Horst Becker: „Sie holen sich seit Monaten in dieser Frage eine blutige Nase“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Solo-Selbstständigen

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sagen jetzt seit inzwischen acht Monaten, dass es sich bei Künstlerinnen und Künstlern, bei den ganzen Berufsgruppen, die wir alle in diesem Zusammenhang immer wieder aufführen, um eine angemessene Kompensationsleistung handeln müsse. Aber wir kommen seit acht Monaten jedenfalls mit dem Bund nicht wirksam weiter. Insofern sind die verschiedenen Corona-Hilfsprogramme, die Soforthilfen, die Überbrückungshilfen und die Überbrückungshilfe Plus bisher alle nicht ausreichend gewesen, um dem gemeinsam erkannten Problem auch nur ansatzweise gerecht zu werden.
Sicherlich ist es so, dass die Wirtschafts- und Finanzminister, die gesamten Parlamente, wir alle eine riesige Aufgabe haben und seit März dieses Jahres auch vieles stemmen. Aber in diesem Bereich ist es bis jetzt so, dass der sogenannte Unternehmerlohn bisher nicht durchgesetzt wurde. Dies ist kein Ruhmesblatt.
Das ist aber nicht nur für die Bundesregierung zu konstatieren, sondern auch für das Land festzustellen. Denn das Gewicht dieses Bundeslandes – der heutige Ministerpräsident hat sich ja in den letzten Jahren sehr oft dazu ausgelassen, welches Gewicht dieses Bundesland haben müsste – ist ganz offensichtlich bisher nicht ausreichend gewesen, um in dieser Sache Hinreichendes durchzusetzen.
Um es deutlich zu sagen, Herr Wirtschaftsminister – für den Ministerpräsidenten gilt das Gleiche –: Sie holen sich seit Monaten in dieser Frage eine blutige Nase. Dass sich die regierungstragenden Fraktionen noch am heutigen Tage genötigt sehen, die Forderung nach einem Unternehmerlohn oder Unternehmerinnenlohn zu erneuern, ist ein Beweis für die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit dieser Landesregierung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will einmal anhand der Plenarprotokolle den Weg dieses Scheiterns nachzeichnen.
Herr Rasche, Vorsitzender der FDP-Fraktion, stellte am 1. April 2020 zu dem gleichen Thema fest:
„Unternehmer unterschiedlichster Größenordnung, Freiberufler, Start-ups – alle Arbeitsplätze sollen so gut wie möglich geschützt werden.“
Frau Plonsker von der CDU hat am 29. April 2020 mit Blick auf die Gastronomie festgestellt:
„Schauen wir auf die Gastronomie. Hier hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bereits angedeutet, dass er die weitere Entwicklung sehr wohl auf dem Schirm hat. Ich zitiere, Frau Präsidentin:
,Sollte es wider Erwarten noch lange dauern, bis eine volle Öffnung möglich ist, dann müssen wir bei den Hilfen auch nachlegen, dann brauchen wir so etwas wie einen Rettungsfonds auch für die Gastronomie.‘
Das Gleiche gilt für die Reise- und Tourismusbranche. Dies ist ebenfalls ein Bundesthema, denn Lösungen für Reisende, Reiseanbieter, Hoteliers und dort Beschäftigte sind nur bundeseinheitlich sinnvoll.“
Weiter hat sie damals gesagt:
„… wenn Bundesprogramme bestimmte Gruppen nicht berücksichtigen, können und sollten wir als Land agieren …“
Meine Damen und Herren, es ist festzustellen: Bis jetzt ist das unzureichend geschehen. Wir haben als Land nicht geholfen.
(Henning Rehbaum [CDU]: Das stimmt doch nicht!)
– Wir haben faktisch nicht geholfen. Sonst würden Sie ja heute diese Resolution so nicht einbringen.
(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Wir haben geholfen!)
