Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe gerade mit Frau Oellers kurz darüber gesprochen, dass wir dieses Thema in vielen Ausschüssen miteinander diskutiert haben und dass wir über diesen konkreten Antrag heute zum letzten Mal im Plenum debattieren. Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir über dieses Thema nicht zum letzten Mal diskutieren werden.
Frau Schneider, der Antrag hat nicht den Ansatz, zu beschreiben, dass es in Nordrhein-Westfalen gar nichts gäbe. Es wäre ja auch schlimm, wenn wir 2020 quasi bei null anfangen würden. Vielmehr macht er deutlich, dass wir Punkte identifizieren, bei denen wir sagen, dass man auf das Bestehende aufsatteln und Dinge weiterentwickeln könnte.
Die Coronakrise hat das Thema „Care-Arbeit“ ganz neu in den Fokus gerückt, denn auf einmal ist aufgefallen, dass sich das bisschen Haushalt doch nicht von alleine macht und dass diesem Thema entsprechend mehr politische Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Sie hat auch deutlich gemacht, dass Vereinbarkeit natürlich nicht leichter wird, wenn Bildungs-, Betreuungs- und Unterstützungssysteme von heute auf morgen wegfallen. Es wurde sehr deutlich, wie wichtig für Familien genau diese Systeme bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind.
Ja, natürlich befinden wir uns derzeit in einer Ausnahmesituation, die natürlich nicht mit Zeiten vergleichbar ist, die nicht von einer Pandemie geprägt sind. Aber es wurde sehr deutlich, wo die Bedarfe und vielleicht auch Verbesserungsbedarfe im System liegen. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass Care-Arbeit, gerade auch die unbezahlte Care-Arbeit, die gesellschaftliche Grundlage unseres Zusammenlebens ist.
Regina Kopp-Herr wies bereits darauf hin, dass diese nach wie vor ungleich verteilt ist. Das ist ein Fakt, an dem auch die NRW-Koalition bislang nichts zu ändern vermochte. Care-Arbeit ist zwischen Männern und Frauen nach wie vor in einem Missverhältnis von quasi eins zu vier ungerecht verteilt.
Viel zu häufig wird Care-Arbeit, vor allem die unbezahlte, als selbstverständlich mitlaufend und als selbstverständliche Ressource unserer Gesellschaft gesehen. Dementsprechend wird sie auch politisch nicht richtig in den Fokus genommen. Uns war es wichtig, mit diesem Antrag insbesondere die unbezahlte Care-Arbeit und die Frage nach der Vereinbarkeit für Familien deutlicher in den Blick zu nehmen.
Die Familienberichterstattung, die wir auch für Nordrhein-Westfalen haben, macht deutlich, dass es für Familien im Bereich der Unterstützung vor allem um einen Dreiklang geht: Geld, Zeit, Infrastruktur. Frau Oellers hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass insbesondere die Frage des Geldes vom Bund geklärt werden muss. Ich wäre allerdings nicht mit Ihnen einer Meinung, dass deswegen nicht auch der Landtag darüber diskutieren sollte. Natürlich sind wir die Mittler zwischen Bund und denjenigen, die in Nordrhein-Westfalen besondere Unterstützung brauchen. Zu den Stichworten „KinderZeit Plus“ und „Lohnersatzleistungen auch für pflegende Angehörige“ muss selbstverständlich auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen diskutiert werden.
Die Fragen nach Zeit und Infrastruktur fallen allerdings originär in die Zuständigkeit des Landes. Man muss leider konstatieren – und da widerspreche ich Susanne Schneider –, dass die politische Strategie zur Erfassung von Care-Arbeit in ihrer Gesamtheit bislang fehlt, auch in der Politik dieser Landesregierung.
Dementsprechend gibt es das Angebot, sich genau hier weiter auf den Weg zu machen. Das begründet auch unsere Forderung nach einem regelmäßig fortzuschreibenden Care-Bericht, der die Grundlage dafür liefert, an den Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Bereichen Handlungsbedarfe identifizieren und Entwicklungen deutlich machen zu können.
Natürlich haben wir hier schon vielfach über die Betreuungsinfrastruktur in Kitas diskutiert. Dementsprechend möchte ich zum Schluss drei andere Punkte aus dem Antrag aufgreifen.
Das ist zum einen die Frage nach der Zeitpolitik. Das klingt immer ein bisschen wolkig – was könnte Zeitpolitik sein? –, aber die schon angesprochene Enquetekommission hat ein Gutachten zu kommunaler Zeitpolitik und zu Fragen nach Zeit als Ressource, aber auch als Nadelöhr für Familien eingeholt. Dieses Gutachten kann man sehr gut als Steinbruch nehmen, um noch mal deutlich zu machen, welche Handlungsmöglichkeiten auf der kommunalen, aber auch auf der Landesebene liegen, um Zeit als Ressource aktiver zu gestalten und die Herausforderungen in diesem Bereich für Familien zu minimieren.
Auch die Frage nach sozialem Quartiersmanagement wurde von meinen Vorrednerinnen gestreift. Ich meine, dass wir in diesen Bereich, insbesondere zur Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger, noch stärker hineingehen und das soziale Quartiersmanagement weiter unterstützen müssen.
Die haushaltsnahen Dienstleistungen sind uns in den Diskussionen besonders wichtig gewesen, weil das ein Bereich ist, der in diesem Land bislang einfach nicht angegangen wird, obwohl so offenkundig ist, dass das zu einer wichtigen Entlastung für Familien, insbesondere auch für Frauen, führen würde. Wenn man es vernünftig ausgestaltet, ist das übrigens auch eine Möglichkeit, Frauengründungen, im Sinne von Dienstleistungsagenturen, zu ermöglichen und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, um so diesen Grau- und Schwarzmarktbereich endlich aufzuhellen und vernünftig und sozialversicherungspflichtig zu strukturieren.
Ich finde es schade, dass wir keine gemeinsame Entscheidung zu diesem Antrag finden, aber ich nehme mit, dass wir auf jeden Fall eine gemeinsame Gesprächsgrundlage haben. Deswegen, Frau Oellers, verspreche ich Ihnen, dass wir dieses Thema weiter diskutieren werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD])