Josefine Paul: „Auch das finde ich einen Beleg dafür, dass diese Regierung offensichtlich keinen Plan hat“

Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die aktuelle Coronalage ist nach wie vor angespannt. Die NRW-Karte ist weiterhin flächendeckend rot. Laut aktuellem Lagebericht liegen zehn Kommunen gar über einem Inzidenzwert von 200. Die nun getroffenen Maßnahmen verlangen uns allen viel ab. Die gesellschaftliche Solidarität und Akzeptanz basiert auf der Nachvollziehbarkeit, aber auch der klaren Kommunikation von Regierungshandeln.
Der Titel Ihrer Unterrichtung „Verantwortungsvoll und vorausschauend – die Lage und der Ausblick zur Bewältigung der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen“ hätte aus unserer Sicht schon seit Monaten Grundlage Ihrer Politik sein müssen.
(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Auch heute haben wir, ehrlich gesagt, wenig zu einem konkreten Plan gehört. Wir haben wenig dazu gehört, wie Sie ab Dezember die Lage weiter gestalten wollen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Landesregierung auf unsere Forderung nach einer regelmäßigen Unterrichtung des Parlaments heute eingeht. Aber eigentlich hätten wir erwartet, dass uns die Schulministerin heute über ihren Plan für die Schulen im Land unterrichtet.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Mehr noch: Es gab nicht einmal ein einziges Wort dazu. Weder der Gesundheitsminister noch Herr Preuß ist in seiner Rede auch nur ansatzweise auf diesen entscheidenden Bereich, über den das ganze Land diskutiert, eingegangen. Das finde ich nicht nur irritierend. Auch das finde ich einen Beleg dafür, dass diese Regierung offensichtlich keinen Plan hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)
– Herr Ministerpräsident, es läuft nicht gut, auch wenn Sie das hier konsequent dazwischenrufen. Denn was ist tatsächlich die Lage im Land? Es drängt sich einem der Eindruck auf, dass Ihre Schulministerin sich in ihrem Beharren auf Präsenzunterricht verrannt hat.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
– Sie unterstützen sie anscheinend dabei.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Irrweg in ganz Deutschland!)
Jetzt findet sie keinen Weg aus dieser Sackgasse heraus. Dann findet die ganze Landesregierung offensichtlich keinen Weg aus dieser Sackgasse heraus.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Ministerin Gebauer, es wäre doch ein Zeichen von Stärke, wenn Sie aufgrund der sich jetzt zuspitzenden Lage Ihren Kurs in den Schulen anpassen würden.
(Zuruf von der SPD: Ja, eben!)
Zum Glück – und da sind wir uns ja alle einig; anders, als es im Frühjahr der Fall gewesen ist – ist es jetzt politischer Konsens, die Schulen und Kitas nicht zu schließen.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: So ist es!)
Doch, Herr Ministerpräsident, wer die Schulen wirklich offenhalten will, der benötigt Modelle, die mit einem verantwortungsvollen und vor allem einem planbaren Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht arbeiten. Vielleicht erkundigen Sie sich da noch mal bei Ihrer Bundesbildungsministerin.
(Beifall von den GRÜNEN)
Darauf ist ja schon hingewiesen worden. Auch sie hat da mittlerweile eine andere Linie als diese Landesregierung.
Die Stadt Solingen hat einen solchen Weg aufgezeigt. Doch statt die Kommunen bei ihrem Weg zu unterstützen und hier die Chance zu einer modellhaften Erprobung zu nutzen, blockiert Ministerin Gebauer weiter konstruktive Wege für Bildungsgerechtigkeit, für Infektionsschutz und vor allem die Chance, beides miteinander in Einklang zu bringen.
(Beifall von Josef Neumann [SPD])
Frau Ministerin, Sie sprechen immer von Bildungsgerechtigkeit. Doch Ihre konsequente Weigerung, einen Plan B auf den Weg zu bringen, bewirkt genau das Gegenteil. Wer keine verantwortungsvollen Alternativmodelle aufzeigt, der rechnet doch mit Ad-hoc-Maßnahmen, die wiederum Schülerinnen und Schüler sowie Eltern von heute auf morgen unvorbereitet vor eine Situation stellen, wie wir sie im Frühjahr bereits hatten. Schulen werden vor immer neue Herausforderungen gestellt.
