Mehrdad Mostofizadeh: „Die Baustellen, die Sie hinterlassen haben – Flüchtlingsaufnahmegesetz, GFG auf Pump, keine Lösung für die Altschulden –, hängen wie ein Mühlstein an den Kommunen“

Entwurf der Landesregierung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2021

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz persönlich einsteigen, Frau Ministerin. Sie haben sich zumindest von der Tonlage und vom Inhalt her deutlich von dem abgehoben, was wir heute Morgen in der Unterrichtung seitens der Landesregierung erleben mussten, wo eine gestandene Landesministerin den Kommunen tatsächlich vorgeworfen hat, sie würden sich nur die Rosinen bei der Bekämpfung der Pandemie rauspicken.
(Henning Höne [FDP]: Nein, das hat sie Ihnen vorgeworfen!)
Respekt, dass Sie sich einer solchen Entgleisung enthalten haben.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Trotzdem kann ich nicht zustimmen, dass diese Landesregierung Partnerin oder Partner der Kommunen ist.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen. Sie haben selber gesagt, dass ein paar Punkte nicht zum GFG gehören, die der Kollege Kämmerling angeführt hat. Aber 80 % Ihrer Rede hatten jetzt auch nicht unmittelbar mit dem GFG zu tun.
(Zuruf von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung)
Andererseits haben wir im Kommunalausschuss schon seit drei Jahren die gute Sitte, dass wir den Einzelplan 20 aus gutem Grund mit in die Überlegungen hineinnehmen. Ich sage Ihnen auch, warum.
Erstens. Herr Kollege Kämmerling hat das Thema „Altschuldenfonds“ gestreift. Bis letztes Jahr hat das Land Nordrhein-Westfalen rund eine halbe Milliarde Euro in den Altschuldenfonds der Kommunen eingezahlt. Dieses Jahr spart die Landesregierung diese halbe Milliarde Euro zulasten der Kommunen samt und sonders ein, weil sie nicht bereit ist, die Entschuldung der Kommunen vorzunehmen.
(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])
Zweiter Punkt: Flüchtlingsaufnahmegesetz – ich weiß, das ist nicht im Einzelplan 20, sondern in Einzelplan 08, glaube ich. Es ist so, dass die Landesregierung seit 2016 – wir haben es nachvollziehen lassen – über 2 Milliarden Euro weniger für die Unterbringung der Geflüchteten in Nordrhein-Westfalen ausgibt und gleichzeitig nicht bereit ist, ein seit zwei Jahren vorliegendes Gutachten auszuwerten und dazu zu kommen, dass den Kommunen mindestens 2.000 bis 4.000 Euro pro Fall mehr erstattet wird. Wir reden von 600 bis 800 Millionen Euro, die Sie den Kommunen nicht bereit sind, jährlich zu erstatten, Frau Ministerin Scharrenbach.
(Beifall von Horst Becker [GRÜNE] und Christian Dahm [SPD] – Christian Dahm [SPD]: So ist es!)
Zur Herleitung der Verbundmasse: Ich habe heute zur Kenntnis genommen, dass es eine erste Ergänzungsvorlage gibt, aus 930 Millionen Euro sind jetzt 943 Millionen Euro geworden. Das sind samt und sonders Kredite, Frau Ministerin. Diese Kredite hätten sich die Kommunen eins zu eins auch bei der NRW.BANK oder bei jedem anderen Kreditinstitut leihen können. Sie tragen null zur Verbesserung der Finanzlage der Kommunen bei.
(Beifall von Horst Becker [GRÜNE], Christian Dahm [SPD] und Stefan Kämmerling [SPD])
Ein weiterer Punkt wird von der CDU-Fraktion den kommunalpolitisch Aktiven gebetsmühlenartig eingetrichtert: Sie sagen, die Landesregierung würde mehr für Bildung tun. Das hat der Kollege Kämmerling mit seinem Beispiel aus einem anderen Zusammenhang auch hergeleitet: Die Bildungspauschale nehmen Sie nicht aus anderen Mitteln, sondern aus dem GFG.
(Christian Dahm [SPD]: Kommunales Geld!)