Herr Petelkau erkannte einen Tag später, am 30. April 2020 – der Vorredner hat das schon ausgeführt –:
„Leider … weist der Schutzschirm für Solo-Selbstständige in den Förderbedingungen des Bundes eine Regelung auf, die zu erheblicher Unsicherheit geführt hat. Denn anders als zunächst verkündet, dürfen die Fördermittel nur für Betriebskosten und nicht für den Lebensunterhalt verwendet werden. Damit wird eine große Gruppe von Selbstständigen anders behandelt als der Rest; …“
Meine Damen und Herren, Herr Deutsch von der FDP hat sich am gleichen Tag an den Landtag gewandt und gesagt:
„Das Soforthilfeprogramm muss geöffnet werden, es muss anteilig geöffnet werden für Lebensunterhalt – es gibt da Bemessungsgrundlagen; das ist die berühmte Pfändungsgrenze, das baden-württembergische Modell mit 1.180 Euro –, und dann löst sich dieses Problem auf. Sorgen Sie bitte alle dafür, dass das in Berlin möglich wird.“
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich einmal vergegenwärtigen: Das ist mehr als ein halbes Jahr her. Es ist mehr als ein halbes Jahr her, dass Sie diese Forderung gestellt haben. Insofern sind Sie meiner Meinung nach mit Ihrem Wirtschaftsminister und mit diesem Ministerpräsidenten in der Verantwortung, dass Sie hier Ähnliches schaffen, wie Sie das selbst eigentlich auch gefordert haben und wie es in anderen Bundesländern realisiert worden ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will noch einmal – Herr Rehbaum, weil Sie sich immer so gern mit Vehemenz in die Bresche schmeißen – darauf hinweisen,
(Henning Rehbaum [CDU]: Ja!)
dass Sie am 26. August 2020 ausgeführt haben, in den Sommerferien hätte die Gelegenheit bestanden, hier weiterzukommen, und weiter gesagt haben:
„Auch wenn es nun zu weiteren Verbesserungen für Solo-Selbstständige beim Schonvermögen kommen soll, ist das doch nicht zufriedenstellend.“
Wenn Sie das im August festgestellt haben und jetzt im November kommen und sagen, der Bund müsse endlich handeln, dann wird deutlich, dass Sie eine riesige Diskrepanz in Bezug auf das zeitgerechte Handeln haben und dass Sie an dieser Stelle auf den Bund zeigen. Sie tun dies zwar zu Recht; wir werden dem nachher auch zustimmen.
(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])
Aber letztlich wissen Sie, dass es nicht in dieser Gänze durchgesetzt wird und dass Sie an dieser Stelle eigentlich längst hätten erfolgreich handeln müssen, so wie das beispielsweise in Baden-Württemberg passiert ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Hätte, könnte, wollte!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Becker, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Horst Becker (GRÜNE): Angesichts der heutigen Tagesordnung habe ich darauf heute keine Lust, Frau Präsidentin.
Angesichts der Gesamtlage und angesichts der Notlage, die wir alle seit langer Zeit beschreien, die auch im Parlament immer wieder beschrieben worden ist und die auch von Demonstranten vor dem Parlament mehrfach benannt worden ist, denke ich: Wir hätten uns längst auf den baden-württembergischen Weg verständigen können und verständigen sollen.
Dort hat die von den Grünen und der CDU getragene Regierung eine Lösung gefunden. Das sind die 1.180 Euro, die schon mehrfach in Rede standen. Dieser Lösung hätten wir nahetreten sollen. Deswegen haben wir heute diesen Entschließungsantrag gestellt.
Ganz deutlich weise ich auf Folgendes hin: Ich vermute sehr stark, dass es zwar in der nächsten Zeit Verbesserungen geben wird, aber dass diese Verbesserungen längst nicht ausreichen werden und dass die Bundesregelungen weiterhin zu schwach sein werden. Wir sollten uns bitte spätestens dann, möglichst noch in diesem Jahr, auf den Weg machen und zu einer solchen Lösung wie in Baden-Württemberg kommen. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)