Nach den Osterferien, nach den Sommerferien und auch nach den Herbstferien fragte man sich doch, warum die Landesregierung die Zeit nicht nutzt, um wirklich verantwortungsvolle und vor allem vorausschauende Konzepte für die Schulen in Nordrhein-Westfalen auf den Weg zu bringen.
Das Agieren der Landesregierung – ganz offensichtlich durch den Ministerpräsidenten und die Schulministerin gedeckt – ist daher nicht nur kurzsichtig, Herr Ministerpräsident, Frau Ministerin Gebauer, dieses Handeln ist einfach fahrlässig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die gebetsmühlenartig vorgetragene Bildungs- und Betreuungsgarantie des stellvertretenden Ministerpräsidenten ist doch nichts wert, wenn sie nicht mit koordinierten und vorausschauenden Maßnahmen hinterlegt ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Stimmen von Eltern und Lehrerverbänden, von Schulleitungen, von der Landesschüler*innenvertretung verhallen offensichtlich völlig ungehört bei der Ministerin. Auch die Landeslehramtsfachschaften haben mittlerweile klargemacht, dass sie bereitstehen, um hier zu unterstützen. So viel zum Thema, wir hätten weit und breit kein Personal. Es gibt diejenigen, die sich engagieren wollen. Allein, sie finden bei dieser Landesregierung kein Gehör.
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers)
Solingen ist doch auch nicht die einzige Kommune. Heute lesen wir, dass der Städtetag von Ihnen fordert, endlich einen Stufenplan vorzulegen, endlich praxistaugliche Maßnahmen auf den Weg zu bringen, damit Schulen auf steigende Infektionszahlen angemessen reagieren können. Länder wie Hessen und Niedersachsen machen es doch vor und lassen längst Modelle zum Präsenzunterricht und zu digitalem Distanzunterricht zu.
Bislang allerdings – und das wird hier einmal mehr deutlich – hält offensichtlich die mangelnde Gesprächsbereitschaft davon ab, dass man zu vernünftigen und verlässlichen Maßnahmen kommt.
In einer solchen Situation wie der, in der wir uns jetzt befinden, wäre doch eigentlich Geschlossenheit gefragt. Doch die scheint, wie ich gerade erleben muss – abgesehen von der Schulpolitik –, von der schwarz-gelben Landesregierung auf eine erhebliche Probe gestellt zu werden.
Die Vorstellung der FDP-Fraktion über ihre Rolle bei der Bewältigung der Pandemie ist dabei, wie ich finde, durchaus irritierend. Die FDP hat in der zurückliegenden Sondersitzung sehr breit erklärt, was sie alles nicht gemacht hätte, wenn sie hätte entscheiden können. Die FDP sitzt aber doch am Kabinettstisch und hat der Coronaschutzverordnung zugestimmt. Das irritiert mich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Gleich ganz schuldig geblieben sind Sie uns ein alternatives Konzept, wie die FDP denn nun mit der aktuellen Situation umgehen und dabei auch die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen will.
Natürlich sind die Zumutungen für die Bürgerinnen und Bürger groß. Aber auch unsere politische Verantwortung ist groß. Ein so dringend notwendiges Gesamtkonzept seitens der Landesregierung, wie wir es seit Monaten einfordern, scheint unter diesen Voraussetzungen einer nicht einigen Regierungskoalition mehr als nur schwer vorstellbar zu sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dabei wäre es dringend notwendig, das Krisenmanagement seitens der Landesregierung professioneller aufzustellen. Ein Beispiel: Wir haben in Nordrhein-Westfalen 59 Krisenstäbe. Aktuell sind davon 58 aktiviert. Einzig der Krisenstab der Landesregierung ist nach wie vor nicht aktiviert. Für eine effektivere Kommunikation mit den Kreisen und kreisfreien Städten wäre dies aber eine wichtige Maßnahme, auch um die Entscheidungsfindung auf Landesebene abgestimmter und damit gezielter zu gestalten.