Sie schreiben den Kommunen im Bereich der Bildung – es ist nicht nur für Bildung, sondern auch für andere Zwecke – nur vor, mehr Geld von dem auszugeben, was sie ohnehin zugeteilt bekommen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das ist keine Leistung der Landesregierung, sondern schlichtweg ein Vorschreiben der Aufteilung der kommunalen Finanzmasse. Sie geben keinen Cent mehr pro Jahr für Bildung aus, auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das hier immer wieder mantraartig vortragen.
(Beifall von Christian Dahm [SPD] – Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Stimmt nicht!)
Frau Ministerin, ich möchte noch einmal zum Thema Altschuldenfonds zurückkommen. Sie haben Anfang 2019 versprochen, dass noch im Jahr 2019 ein fertiges Konzept von dieser Landesregierung vorgelegt wird. Sie haben nicht nur den Koalitionsvertrag fortlaufend nicht erfüllt – das nehmen wir zur Kenntnis –, sondern Sie haben fortlaufend Versprechen dieser Landesregierung gebrochen.
Das ist man politisch von dieser Landesregierung gewöhnt, aber was viel schlimmer ist: Die Kommunen, die in besonderer Weise unter der Einkommenslinie stehen, haben in der mittelfristigen Finanzplanung nicht nur die Milliarden der COVID-Krise zu bearbeiten, sondern sie haben die Altschulden am Hals und werden sie nicht los. Es ist skandalös, Frau Ministerin, und nicht zu akzeptieren, dass Sie eine halbe Milliarde Euro zulasten der Kommunen einsparen.
(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])
Ich möchte das noch einmal herleiten, weil das gut zu dem Täuschen, Tricksen und Tarnen passt, was Kollege Kämmerling gesagt hat. Ich kann mich noch gut an 2008/2009 erinnern. Damals war es so, dass auch meine Heimatstadt – wie viele andere auch – Berge von Altlasten bei den Soziallasten vor sich her geschleppt hat. Was ist passiert? – Auch damals hat die Landesregierung nicht nur nicht geholfen, sondern im Bund sogar Gesetze erlassen, die die Einnahmebasis der Kommunen noch einmal abgesenkt haben.
Diese Massen haben die Kommunen seitdem fortgeschleppt. Das passiert jetzt wieder: Sie machen das COVID-Gesetz mit einer Isolierung im Gesetz. Das werden die Kommunen aber in den Jahren vortragen. Das, was Sie den Kommunen 2008/09 aufgetragen haben, werden sie jetzt wieder vortragen. Sie verschleiern letztlich die Finanzlage der Kommunen. Das ist nicht nur nicht in Ordnung, sondern wird die Kommunen irgendwann – Sie sind ja nicht bereit zu sagen, wann – in die Knie treiben und zu einem massiven konjunkturellen Einbruch führen, wenn die Kommunen zurückzahlen müssen, was nicht in Ordnung ist.
Letzte Bemerkung: Was die Größenordnung anbetrifft, reden wir alleine bei der Gewerbesteuer von 1,7 Milliarden Euro für das Jahr 2021. 1,7 Milliarden Euro fallen aus. Wir werden diese Woche die Steuerschätzung – und was da noch auf uns zukommt – erleben. Das sind alles Größenordnungen, die fernab von jeder Leistungsfähigkeit der Kommunen sind.
Sie sagen dann, alle staatlichen Ebenen müssen sich dort beteiligen. – Erstens haben die Kommunen neben der Gewerbesteuer letztlich überhaupt keine Möglichkeiten, die Einnahmen zu steuern. Zweitens steckt sich Ihr Kollege Finanzminister Lienenkämper 12 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren aus dem Rettungsschirm des Landes ein, den wir hier eigentlich zur Bekämpfung der Pandemie vorgesehen haben. Kein einziger Cent geht davon an die Kommunen. Das ist eine Schieflage, die können Sie keinem Menschen in diesem Bundesland Nordrhein-Westfalen erklären.
(Beifall von den GRÜNEN)
Insofern gehen wir mit Spannung in die Auseinandersetzung um das Gemeindefinanzierungsgesetz. Die Baustellen, die Sie hinterlassen haben – Flüchtlingsaufnahmegesetz, GFG auf Pump, keine Lösung für die Altschulden –, hängen wie ein Mühlstein an den Kommunen.
