Das Betreuungsgeld hat eine falsche Lenkungswirkung
Das Betreuungsgeld wird von zahlreichen Kinder- und Jugendorganisationen, Frauenver-bänden, Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, der Sozial- und Bildungs-forschung, der EU-Kommission, der evangelischen Kirche in Deutschland und jüngst der OECD abgelehnt. Nach den unterschiedlichen Erhebungen von Meinungsforschungsinstituten lehnen auch etwa 70 – 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands das Betreuungsgeld ab.
Die einhellige Kritik ist, dass mit Kosten in Milliardenhöhe falsche Anreize gesetzt werden: Kinder könnten von frühkindlicher Bildung in Kindertagesbetreuung ferngehalten werden, das überholte familienpolitische Modell der Alleinverdiener-Familie solle befördert werden, besonders zu Lasten von Frauen. Es besteht die Gefahr, dass die positive Wirkung auf den Erwerb der deutschen Sprache von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund ausbleibt, wenn die Kinder aufgrund des Betreuungsgeldes nicht im deutschsprachigen Umfeld der Kita angemeldet werden. Auch ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken werden vorgetragen, da das Betreuungsgeld gegen den Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern verstoße. Gutachten namhafter Verfassungsrechtlerinnen und Einschätzungen des Bundesjustizministeriums kommen zu dem Ergebnis, dass das Betreuungsgeld nicht im Einklang stehe mit dem Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG.
In der Ausgestaltung ist das geplante Betreuungsgeld sozial ungerecht, da es bei Eltern in Sozialleistungsbezug als Einkommen angerechnet wird und daher gar nicht ankommt, während Eltern, die sich teure private Kinderbetreuung leisten können, Betreuungsgeld erhalten.
Nicht zuletzt wird massiv kritisiert, dass sich der hoch verschuldete deutsche Staat keine neuen familienpolitischen Maßnahmen mehr leisten kann, die letztlich durch eine höhere Neuverschuldung finanziert werden müssen. Gleichzeitig werden die Klagen seitens der Kommunen immer lauter, wonach der Ausbau der Kindertagesbetreuung die finanziellen Belastungsgrenzen sprengt. Während der U3-Ausbau und gerade die damit verbundenen Betriebskosten die Haushalte der verschuldeten Kommunen und der Länder strukturell dauerhaft belasten, hat der Bund seine finanziellen Leistungen zum U3-Ausbau gedeckelt und bei den Investitionen zeitlich befristet. Anders als bei der Finanzierung des U3-Ausbaus ist beim Betreuungsgeld auch fraglich, ob die Mittel in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bei den Kindern ankommen.
Länder wie Schweden, Finnland und Norwegen, die in der Vergangenheit das Betreuungsgeld eingeführt hatten, nehmen inzwischen davon Abstand. In einem Beitrag der Tagesthemen vom 06. Juni 2012 erklärte eine Sprecherin des schwedischen Finanzministeriums, ihr Haus empfehle die Abschaffung des Betreuungsgeldes: Es reduziere die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen und verursache Probleme beim Spracherwerb von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund. Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung werden auch in Norwegen große Nachteile für die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben und eine integrati-onspolitisch falsche Lenkungswirkung festgestellt. Deshalb wird ab August 2012 das Betreuungsgeld für zweijährige Kinder in Norwegen abgeschafft.
Wer die Wahlfreiheit der Eltern ernst nimmt, sollte die finanziellen Mittel des Bundes für die Schaffung eines qualitativ hochwertigen Betreuungsangebots einsetzen, im Bedarfsfall auch über die bisher angestrebten Ausbauziele hinaus. Diese Position stützt auch der aktuell vor-gestellte Bericht „Bildung in Deutschland 2012", der von Bundesregierung und Kultusministerkonferenz im Auftrag gegeben wurde. Er stellt unmissverständlich auf Seite 66 fest: „Da die Finanzierung des noch ausstehenden U3-Ausbaus – zuzüglich der notwendigen qualitativen Verbesserungen – alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen stellt, besteht die Gefahr, durch zusätzliche Leistungen wie dem Betreuungsgeld keines der intendierten Ziele zufriedenstellend realisieren zu können."
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist weiterhin gegen das Betreuungsgeld
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit dem Betreuungsgeld befasst. Dabei gab es regelmäßig eine breite inhaltliche Ablehnung über Fraktionsgrenzen hinweg. Auch führende CDU Politiker aus Nordrhein-Westfalen haben sich seit 2007 bis heute immer wieder gegen die Einführung des Betreuungsgelds ausgesprochen. In der aktuellen Medienberichterstattung wie auch in der Plenardebatte vom 19.10.2011 wurden stattdessen andere Vorschläge zur Würdigung der Erziehungsleistung unterbreitet, die aber politisch auf Bundesebene offenkundig nicht umsetzbar sind.
Politisch hat sich die Einführung eines Betreuungsgeldes in der Entwicklung der letzten Jahre zu einer reinen Machtfrage entwickelt: Es geht inzwischen ausschließlich um die politische Durchsetzungsfähigkeit der CSU auf Bundesebene, auch vor dem Hintergrund der kommenden Landtagswahlen in Bayern 2013. Für die CSU spielen daher Sachargumente, Rechtsfragen und die Meinung der Bevölkerung keine Rolle mehr. Eine solche Politik ist unserem Land nicht zumutbar und muss gestoppt werden.
Der Landtag stellt fest:
Auch der neu gewählte Landtag bekräftigt seine ablehnende Haltung zur Einführung eines Betreuungsgelds. Stattdessen sind alle Kräfte und finanziellen Mittel auf die Schaffung eines bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Betreuungsangebots für Kinder ab einem Jahr zu konzentrieren.