Europäisches Bauhaus-Projekt im nördlichen Ruhrgebiet – Interdisziplinäres Reallabor für nachhaltige Stadtentwicklungskonzepte

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.       Ausgangslage
In Deutschland entfallen ca. 35 % des Endenergieverbrauchs und ca. 30 % der CO2-Emissionen auf den Gebäudesektor; im EU-Durchschnitt liegen diese Werte mit ca. 40 % bzw. 36 % noch leicht höher. Somit besteht im Gebäudebereich enormer Handlungsbedarf, um diese Emissionen drastisch zu senken und die selbst gesteckten Ziele – Senkung der Emissionen im Gebäudesektor um 67 % bis 2030 und komplett klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050 – zu erreichen. Im Rahmen des europäischen Green Deal hat die EU-Kommission bereits eine ‚Renovierungswelle‘ angestoßen, um die energetische Sanierung von Wohn- und Nicht-Wohngebäuden anzukurbeln. Kürzlich legte sie nach und kündigte eine neue Europäische Bauhaus-Bewegung an. (EU Kommission, 2020: Ein neues Europäisches Bauhaus, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/fs_20_1894)
Das historische Bauhaus ist berühmt für die bis dahin einmaligen Synergieeffekte, die es durch die Zusammenarbeit von Kunst und Handwerk hervorgebracht hat. Dies zum Vorbild zu nehmen für interdisziplinäre Entwicklungsprozesse in den Bereichen nachhaltiges Bauen und Stadtentwicklung, verspricht enormes Innovationspotential – insbesondere vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen unserer Zeit, Klimawandel und Digitalisierung. Tragfähige und nachhaltige Lösungen für die Städte von morgen zu finden, die die technologischen Fortschritte der Digitalisierung stetig miteinbeziehen und zu nutzen wissen, die dem Klimaschutz Rechnung tragen, indem sie Emissionen deutlich reduzieren, und die den Ansprüchen der Bevölkerung an Ästhetik und erhöhte Lebensqualität gerecht werden, das ist eine Aufgabe, die die Expertise verschiedenster Fachbereiche erfordert. Hier agiert die Landesregierung bislang viel zu zögerlich und lässt einen Großteil der im Land verfügbaren Expertise sowie der Entwicklungsmöglichkeiten NRWs ungenutzt.
II.      Ein Europäisches Bauhaus-Projekt in NRW
Wollen NRWs Städte und Regionen nicht nur eines Tages von den Konzeptideen des neuen Europäischen Bauhauses profitieren, sondern diese auch aktiv mitgestalten und passgenaue Lösungen für NRW-spezifische Gegebenheiten erhalten, muss das Land nun Initiative ergreifen und ein Reallabor als Europäisches Bauhaus in Gründung einrichten. Dieses soll sich nicht nur an der ersten Design-Phase beteiligen, sondern auch eines der fünf für die Durchführungsphase vorgesehenen Europäischen Bauhaus-Projekte nach NRW holen.
Perspektivisch soll das Reallabor seine Arbeit darauf ausrichten, ein produktiver und beständiger Teil des Europäischen Bauhaus-Netzes zu werden, das laut EU-Kommission ab 2023 die entwickelten Ideen und Konzepte in Europa und weltweit bekannt macht und den Menschen somit die Vorteile einer nachhaltigen Lebensweise näherbringt.
Als Standort für ein solches Reallabor als Europäisches Bauhaus in Gründung wären das nördliche Ruhrgebiet bzw. die Emscherregion geradezu prädestiniert. Dieser in einzigartiger Weise von Industrie und Strukturwandel geprägte Ballungsraum bietet enormes Innovationspotenzial für zukunftsweisende, klimaschonende Stadt- und Infrastrukturentwicklung. Damit stünde das Reallabor als Europäisches Bauhaus in Gründung außerdem in direkter Nachfolge zur Internationalen Bauausstellung Emscher Park 1989 – 1999 (IBA), die in insgesamt rund 120 Projekten wichtige Impulse gesetzt und Bau- und Restaurierungsvorhaben sowie Renaturierungsmaßnahmen realisiert hat. Die vielfältigen Ergebnisse dieser intensiven Planungs- und Umbauphase prägen die Region bis heute und haben die Lebensqualität vieler Menschen verbessert. Nichtsdestotrotz kann der Strukturwandel bei weitem nicht als abgeschlossen gelten; die Emscherregion befindet sich nach wie vor in stetigem Wandel und muss gleichzeitig die Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung immer mitbedenken.
Das Reallabor als Europäisches Bauhaus in Gründung soll die in der Region vorhandene Expertise bündeln und neben kommunalen Architektenkammern, Handwerksverbänden und der Bauindustrie auch Expertinnen und Experten aus den Bereichen nachhaltiges Bauen, klimafreundliche Stadtentwicklung, Kunst/Design sowie Digitalisierung einbeziehen. Des Weiteren müssen Bürgerinnen und Bürger in sämtliche Planungsprozesse einbezogen werden, um die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen einer diversen Gesellschaft erfassen und berücksichtigen zu können, beispielsweise durch barrierefreie und gendergerechte Stadtplanung. Die (Zwischen-)Ergebnisse des Reallabors sollen der breiten Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen vorgestellt und Beteiligungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
III. Der Landtag beschließt:
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.      ein interdisziplinäres Reallabor als Europäisches Bauhaus in Gründung einzurichten, das moderne Stadtentwicklungskonzepte entwickelt, insbesondere unter Berücksichtigung technologischer Fortschritte im Bereich Digitalisierung, des Klimaschutzes und der Ansprüche der Bevölkerung an ihre Wohn- und Arbeitsumgebung.
2.      die benötigten Mittel für die Einrichtung eines solchen Reallabors im Haushalt 2021 zur Verfügung zu stellen.
3.      dem Landtag ein Konzept über die Zusammensetzung, Arbeitsweise, Zielsetzungen und langfristige Finanzierung des Reallabors vorzulegen und ihn in regelmäßigen Abständen, mindestens jedoch einmal jährlich, über die Arbeit des Reallabors zu informieren.
4.      sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass eines der fünf für 2021 geplanten Europäischen Bauhaus-Projekte im nördlichen Ruhrgebiet angesiedelt wird.
5. die Arbeit des Reallabors dahingehend zu verstetigen, dass es sich aktiv in das europaweite Bauhaus-Netz einbringen kann, welches 2023 ins Leben gerufen werden soll.