Deswegen wird das Jahr 2021 nicht nur sehr spannend sein, sondern ganz wichtige Fragen zu beantworten haben: Wie sieht die mittelfristige Planung für die Kommunen aus? Werden die Kommunen Rückgrat der Bekämpfung der Pandemie sein? Werden die Kommunen wichtiger Investitionsfaktor für das Handwerk sein? Werden die Kommunen das tun können, was in Nordrhein-Westfalen ansteht, nämlich eine neue Mobilität und ein neues Zusammenleben zu erschaffen, die Schulen so auszugestalten, dass man in diese Schulen auch in Zeiten der Pandemie reingehen kann, werden sie dafür sorgen, dass der Klimawandel bekämpft wird?
All das wollen Sie nicht beantworten und schreiben das finanziell irgendwie auf 50 Jahre ab.
Dieses Gemeindefinanzierungsgesetz, vor allem im Zusammenhang mit dem Haushalt 2021, ist nicht nur keine gute Antwort für die Städte und Gemeinden, sondern ein Beleg dafür, dass diese Landesregierung nicht bereit ist, ihre Aufgaben anzugehen und den Kommunen eine Zukunft in diesem Land Nordrhein-Westfalen zu gewähren.
Die Kommunen sind ja nicht abstrakt. Das sind die 18 Millionen Menschen, die in diesem Land eine Zukunft brauchen, eine klare Ansage erwarten, was vor Ort geschieht. Die Landesregierung ist nicht bereit, das zu sagen, sondern ergeht sich in Ausflüchten. Letztlich steckt sie sich das Geld einfach ein, das für Zukunftsinvestitionen gedacht ist. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine etwas ungewöhnliche Art der Beratung des GFG. Normalerweise bringt die Landesregierung ein, und anschließend sprechen die Fraktionen. Aber gut; dann machen wir das heute so.
Frau Ministerin, es ist immer schön, wenn Sie sich in Rage reden; denn dann legen Sie die Wahrheiten auf den Tisch.
(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Och!)
Sie haben gesagt, dass Sie als Landesregierung nicht bereit sind, den Kommunen das Geld – wie haben Sie es formuliert? – bedingungslos oder ohne Auflagen zuzugestehen. Vielmehr solle das in Form eines Kredites geschehen, den sie zurückzahlen müssten.
Denn wir hätten auch keine Alternative. Die Alternative wäre, dass das Land das bezahlt. Dann sollten wir sagen, wo gekürzt werden soll.
Frau Ministerin, dann sagen Sie doch, was bei den Kommunen gekürzt werden soll. Was sollen denn die Kommunen machen? Sie sind jetzt schon an der Kante angelangt, was ihre Pflichtaufgaben anbetrifft. Dann soll eine Stadt wie Essen 70 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich zurückzahlen,
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
was den Altschuldenfonds anbetrifft, weil Sie nicht bereit sind, zu helfen. Sie soll die COVID-Kosten zusätzlich zurückzahlen.
Ich sage Ihnen, was wir Ihnen vorschlagen werden: Wir werden Ihnen per Antrag vorschlagen, dass von den 12 Milliarden Euro, die sich der Finanzminister als fetten Schluck aus der Pulle des Rettungsschirms genehmigt, natürlich die Kompensation der Gewerbesteuer seitens des Landes bezahlt werden soll.
Es wäre auch meine Empfehlung an Sie, mit dem Bundesfinanzminister darüber zu reden, dass sich der Bund erneut wie dieses Jahr an diesen Kosten beteiligt und eine faire Aufteilung zustande kommt. Ich bin ganz bei Ihnen, dass Sie das nicht alleine machen sollen.
Aber das muss die Landesregierung schon tun. Denn die Kommunen werden ansonsten – das wissen Sie ganz genau; sonst hätten Sie die COVID-Isolierung nicht gemacht – nicht in der Lage sein, ihre Haushalte zu fahren. Sie werden auf die Ausgabenbremse drücken. Sie werden wichtige Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Sie werden wieder beim Personal einsparen, wie das in den Jahren zwischen 2010 und 2020 geschehen ist. Sie werden auch die Investitionsausgaben, die ja richtigerweise angeführt worden sind, zum Beispiel bei „Gute Schule 2020“, zurückfahren. Sie werden das alles nicht mehr tun. Das wäre ein Desaster für unser Bundesland, das wir uns nicht leisten können.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Deshalb habe ich das hier noch einmal scharf dargestellt. Wir werden in den Haushaltsberatungen entsprechende Anträge stellen. Da können Sie sicher sein, Frau Ministerin.
(Beifall von den GRÜNEN)

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