Mehrdad Mostofizadeh: „Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass diese Pandemie nicht uns beherrscht, sondern wir die Pandemie“

Unterrichtung des Landesregierung zu den aktuellen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Punkt anfangen, Herr Minister Laumann, der mich wirklich ärgert. Sie haben viele Beispiele dafür gebracht, an welchen Stellen es dynamisch und gut ist und welche Ziele Sie haben. Am Ende hatten wir schon den Eindruck, der große Onkel erzählt von der großen, kleinen, weiten Welt.
Ich möchte Ihnen eines ganz markant ins Stammbuch schreiben. Sie haben, wie ich finde, sehr glaubhaft im Frühjahr versichert: Die Pflegeheime müssen Orte sein, an denen keine Isolation stattfindet und an denen die Menschen sich begegnen können. Und heute diskreditieren Sie die Schnelltests und stellen ihre Wirksamkeit infrage.
Ich sage Ihnen auch, warum das aus meiner Sicht so merkwürdig klingt. Nach meinem Kenntnisstand haben diese Tests eine sehr hohe Treffsicherheit. Sie sind dann nicht treffsicher, wenn jemand sich frisch infiziert hat. Dann liegt die Genauigkeit nur bei etwa 80 %.
Aber in diesem Fall ist es doch so, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Ansteckung kommt, gering ist, weil die Virenlast noch sehr gering ist, sodass es doch viel besser ist, dass dieser Schnelltest durchgeführt wird, damit man in dieses Pflegeheim reingehen kann.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Machen wir doch auch!)
Deswegen muss es auch gemacht werden. Diskreditieren Sie doch nicht Ihre eigenen Maßnahmen, Herr Minister Laumann.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vor welchem Hintergrund ich das sage? – Ich möchte in diesem Parlament nicht immer vom Hölzchen aufs Stöckchen diskutieren. Das Ziel muss sein – das erklärte, verfassungsrechtlich verbriefte Ziel –, dass Menschen, die sich entschieden haben, in einem Pflegeheim zu wohnen, oder keine andere Möglichkeit dazu sehen, das verfassungsrechtliche Recht auf Besuch und gegenseitigen Austausch wahrnehmen können.
Das ist kein Zugeständnis, sondern verfassungsrechtlich verbrieft. Das sind keine Menschen zweiter Klasse. Sie haben dieselben Rechte wie alle Menschen in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Auch die Trägerinnen der Einrichtungen wussten, dass eine zweite Pandemiewelle im Herbst drohte. Deswegen sind Fragen dazu, wie viel Personal wir brauchen, berechtigt. Sie müssen vorgetragen werden. Aber sie hätten auch geklärt und dem Ministerium vorgelegt werden müssen.
Wir haben nur vier Wochen Zeit, um all diese Fragen zu klären. Deswegen sage ich sehr klar: Herr Minister, ich erwarte, dass die Ansage von Ihren lautet, dass Sie das ganz genau wissen und sich als Minister und Teil der Landesregierung dafür verbürgen, dass Sie dafür sorgen, dass das möglich ist.
Und wenn der Test nicht ausreichend ist, dann müssen eben FFP2-Masken oder etwas anderes her. Sie haben die Aufgabe, klar zu sagen – da ist auch die FDP gefordert –, unter welchen Bedingungen wir das haben, was Sie uns schon im Juni vorgetragen haben, nämlich eine verantwortbare Normalität in Nordrhein-Westfalen.
Das ist Ihr Job. Weichen Sie nicht aus, zeigen Sie nicht auf Virologen, sondern sagen Sie: Wir garantieren das, wir stellen das sicher, das ist der Weg der Landesregierung und nichts anderes.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vorhin habe ich mir schon die Frage gestellt, ob Minister Stamp heute für die Landesregierung gesprochen hat oder als Parteivorsitzender der FDP.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf: Genau!)
An zwei Stellen ist das besonders wichtig. Die FDP hat gestern formuliert: Der Spuk – also die Maßnahmen, die die MPK beschlossen hat – muss in vier Wochen vorbei sein. Das bedeutet nichts anderes, als dass bedingungslos und ohne Hinterfragen der Maßnahmen in vier Wochen klar ist, dass es keine Zustimmung der FDP zu einer Verlängerung eines Lockdowns oder anderer verschärfender Maßnahmen gibt. Anders kann ich das nicht verstehen.