Dieser Krisenstab – ich finde, das ist auch eine wichtige Nachricht – wird übrigens im Stand-by-Modus im Innenministerium vorgehalten. Es wäre also ein Leichtes, das Instrument jetzt tatsächlich zum Einsatz zu bringen; denn eine vorausschauende Krisenbewältigung darf nicht im Stand-by-Modus verharren, wie es bei der Landesregierung offensichtlich der Fall ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch beim richtigerweise eingeführten Freiwilligenregister stellt sich aus unserer Sicht die Frage, warum dies nicht noch intensiver und erweiterter genutzt wird. Noch haben wir glücklicherweise – darauf hat der Gesundheitsminister hingewiesen – genügend Betten und Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen. Doch Verbände sowie Expertinnen und Experten warnen schon längst davor, dass es nicht genug Pflegekräfte auf den Intensivstationen geben wird. Hier für Entlastung zu sorgen und zusätzliche Kräfte für unterschiedliche Bereiche im öffentlichen Gesundheitssystem, in den Pflegeheimen und in den Krankenhäusern zu gewinnen, ist ein entscheidender Beitrag zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Politik zur Bewältigung der Krise.
Deshalb brauchen wir erstens eine stärkere Bewerbung dieses Freiwilligenregisters und zweitens Konzepte, um durch das Freiwilligenregister gegebenenfalls auch nichtmedizinisches Personal zur Unterstützung der Gesundheitsämter zu gewinnen. Denn – das haben wir in den letzten Tagen schon sehr stark mitbekommen – die Gesundheitsämter sind an ihrer Belastungsgrenze.
Der Minister hat darauf hingewiesen, aber es muss dann jetzt auch passieren: Der zwischen Bund und Ländern getroffene Pakt für die öffentlichen Gesundheitsdienste muss umgesetzt werden. Die zusätzlichen Mittel für Personal müssen jetzt eingesetzt werden, und die dringend notwendige Digitalisierung in den Gesundheitsämtern muss umgesetzt werden, sonst verpufft dieser Effekt, der für die Entlastung der Gesundheitsämter vor Ort so dringend nötig ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, die Krise trifft nicht alle gleich. Sie ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, und das im Übrigen nicht nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche, sondern natürlich auch in Bezug auf ältere Menschen in den Alten- und Pflegeheimen sowie Menschen mit Behinderungen in Behinderteneinrichtungen. Wir dürfen es nicht zulassen – darüber besteht zum Glück mittlerweile Konsens –, dass diese Menschen noch einmal zum Schutz ihrer Gesundheit isoliert werden. Daher müssen wir das Personal, die Bewohnerinnen und Bewohner sowie Besucherinnen und Besucher regelmäßig testen. Das muss möglich sein. Die Voraussetzungen dafür müssen jetzt gemeinsam mit den Trägern und den Verbänden geschaffen werden.
Es ist gut und wichtig, dass wir die Erkenntnisse aus dem Frühjahr mitgenommen haben. Wir dürfen die Schwächsten in der Krise nicht zurücklassen. Die Solidarität in unserer Gesellschaft ist groß. Dafür möchte ich an dieser Stelle auch einmal danken.
Aber um die Akzeptanz in der Bevölkerung hochzuhalten – das ist auch wichtig –, braucht es eine klare Kommunikation. Die Menschen brauchen gerade in herausfordernden Zeiten Orientierung. Sie brauchen verlässliche Aussagen über die Zeit ab Dezember.
Der Ministerpräsident darf seinen Schlingerkurs, den er seit dem Frühjahr fährt, nicht weiter fortsetzen. Bei der Unterrichtung im Rahmen der Sondersitzung ließ er uns einigermaßen ratlos zurück. Da haben Sie gesagt, Herr Ministerpräsident:
„Das Virus wird dann auch noch da sein, und wir werden uns viel einfallen lassen müssen, was wir nach dem 30. November – im Dezember, im Januar, im Februar – machen.“
Herr Ministerpräsident, das klang weit mehr ratlos als nach einem klaren, verantwortungsvollen und vorausschauenden Konzept. Wir erwarten von Ihrer Landesregierung aber, dass Sie dies jetzt auf den Weg bringen.
