausbau der Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln. Ich lade Sie für die nächsten zwei Jahre sehr herzlich zu einer guten Zusammenarbeit ein. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Mehr zum Thema

Umweltschutz, Wirtschaft