Verena Schäffer: „Im Sinne der Mehrheit, die auf dem Boden unserer Verfassung steht, unsere Grundrechte verteidigen und tagtäglich einen guten Job machen“

Unterrichtung der Landesregierung zum rechtextremen Tendenzen in der Polizei NRW

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Katzidis, ich muss ehrlich sagen: Ich fand Ihre Rede wirklich schwer zu ertragen. Sie mahnen hier eine sachliche Debatte an und sagen, wir müssten gemeinsam vorgehen. Ja, das hätten wir uns in den letzten Monaten gewünscht. Es ist aber leider an Ihnen gescheitert.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Dahm [SPD]: In den letzten Jahren im Übrigen auch! – Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])
Ich habe Herrn Reul im gestrigen Telefonat die Zusammenarbeit angeboten. Dazu stehe ich auch. Ich stehe dafür sehr gerne zur Verfügung. Denn in den vergangenen Monaten und Jahren sind so viele Fälle von Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei bekannt geworden, dass man schon lange nicht mehr von Einzelfällen sprechen kann.
Ich will hier noch einmal ein paar Beispiele nennen, die allein in diesem Jahr bekannt geworden sind: mindestens 21 Verdachtsfälle bei der NRW-Polizei; der Fall eines Verwaltungsmitarbeiters bei der Polizei in Hamm, der der rechtsterroristischen Gruppe „Werner S.“ zugerechnet wird; die beiden Beamten vor der Aachener Synagoge, gegen die wegen Heil-Hitler-Rufen aus dem Smartphone ermittelt wurde; und nun die Aufdeckung der Chatgruppen. Diese Liste ist noch nicht einmal vollzählig.
Ich will ganz deutlich sagen, damit das hier klar ist: Die allergrößte Zahl der Polizeibeamtinnen und ‑beamten in unserem Land ist demokratisch und verfassungstreu. Dennoch können wir bei diesen rechten Vorfällen schon lange nicht mehr von Einzelfällen reden. Offenbar – ich finde, das muss man hier auch einmal aussprechen – hat die Polizei ein strukturelles Problem. Deshalb ist es gut, dass Sie jetzt endlich handeln, Herr Reul.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir Grüne haben in den vergangenen Jahren spätestens nach dem Bekanntwerden der NSU-Verbrechen immer wieder auf das Thema „Rassismus in der Polizei“ hingewiesen. Jeder weiß doch – das wissen wir auch aus der Forschung –: Wenn rassistische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sind, dann machen diese Einstellungen nicht an der Behördentür halt. Rassistische Einstellungen können aber – und das ist das Wichtige – gravierende Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit der Polizei haben. Deshalb müssen wir da hingucken.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Katzidis und Herr Lürbke – ich habe Ihre Pressemitteilung gelesen –: Sie bringen hier Ihre Betroffenheitsrhetorik vor. Ich nehme sie Ihnen auch in Teilen ab. Ich nehme Ihnen ab, dass Sie erschrocken sind. Aber es ist halt das Gegenteil von dem, was wir uns in den letzten Wochen hier anhören mussten.
(Marc Lürbke [FDP]: Nein, überhaupt nicht!)
Ich finde, ein bisschen mehr Selbstkritik stände Ihnen dann doch ganz gut zu Gesicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Lürbke, wir haben in der letzten Sitzung vor der Sommerpause über diese Themen diskutiert. Da haben Sie mir noch gesagt, wir hätten in Nordrhein-Westfalen kein Problem mit Rassismus in der Polizei. Das können Sie nachlesen. Im Protokoll der Sitzung vom 25. Juni 2020 steht es drin.
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Also, Herr Lürbke, kein Problem mit Rassismus in der Polizei? Ich bin sehr gespannt auf Ihre Rede.
(Beifall von den GRÜNEN – Arndt Klocke [GRÜNE]: Herr Lürbke hat nie Probleme mit sich selber! So selbstgerecht! – Marc Lürbke [FDP]: Was soll das denn? Was soll das denn bitte? Meine Güte!)
Herr Lürbke, Herr Katzidis, Herr Golland, ich werfe Ihnen persönlich überhaupt nicht vor, dass Sie für diese Fälle verantwortlich wären.
