DS 16/1435 Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Landesregierung

A Problem und Ziel

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u. a.) die wesentlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Die Normen dürfen längstens bis zum 31. Mai 2013 gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angewendet werden. Den Gesetzgebern in Bund und Ländern wurde aufgegeben, ein Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und normativ festzuschreiben, das dem verfassungsrechtlichen "Abstandsgebot" Rechnung trägt, wonach sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Strafhaft deutlich zu unterscheiden habe. Dabei habe der Bundesgesetzgeber angesichts seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich des Strafrechts die wesentlichen Leitlinien vorzugeben. Die Landesgesetzgeber hätten das Abstandsgebot sichernde, effektive Regelungen für den Vollzug der Maßregel zu treffen, die einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug gewährleisten.
Das Bundesministerium der Justiz hat unter dem 19. Juli 2011 erste Vorschläge („Eckpunkte“) für die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 („Bundesrechtliche Umsetzung des Abstandsgebots“) vorgelegt, die in der Folgezeit mit den Bundesländern diskutiert und weitgehend abgestimmt worden sind. Am 7. März 2012 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes beschlossen, der hinsichtlich der vollzugsrechtlichen Aspekte von den Ländern weit überwiegend mitgetragen wird.

B Lösung

Das Justizministerium legt den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen vor.
Neben einer Präzisierung der Vollzugsziele wird im Entwurf ein freiheitsorientierter und therapiegerichteter Vollzug vorgegeben, um die Gefahren, die von den Untergebrachten ausgehen, effektiv zu mindern und eine frühzeitige Entlassung aus der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen. Sämtliche Aspekte der Alltagsgestaltung einschließlich der Kontakte nach außen werden konsequent im Abstand zum Strafvollzug geregelt und Einschränkungen auf das Unumgängliche reduziert. Die Vergütung für Arbeit, die nicht mehr verpflichtend zu leisten ist, wird wie das Taschengeld für Bedürftige deutlich erhöht. Das System der vollzugsöffnenden Maßnahmen wird neu strukturiert. Hinzu kommen Vorgaben für die Unterbringungseinrichtung, die Personalausstattung, Aspekte des Opferschutzes sowie eine Regelung zu den Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

C Alternativen

Keine.