Es lässt einen auch einigermaßen ratlos zurück, wenn es heißt, dass auf Sommer Herbst folgt. Dafür braucht man keine vorausschauende Politik. Dafür braucht man kein besonders vorausschauendes Handeln, das ist der natürliche Lauf des Jahres. Dass sich die Landesregierung davon offensichtlich hat überraschen lassen, muss uns überraschen. Mit vorausschauender und verantwortungsvoller Politik hat das leider nicht viel zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Genau deswegen sind wir jetzt wieder in einer Akutsituation, und die Landesregierung ist wieder im Reaktionsmodus. Anstatt vor die Lage zu kommen, hängen Sie wieder hinterher. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns nicht nur im Rahmen von Unterrichtungen damit beschäftigen, wobei ich positiv anmerken möchte, dass ich es gut finde, dass wir uns diesmal vor einer Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hier im Parlament mit diesen Themen beschäftigen.
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Aber wir brauchen eine weitaus intensivere Befassung des Parlaments. Wir brauchen eine tragfähige gesetzliche Grundlage, um die Maßnahmen verlässlich und rechtssicher zu gestalten. Dafür brauchen wir eine breite Diskussion im Parlament.
Wir bieten unsere Kooperation für einen gemeinsamen Weg wirklich verantwortungsvoller und vorausschauender Politik zur Bewältigung der Krise an. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesen Tagesordnungspunkt von
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Stamp, das war gerade eine ganz bemerkenswerte Rede. Ich frage mich die ganze Zeit, ob Sie jetzt hier für die Landesregierung oder ob Sie hier als FDP-Parteivorsitzender gesprochen haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Es ist doch erkennbar und deutlich, dass es Friktionen gibt. Die versuchen Sie hier notdürftig überzukleistern.
Herr Ministerpräsident – das verstehe ich auch nicht –, Sie stellen sich an die Seite einer Schulministerin, die ganz offensichtlich jeden Kurs in dieser Krise verloren hat. Sie sind mit der Schulministerin gemeinsam leider in der falschen Richtung unterwegs.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Minister Stamp, es hilft doch nicht, gebetsmühlenartig diese Bildungs- und Betreuungsgarantie zu wiederholen.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das stimmt doch nicht!)
Das machen Sie. Sie stellen das jetzt ins Schaufenster und sagen, was es alles mit Ihnen nicht geben wird. Herr Minister, Sie sind in der Verantwortung, deutlich zu machen, wie es mit Ihnen gehen kann.
(Dietmar Brockes [FDP]: Bildung ist Ihnen nicht wichtig!)
Dazu, Herr Minister, haben wir von Ihnen nichts gehört. Wir erwarten, dass wir endlich von der Schulministerin dazu etwas hören:
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wie können Bildung und Betreuung in diesem Land aufrechterhalten werden? Einfach nur wegzuschauen und in Sonntagsreden Garantien auszusprechen, das hilft den Schülerinnen und Schülern in diesem Land nicht, und das wird auch den Beschäftigten in Schulen und Kitas nicht gerecht.
Darauf zu verweisen, dass nur Sie Präsenz wollen und wir wollten etwas ganz anderes, das ist doch eine Umkehrung der Tatsachen.
(Dietmar Brockes [FDP]: Sie wollen die Schulen schließen!)
Das verkehrt auch völlig die Diskussion. Wir alle miteinander haben ein Interesse daran, die Schulen und Kitas offen zu halten, weil wir nicht wollen, dass sich die Situation,
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
wie wir sie im Frühjahr erlebt haben, wiederholt. Dass Sie hier nicht planen, wird dazu führen, dass wir wieder Schulen und Kitas unkontrolliert schließen müssen.
(Zurufe von der CDU)
Wir fordern, sich darauf vorzubereiten, sollte sich die Lage weiter zuspitzen, dass wir in ein Wechselmodell gehen können. Wir müssen vorausschauend planen. So, wie Sie hier Politik betreiben, werden Sie die Kinder ohne jeden Plan B ins Homeoffice schicken. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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