Afghanistan ist nicht sicher – Abschiebungen aussetzen – Schutzbedarf der Geflüchteten anerkennen

Antrag der GRÜNEN Fraktion

Ausgangslage

Am 31. Mai 2017, an dem Tag, an dem erneut ein Abschiebeflug der Bundesregierung aus Deutschland nach Kabul starten sollte, starben mindestens 150 Menschen bei einem Anschlag in der afghanischen Hauptstadt, fast 500 Personen wurden verletzt. Damit hat die Sicherheitslage in Afghanistan einen erneuten Tiefpunkt erreicht. In den darauffolgenden zwei Wochen gab es weitere Anschläge, darunter einen auf eine Beerdigung, einen anderen auf eine Moschee. Spätestens diese Anschläge zeigen deutlich, dass Zivilpersonen in Afghanistan nicht mehr sicher sind, selbst in der Hauptstadt nicht.
In Afghanistan werden Menschen von bis zu 20 verschiedenen terroristischen Organisationen bedroht. Das ist laut UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) die höchste Dichte von Terrororganisationen weltweit. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2017 verzeichnete die UNAMA 715 Tote und 1.466 Verletzte in der Zivilbevölkerung auf Grund von Kampfhandlungen und Anschlägen.
Die Verschlechterung der Sicherheitslage zeichnete sich bereits Ende letzten Jahres ab, als die Aussagen des UNHCR zum Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender bekannt wurden. Im Januar 2017 haben wir GRÜNE in NRW, genauso wie viele Bürgerinnen und Bürger, Menschenrechtsorganisationen und die Kirchen, die Bundesregierung aufgefordert, die verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan anzuerkennen und Abschiebungen dorthin auszusetzen. Die kurzfristig abgesagten Sammel-Abschiebeflüge vom 31. Mai 2017 und vom 28. Juni 2017 und die Feststellung der Bundesregierung, die Sicherheitslage neu bewerten zu müssen, zeigen, dass auch die Bundesregierung angesichts der Lage ihre Abschiebepraxis nach Afghanistan nicht mehr halten kann.
Die Einschätzung der Sicherheitslage ist Grundlage für Entscheidungen des BAMF, ob Schutzbedarf für Geflüchtete anerkannt wird. Laut Pro Asyl ist die Schutzquote jener afghanischen Asylsuchenden, deren Antrag inhaltlich geprüft wurde, von 78 Prozent im Jahr 2015 auf 52 Prozent im Jahr 2016 gesunken. Das ist angesichts der Berichte von unabhängigen Hilfsorganisationen nicht nachvollziehbar. Diese Einschätzungen müssen daher in die nunmehr vom Auswärtigen Amt und Bundesinnenministerium angekündigte Aktualisierung des Lageberichtes einbezogen werden.
Auf Landesebene besteht die Möglichkeit, nach Paragraph 60a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ anzuordnen, „dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate“ auszusetzen. Angesichts der weiter unklaren Lage, ob und wann die Bundesregierung wieder Flüge für Sammelabschiebungen organisieren wird, kann das Land mit einer solchen Anordnung ein klares Signal an die Bundesregierung richten, die Rückführungs- und Anerkennungspraxis für Geflüchtete aus Afghanistan grundlegend zu ändern.

Der Landtag stellt fest:

Afghanistan ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher. Abschiebungen dorthin gefährden das Leben der Betroffenen, die nach Deutschland kamen, um hier Schutz zu suchen und sind deshalb nicht zu verantworten.

Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine Neubewertung der Sicherheitslage einzusetzen, die vor allem die Einschätzungen der vor Ort tätigen Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen einbezieht und deren Zweifel an der derzeitigen Sicherheitsbewertung ernst nimmt.
Die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf Bundesebene für ein Aussetzen der gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik Afghanistan vom 2. Oktober 2016 einzusetzen und auf Rückführungen von ausreisepflichtigen Asylsuchenden bis auf weiteres zu verzichten.
Die oberste Landesbehörde, das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, wird aufgefordert, von der rechtlichen Möglichkeit nach § 60a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz Gebrauch zu machen und einen dreimonatigen Abschiebestopp für Afghanistan anzuordnen.
Die Landesregierung wird aufgefordert, die kommunalen Ausländerbehörden darauf hinzuweisen, dass sich durch die angekündigte Neubewertung der Sicherheitslage die Möglichkeit von Asylfolgeantragstellungen von abgelehnten Asylsuchenden ergibt und die örtlichen Behörden zu bitten, die Betroffenen in geeigneter Weise darauf hinzuweisen.