Der zweit Punkt ist, Herr Minister Stamp: Sie haben auch formuliert, die Ministerpräsidentenkonferenz müsse Vorschläge machen. – Nein; denn die Rechtslage lautet: Das Land Nordrhein-Westfalen ist der Träger der Gesundheitsbehörden und der kommunalen Behörden. Das Land Nordrhein-Westfalen kann hier ganz alleine, ohne Frau Merkel zu fragen, Recht setzen und Vorschläge machen. Sie sind gewählt worden, um genau diese Vorschläge zu verantworten und hier in Nordrhein-Westfalen durchzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Frau Kollegin Schäffer hat es vorhin auch schon angesprochen: Es entsteht eine echte Kakofonie. Auch innerhalb unserer Fraktion gibt es unterschiedliche Positionen und Nuancierungen. Das ist alles in Ordnung. Das ist Demokratie. Das ist das Ringen um die klügsten Lösungen. Aber wenn man einen derart schwerwiegenden Beschluss gefasst hat, dann erwarte ich eine einheitliche Kommunikation, ein Einberufen des Krisenstabs und dass Sie hinter den Maßnahmen stehen.
Denn was ist es denn für ein Signal an die Bevölkerung, wenn es heißt: „Das ist alles variabel und vielleicht gar nicht nötig; das habe ich gar nicht so gemeint.“? Das wird doch dazu führen, dass die Leute sich nicht nur nicht mitgenommen fühlen, sondern dass es zu Schadensersatzansprüchen und einem Durcheinander kommt.
Ein Beispiel dafür ist doch, dass der Gesundheitsdezernent Renzel in Essen vor drei Wochen noch mit der Überschrift „Ich werbe für Gelassenheit“ zitiert wurde. Das ist keine einheitliche Kommunikation. Ich kenne auch nicht jede einzelne Maßnahme, aber ich werbe dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Landesregierung: Wenn Sie Beschlüsse gefasst haben, dann stehen Sie dahinter. Verantworten Sie diese Beschlüsse und sagen Sie diesem Parlament, wo Sie hinwollen. Das ist Verantwortung und nichts anderes.
(Beifall von den GRÜNEN)
Einen letzten fachlichen Punkt möchte ich ansprechen. Wir haben dieses von der Landesregierung vorgeschlagene Pandemiegesetz runderneuert. Ein wichtiger Aspekt darin war das Freiwilligenregister.
Sie haben vorhin Ihre Erfolge vorgetragen – was technisch gemacht wurde, was bei den Intensivbetten gemacht wurde usw. Wenn wir dieses Freiwilligenregister haben, warum steht dann immer noch der Vorhalt von Ihnen im Raum – vor zehn Tagen noch bei „Westpol“ formuliert –, dass Sie kein zusätzliches Personal bei den Intensivpflegern und keine zusätzlichen Kräfte in den Gesundheitsämtern haben?
Warum fragen Sie die Leute denn nicht? Ich kenne viele in meinem Umfeld, die bereit wären, einen oder zwei Tage zusätzlich zu arbeiten. Fragen Sie die Leute! Machen Sie dieses Register! Sorgen Sie dafür, dass Nordrhein-Westfalen mit dieser Pandemie vernünftig umgeht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Abschluss: Ich bin ganz sicher, dass die Diagnose richtig ist, dass wir mit diesem Virus leben werden müssen. Das ist völlig klar. Auch das Testen wird noch länger dauern. Unser Job ist es, an jeder Stelle, in jedem Berufszweig, in jeder Einrichtung, in jedem Kino usw. dafür zu sorgen, dass diese Pandemie nicht uns beherrscht, sondern wir die Pandemie.
Wir müssen die Lösungen auf den Tisch legen. Ansonsten versagen wir und nicht irgendwelche anderen, auf die wir zeigen können. Das ist unser Job. Das müssen wir machen. Das müssen die nächsten vier Wochen und nicht die nächsten vier Jahre zeigen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)