Matthi Bolte: „Die Bundesregierung muss diese Kritik annehmen und den Gesetzentwurf in geeigneter Form nachbessern“

Antrag der Piraten-Fraktion zum Schutz der Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Korte, ich glaube, die CDU und das Internet werden keine Freunde mehr.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dass Sie uns erzählen, dass das freiwillige Preisgeben von bestimmten Lebensereignissen völlig gleichzusetzen sei mit staatlichen Datenabfragen, fand ich schon – freundlich formuliert – sehr kreativ. Ich kann da nur noch mit dem Kopf schütteln.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Zur Sache: Das Bundesverfassungsgericht hat in dem schon mehrfach genannten Urteil festgestellt, dass die Bestandsdatenabfrage grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, die derzeitige Fassung des TKG allerdings Mängel aufweist, die zur Verfassungswidrigkeit geführt haben. Allein diese Zusammenfassung der Leitsätze zeigt für mich, dass wir es mit einem Gesetzgebungsverfahren zu tun haben, bei dem es eine differenzierte Betrachtung braucht.
Es ist zunächst zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil klargestellt hat, dass dynamische IP-Adressen vom Fernmeldegeheimnis umfasst sind. Zuvor war das umstritten, ob und inwieweit der Schutzbereich des Art. 10 GG auch auf diesen Bereich anwendbar ist. Das haben wir jetzt nach dem Urteil klar. Wir wissen auch, dass entsprechende Schrankenwirkungen bestehen müssen.
Hohe Datenschutzstandards zu kodifizieren und durchsetzungsstark zu gestalten, das ist das Gebot des digitalen Zeitalters. Insofern war das Urteil aus Karlsruhe ein durchaus wichtiger Schritt.
Die Bundesregierung hat mit diesem Urteil Hausaufgaben aufbekommen, die sie in dem Gesetzentwurf, den sie Ende Oktober vorgelegt hat, hätte erfüllen sollen. Aber es zeigt sich bereits jetzt – das ist sowohl von Herrn Herrmann als auch von Herrn Schlömer angesprochen worden –, dass der Gesetzentwurf von verschiedenen Seiten zu Recht kritisch bewertet wird. Von verschiedenen Fachleuten werden Zweifel angemeldet, ob die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil festgelegt hat, tatsächlich so umgesetzt werden.
Eine sehr prägnante Stellungnahme – diese ist ebenfalls bereits zitiert worden – stammt von Herrn Weichert aus dem ULD Schleswig-Holstein. Darin wird insbesondere kritisiert, dass die bislang vorgesehenen Zugriffshürden im Sinne des Datenschutzes zu niedrig seien. Aus meiner Sicht – ich hoffe, diese Überzeugung teilen alle, weil wir es da mit einem ganz wichtigen Grundrecht zu tun haben – muss die Bundesregierung diese Kritik annehmen und den Gesetzentwurf in geeigneter Form nachbessern. Wie das genau passieren kann, wird sicherlich ein ganz zentraler Gegenstand unserer Debatte auch hier im Hause sein.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit einer differenzierten Debatte, die ich mir zu diesem Thema wünsche, ist die elektronische Schnittstelle, die ebenfalls in dem Antrag angesprochen wird. Sie wird auf der Fachebene sehr unterschiedlich bewertet. Einige befürchten eine anlasslose Massenabfrage. Andere wie zum Beispiel Thomas Stadler, der – das wissen sicherlich viele – mit seinem Blog „Internet-Law“ in der Community sehr angesehen ist, legen den Gesetzentwurf so aus, dass keine vollautomatisierte Abfrage vorgesehen ist und jedes Auskunftsersuchen als Einzelfall zu prüfen ist. Ich hoffe natürlich, dass wir im weiteren Verfahren feststellen werden, dass dieses Letztgenannte tatsächlich der Realität entspricht und wasserdicht zutrifft. Denn eine unbeschränkte Massenabfrage wäre sicherlich nicht vertretbar.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Der vorliegende Antrag wirft in seinen zwölf Punkten durchaus Fragen auf, die wir diskutieren müssen. Wir müssen die Debatte in der aus meiner Sicht in bürgerrechtspolitischen Fragen immer notwendigen und gebotenen Seriosität führen, gerade weil man bei der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen im Deutschen Bundestag eben nicht davon ausgehen kann, dass sie genau diese Seriosität an den Tag legen werden. Mir fällt als erstes Herr Uhl von der CSU ein, der im vergangenen Jahr nach dem furchtbaren Amoklauf in Norwegen tatsächlich sagte, diese Tat sei – Zitat – „im Internet geboren“. Wer so wenig von der Digitalisierung versteht, meine Damen und Herren, der sollte schlicht und ergreifend die Finger davon lassen. Und der Beitrag der Kollegin Korte ist tatsächlich in der gleichen Liga zu verorten.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Das war Outing!)
Ich wünsche mir diese Bereitschaft zur sachlichen und seriösen Diskussion von allen Fraktionen. Ich fand den Beitrag von Herrn Herrmann durchaus in eine entsprechende Richtung gehend. Insofern wird es sicherlich eine ganz interessante Debatte, die vor uns liegt.
Debatten über unsere Grundrechte und ihre Durchsetzung unter den Bedingungen der Digitalisierung benötigen Zeit. In diesem Sinne stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu, und ich – das muss ich wirklich sagen – blicke der Beratung tatsächlich mit sehr großem Interesse entgegen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)