Sigrid Beer: „Der Ganztag ist ein Zeitgefäß für ein anderes Lernen“

FDP-Antrag: Stärkungspakt für Gymnasien

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal die gute Nachricht, die dieser Antrag offensichtlich ausgelöst hat, zuerst benennen. Frau Kollegin Gebauer, Sie haben formuliert, dass es keine Benachteiligung für Gymnasien in Nordrhein-Westfalen gibt. Dann distanzieren Sie sich sicherlich auch von den Wahlkampfeinlassungen Ihres Fraktionsvorsitzenden in dieser Geschichte, der ja immer von der Benachteiligung der Gymnasien gesprochen hat und es auch heute noch mit Fleiß tut. Das ist erst einmal ein wohltuendes Sich-Absetzen von dieser Position.
Sie haben sicherlich auch zur Kenntnis genommen, was die Kollegin Stotz eben gesagt hat und was bereits im Schulgesetz steht. Frau Ministerin hat in der anderen Debatte davon gesprochen, dass an dem Projekt der Stiftung Mercator schon 142 Gymnasien beteiligt sind. Von daher ist Ihre Überschrift, Frau Gebauer, eigentlich auch fehl am Platz.
Die Gymnasien befinden sich nicht in der Position, einen Stärkungspakt zu benötigen wie Kommunen mit Haushaltssicherungskonzepten und tiefer Ressourcenkrise. Also ganz bestimmt nicht beim Gymnasium!
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Weil Ihnen das nicht in Ihr ideologisches Weltbild passt!)
Sie brauchen auch keinen Rettungsschirm wie den ESM. Mit dieser Überschrift liegen Sie völlig daneben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Also: Verschwörungstheorien gegen Gymnasien, das lassen wir mal. Die kann die FDP endgültig in die Mottenkiste packen.
Dann will ich zu einem zweiten Punkt kommen, den die Kollegin Birkhahn gerade vorgetragen hat, und das geht ein bisschen in die Richtung, in die die FDP oft argumentiert. Was ist denn eigentlich der Ganztag?
(Ralf Witzel [FDP]: Wir schützen die Gymnasien vor Rot-Grün!)
– Jetzt bitte nicht wieder so neurotische Dinge, Herr Witzel. Davon sind wir ja jetzt im Schulausschuss frei; das müssen wir hier auch nicht miteinander diskutieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Frage des Ganztags ist außerordentlich spannend. Was ist denn der Ganztag? – Der Ganztag ist ein Zeitgefäß für ein anderes Lernen. Der Ganztag ist ein Bildungskonzept und nicht eine Betreuungskomponente innerhalb der Schule. Das ist das Wichtige.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das wollen Sie den Gymnasien vorenthalten?!)
Deswegen ist das Interessante, dass Sie – auch aus den Reihen der CDU – mit Kleinen Anfragen zur Gestaltung der OGS kommen, bei denen ich mich frage: Von welchem Ganztagskonzept gehen Sie eigentlich aus? Von einer Beliebigkeit, weil man in der Familie heute Betreuungsbedarf hat, sie dann aber wieder aus der Gruppe herausnimmt? – Das kann alles so nicht sein. Leider hat Frau Birkhahn hiermit auch ein Missverständnis um die Ganztagsschule auf den Weg gebracht.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Beer, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Birkhahn aus der CDU zulassen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gerne.
Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank, Frau Beer. – Würden Sie mir zustimmen, dass eine unterschiedliche Konzeption beim offenen Ganztag und beim gebundenen Ganztag vorliegt und dass in dem einen Element Betreuung sicherlich eine andere Rolle spielt als in einem anderen Rhythmisierungsmodell, wie wir es im gebundenen Ganztag haben? Sollten wir darauf nicht doch differenzierter schauen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Ich will das noch einmal sehr deutlich betonen: Ganztag ist ein Bildungskonzept und kein Betreuungskonzept. Das ist die Grundlage.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Herr Stamp, auch für Sie noch zur Information: Den Gymnasien wird nichts vorenthalten, aber Sie haben sie in eine schwierige Situation gebracht, indem Sie ihnen das G8 vor die Füße gekippt haben. Das genau ist die Situation gewesen,
(Beifall von den GRÜNEN)
weshalb Gymnasien jetzt auch mehr in den Ganztag hineingehen. Gymnasien waren nie die Speerspitze der Ganztagsbewegung. Und sie sind es auch heute noch nicht. Dahin werden wir sie auch nicht zwingen. Aber jedem Gymnasium, das sich auf den Weg macht, wird der Ganztag auch gewährt. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Das, was Sie mit den Gymnasien gemacht haben, macht es erforderlich, dass da noch gearbeitet werden muss: G8 – ohne Mensen in der Kommune, G8 – ohne Vorbereitung eines Curriculums, G8 – ohne Vorbereitung für entsprechende Schulbücher! Das sind Ihre Hinterlassenschaften, an denen wir jetzt noch arbeiten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir müssen daran arbeiten, weil Sie so mit den Schulen und mit den Kommunen umgegangen sind. Von daher brauchen Sie sich nicht aufzuschwingen, hier in dieser Art und Weise vorzutragen. Das ist der Phantomschmerz bei Ihnen, Herr Witzel. Vielleicht vermissen Sie den Schulausschuss,
(Vereinzelt Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
aber wir haben dort jetzt fruchtbare Debatten.
Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen über die Frage von Ganztagskonzepten und wie man sie voranbringt. Aber leider hat die FDP, Frau Gebauer, auch nicht an der Bildungskonferenz teilgenommen. Da ist nicht in Schulformpolitik gedacht worden, sondern konzeptionell in der Breite mit Blick auf die Qualität des Ganztags in der Entwicklung. Wenn wir uns diese Dinge einmal gemeinsam angucken können, dann kommen wir in der Fachdiskussion etwas weiter. Aber wir vermeiden es auch, hier Missverständnisse über Konzeptionen und Funktionen vom Ganztag vorzutragen. Und auf der Ebene können wir uns dann gerne unterhalten.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, würden Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stamp zulassen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Von Herrn Stamp aber ganz besonders gerne!
(Michael Hübner [SPD]: Oh, da geht noch was! – Vereinzelt Heiterkeit)
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Beer, ich bin überwältigt von Ihrem Charme! Vielen Dank.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber Ihnen gegenüber immer!)
– Danke schön.
Sie haben gerade ausgeführt, dass der Ganztag eine besondere pädagogische Qualität habe und nicht nur auf die Betreuung abziele.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Auf ein Bildungskonzept!)
– Genau, auf ein Bildungskonzept. – Uns geht es mit der Flexibilisierung darum, dieses Bildungskonzept verstärkt auch den Gymnasien zur Verfügung zu stellen. Warum wollen Sie es denn dann, wenn es ein wichtiges Bildungskonzept ist, den Gymnasien vorenthalten?
Sigrid Beer (GRÜNE): Darf ich das noch einmal wiederholen: Es wird keinem Gymnasium vorenthalten. Sie haben es scheinbar immer noch nicht verstanden. Ich sage es noch einmal zum Mitschreiben, dann können Sie es nachlesen: Keinem Gymnasium, das den Antrag stellt, wird das vorenthalten.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie haben doch eben gesagt: Gymnasien brauchen es nicht!)
– Nein, ich habe gesagt, dass die Gymnasien nicht die Speerspitze der Ganztagsbewegung gewesen sind, Herr Stamp – das ist in der Tat so –, und dass einige erst dahin gekommen sind, weil Sie sie in eine Situation gebracht haben, ganz neu über Ganztag nachzudenken; aber nicht in einer pädagogisch motivierenden, herausfordernden Art und Weise, sondern Sie haben sie in eine Zwangssituation vor Ort gebracht, die eine echte Notsituation war: Die Kinder müssen länger in der Schule sitzen – ohne Ausstattung, ohne Pausen, ohne Mensaausstattung. Das ist Ihre Hinterlassenschaft gewesen.
(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wir wollen an den pädagogischen Konzepten arbeiten.
Noch einmal zum Abschluss: Pädagogisches Konzept heißt, anderes Lernen ermöglichen. Und das macht man in einer Gesamtschulorganisation. Nicht, dass die einen anders lernen und die anderen das wie vor hundert Jahren machen. Das ist die gemeinsame pädagogische Entwicklung.
(Zurufe von Ralf Witzel [FDP] und Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Ja, Sie lernen es, glaube ich, nicht. Wir haben noch ein paar Jahre Zeit. Dann können Sie auch an dieser Position noch arbeiten, Herr Stamp. Ich bin auch ganz frohgemut, dass Sie das dann irgendwann mitnehmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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