D Kosten

Der Entwurf enthält Regelungen für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und setzt damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Eine entsprechende Unterbringungseinrichtung ist am Standort der Justizvollzugsanstalt Werl geplant. Hierzu soll ein bereits im Eigentum des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW stehendes Grundstück genutzt werden, der Ankauf zusätzlicher Flächen ist vorgesehen. Die Neubauplanung wird derzeit mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW durchgeführt. Eine abschließende Baukostenberechnung liegt noch nicht vor. Es ist mit einer Jahresmiete von mindestens 5 Millionen Euro zu rechnen.
Aus vollzuglichen und organisatorischen Gründen sollen die erforderlichen Neubaumaßnahmen für Sicherungsverwahrte auf das Gelände einer Anstalt begrenzt werden, bei der bereits Erfahrungen mit dem Vollzug der Sicherungsverwahrung vorliegen. Auch aus wirtschaftlichen Gründen ist eine Zentralisierung der Plätze für die Sicherungsverwahrung an einem Standort ins Auge gefasst. Zur Nutzung von Synergieeffekten sollen neben der vorhandenen Infrastruktur (Küchenbereich, Medienversorgung, Verwaltungsbereiche) auch neu zu errichtende Bereiche (Außenpforte mit Sicherheitsschleuse, Stellplätze, Sozialräume für Bedienstete, Besuchsabteilung mit getrennten Bereichen für Sicherungsverwahrte und Strafgefangene, Gesundheitsfürsorge) mit dem Strafhaftbereich der Justizvollzugsanstalt Werl gemeinsam genutzt werden.
Auf Grund von Berechnungen des voraussichtlichen Unterbringungsbedarfs soll der geplante Neubau am Standort in Werl über 148 Plätze verfügen. Bei der Bewertung der Kosten ist zu berücksichtigen, dass die in den Justizvollzugsanstalten Werl und Aachen für Sicherungsverwahrte vorhandenen 127 Plätze künftig dem Normalvollzug zugeführt werden können.
Die einmaligen Kosten für die Erstausstattung des neu zu errichtenden Gebäudes werden sich voraussichtlich auf mindestens 1,5 Millionen Euro belaufen.
Der künftige Vollzug der Sicherungsverwahrung erfordert nach der verfassungsgerichtlichen Vorgabe aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 das Abstandsgebot sichernde, effektive Regelungen zur Gewährleistung eines freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzuges der Sicherungsverwahrung. Die Verpflichtung zur Entwicklung umfassender Behandlungskonzepte, die Erweiterung der Behandlungsangebote, die zu leistende Motivationsarbeit und die im Entwurf vorgesehenen Dokumentationspflichten erfordern zusätzliches qualifiziertes Personal.
Der voraussichtliche Personalbedarf für einen therapiegerichteten Behandlungsvollzug mit sozialtherapeutischen und weiteren Behandlungsangeboten (wie z. B. erweiterte Besuchszeiten, Ausführungen und verbesserte Wochenendbetreuung) für 148 Untergebrachte beträgt jährlich ca. 2.293.000 Euro.
Erforderliche therapeutische Behandlungen müssen aber bereits während des vorangehenden Strafvollzuges so zeitig beginnen und intensiv durchgeführt werden, dass sie möglichst schon vor dem Strafende abgeschlossen werden und die Sicherungsverwahrung entbehrlich werden lassen. Für die Intensivierung von Behandlungsmaßnahmen einschließlich zusätzlicher sozialtherapeutischer Angebote für noch in Strafhaft befindliche Strafgefangene mit anschließender Sicherungsverwahrung sind weitere jährliche Personalkosten in Höhe von ca. 2.189.000 Euro zu berücksichtigen.
Kosten für externe Psychotherapeuten, Ergound Motivationstherapeuten im Vollzug der Sicherungsverwahrung und im vorangehenden Strafvollzug belaufen sich auf 430.000 Euro.
Für die Gelder der Untergebrachten, deren Beschäftigung im Rahmen von arbeitstherapeutischen Angeboten gefördert werden muss, ergeben sich auf der Basis der gegenwärtig geltenden Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ca. 296.000 Euro Kosten jährlich. Für die Zahlung von Verpflegungszuschüssen (ca. 135.000 Euro) und die Beauftragung zusätzlicher externer Gutachten im Zusammenhang mit Lockerungsanträgen (ca. 135.000 Euro) fallen weitere jährliche Kosten an. Die Verpflegungszuschüsse werden regelmäßig durch ersparte Aufwendungen in gleicher Höhe kompensiert.
Durch die Nichtheranziehung der Untergebrachten für die Kosten der Unterbringung ergeben sich geschätzte Einnahmeverluste von rund 8.000 Euro. Bei den Haftkostenbeiträgen liegen die tatsächlichen Einnahmen regelmäßig weit unter den festgesetzten.
Für notwendige Fortbildungsveranstaltungen zu den Grundlagen der Sicherungsverwahrung und ihrer behandlerischen Gestaltung (ca. 24.000 Euro) sowie für begleitende Supervision der künftig im Bereich der Sicherungsverwahrung tätigen Kräfte (ca. 23.000 Euro) sind jährliche Kosten gesetzlich verpflichtend zu kalkulieren. Durch die Anpassung des vollzugsspezifischen IT-Verfahrens entstehen einmalig voraussichtlich Kosten in Höhe von 60.000 Euro. Für die Evaluierung des Gesetzes sind weitere Kosten zu erwarten.
Die Entscheidung über Kosten bleibt dem künftigen Haushaltsaufstellungsverfahren vorbehalten. Vorfestlegungen für den Haushalt sind nicht getroffen.

E Zuständigkeit

Federführend ist das Justizministerium. Beteiligt sind das Ministerium für Inneres und Kommunales, das Finanzministerium, das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, das Ministerium für Schule und Weiterbildung und das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.

F Befristung

Das Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen sieht die Anordnung einer Befristung in Form einer Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag bis zum Ablauf des Jahres 2018 vor.