(Zurufe)
Aber ich werfe Ihnen vor: Mit Ihren reflexhaften Zurückweisungen, die wir hier jedes Mal gehört haben, wenn Kritik vorgetragen wurde, tragen Sie Verantwortung dafür, dass zu lange nicht über Rassismus und Rechtsextremismus diskutiert wurde.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Arndt Klocke [GRÜNE]: Genau! – Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Ich werfe Ihnen auch vor, dass Sie es nicht zugelassen haben, dass es in dieser Polizei eine gesunde, eine konstruktive Fehlerkultur nach vorne gibt, und dass es auch keine Debattenkultur
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
zu diesen Themen hier im Plenum gibt. Das sehen wir jetzt schon wieder. Ich finde, das müssen Sie sich anhören.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Wie gesagt, habe ich dem Minister durchaus die Zusammenarbeit angeboten. Natürlich müssen wir jetzt nach vorne schauen – endlich.
Klar ist – und das wurde hier schon oft gesagt –: Rassismus und Rechtsextremismus haben in der Polizei nichts zu suchen. Die Polizei muss die Sicherheit aller Menschen gewährleisten. Sie darf keine Unterschiede bei den Bürgerinnen und Bürgern machen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf die Polizei verlassen können, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe und ihrer Religion.
Deshalb steht die Aufklärung jetzt natürlich an erster Stelle. Es müssen viele Fragen beantwortet werden: Wie viele Personen waren denn tatsächlich an diesen Chats beteiligt? Warum – ich glaube, das ist die zentrale Frage – sind die mitlesenden Kolleginnen und Kollegen eigentlich nicht eingeschritten? Gibt es Verbindungen zum organisierten Rechtsextremismus, zu rechtsextremen Mischszenen? Wurden von diesen Personen unberechtigte Datenzugriffe getätigt? Ich will nur an NSU 2.0 erinnern.
In der Vergangenheit ist es bei vereinzelten Polizeieinsätzen in Essen leider immer wieder zu Rassismusvorwürfen gekommen. Wir haben das im Innenausschuss thematisiert. Auch das wollte die Koalition ja nicht hören. Aber wenn man sich das in der Rückschau noch einmal anschaut, stellt sich schon die Frage – und das muss geklärt werden, um das Vertrauen in die Polizei zu stärken –, ob die Beamtinnen und Beamten aus diesen Chats an diesen Einsätzen beteiligt waren.
Um es noch einmal klar zu sagen: Die Aufklärung ist ganz wichtig, damit das Vertrauen in unsere Polizei gerade in Migranten-Communities und in Communities anderer gesellschaftlicher Minderheiten nicht verloren geht. Wir unterstützen deshalb auch die Einrichtung der Sonderinspektion, Herr Reul. Aber diese Fragen gehören jetzt geklärt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir Grüne haben durchaus noch weitere Forderungen. Ich bin gespannt, Herr Katzidis, ob Sie sie sich irgendwann noch einmal anschauen werden oder ob noch mehr passieren muss. Das werden wir dann sehen.
Erstens: das Thema „Extremismusbeauftragte“. Das war ja ein Schritt nach dem Fall in Hamm, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Ich glaube, es reicht aber nicht, dass diese Extremismusbeauftragten nur Hinweise von offensichtlich rechtsextremen Bezügen sammeln, also dann tätig werden, wenn sich Einstellungen schon zu einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild verfestigt haben. Wir müssen früher ansetzen. Es geht auch um Rassismus. Es geht um menschenverachtende Einstellungen. Auch die gehören nicht in unsere Polizei. Diese Beauftragten müssen auch im Sinne eines Frühwarnsystems ansprechbar sein.
Diese Extremismusbeauftragten sollten dauerhaft in den Behörden über rassistische, antisemitische und andere menschenverachtende Einstellungen aufklären und damit auch dazu beitragen, dass Polizistinnen und Polizisten die Haltung an den Tag legen, die wir uns von ihnen wünschen – nämlich, dass sie bei Chats mit solchen Inhalten eingreifen und sie melden.
Zweitens. Wir brauchen mehr Studien und Untersuchungen. Das ist richtig. Aber wir haben im Innenausschuss vorgeschlagen, dass man das Aufgabenspektrum der Extremismusbeauftragten erweitert. Das ist nicht gemacht worden.
Sie schauen immer auf den Rechtsextremismus. Ich habe, ehrlich gesagt, das Gefühl, dass Sie sich vielleicht noch einmal die Definition anschauen sollten. Jeder Rechtsextremist ist ein Rassist. Aber nicht jeder Rassist ist ein Rechtsextremist. Wir dürfen nicht nur auf den Rechtsextremismus schauen – also dann, wenn sich ein Weltbild verfestigt hat –, sondern müssen auch darauf gucken, wenn es rassistische Einstellungen gibt und wenn Diskriminierungen stattfinden. Auch dahin müssen wir schauen, weil auch das zu Rechtsextremismus führen kann und weil auch das in der Polizei nichts zu suchen hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deshalb müssen Sie hier herangehen und das Aufgabenspektrum erweitern.
Drittens. Wir brauchen mehr Studien; wir brauchen mehr Untersuchungen. Noch im Sommer – Sie alle haben es wahrscheinlich noch im Ohr – hat Bundesinnenminister Seehofer gesagt: Racial Profiling ist in der Polizei verboten; das gibt es nicht.
Das hat Herbert Reul leider so wiederholt. Ich finde es schade, dass Nordrhein-Westfalen nicht die Chance genutzt hat – nicht zum Thema „Racial Profiling“; das finde ich gar nicht so spannend –, einmal eine eigene Studie zum Thema „verfassungsfeindliche, antidemokratische, menschenverachtende Einstellungen in der Polizei“, also zu Einstellungsmustern, durchzuführen.
Das brauchen wir meines Erachtens dringend. Denn wir brauchen valide Fakten. Wir brauchen Fakten, um darüber diskutieren zu können, welche Einstellungen es gibt. Ich glaube im Übrigen auch, dass das eine Entlastung für alle diejenigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sein kann, die jeden Tag unsere Demokratie und unsere Grundrechte verteidigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es gibt die Studie „UMFELDER“ der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, als sie noch so hieß. Diese Studie hat einen wichtigen Beitrag zum Thema „Aus- und Fortbildung“ geleistet. Sie hat nämlich festgestellt, dass Vorurteile während des Polizeistudiums abnehmen. Offenbar haben wir ein so gutes Studium und so gute Inhalte, dass Vorurteile während des Studiums abnehmen. Aber wenn die Polizeibeamtinnen und ‑beamten aus dem Studium kommen und dann in den Wach- und Wechseldienst gehen, nehmen diese Einstellungen zu.
Das ist doch ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir mehr in Fortbildung und in Supervision investieren müssen. Wir haben es im Innenausschuss aufgerufen. Es hat nur leider wieder niemanden interessiert. Ich hatte auch das Gefühl, dass das Innenministerium die Studie nicht sonderlich ausgewertet hatte. Aber wir müssen doch jetzt da ansetzen. Wir brauchen mehr im Bereich „Aus- und Fortbildung“.
(Beifall von den GRÜNEN)
Viertens: das Thema „Einrichtung einer unabhängigen Stelle, eines unabhängigen Polizeibeauftragten in Nordrhein-Westfalen“. Wir Grüne haben im Juni dieses Jahres hier einen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt. Leider haben CDU, FDP und AfD die Einrichtung verhindert.
Natürlich – dessen bin ich mir auch bewusst – kann ein solcher Polizeibeauftragter nicht alle Probleme in der Polizei lösen. Das behaupten wir auch nicht. Aber ich davon überzeugt, dass solche Stellen, die sowohl für Bürgerinnen und Bürger als auch für Polizeibeamtinnen und ‑beamte ansprechbar sind, einen Beitrag zu einer besseren, einer konstruktiven Fehlerkultur in der Polizei leisten können.
Dass Sie diese Stelle abgelehnt haben, kann ich mir, ehrlich gesagt, nur aus ideologischen Gründen erklären. Ich finde das sehr schade.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich hoffe sehr – auch wenn diese Debatte heute vielleicht ein bisschen kontrovers war; das muss gerade bei diesem Thema, bei dem so lange nichts passiert ist, auch mal sein – und setze darauf, dass die Scheuklappen bei Ihnen jetzt endlich abgelegt werden. Lassen Sie uns wirklich gemeinsam auf das Problem „Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei“ schauen. Lassen Sie uns gemeinsam geeignete Maßnahmen ergreifen.
Das wäre im Sinne der Menschen in unserem Land. Das ist auch im Sinne der Mehrheit der Polizeibeamtinnen und ‑beamten, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen, unsere Grundrechte verteidigen und tagtäglich einen guten Job machen. – Vielen Dank.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer.
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Reul, ich will noch einmal darauf hinweisen: Die Sonderabteilung im LKA war vorher die Sonderkommission, die damals von Rot-Grün eingerichtet worden ist – Stichpunkt: Acht-Punkte-Plan; das sagt Ihnen vielleicht etwas.
Zur Überprüfung der Verfassungstreue will ich noch einmal sagen: Ich denke, dass es ein Missverständnis gibt. Es geht nicht nur darum, wie die Leute bei der Einstellung sind; vielmehr erfolgt die Radikalisierung meistens im Dienst. Die Überprüfung, die Sie hier immer so hochhalten, bringt, ehrlich gesagt, relativ wenig.
(Zuruf von Herbert Reul, Minister des Innern)
Man muss schauen, wie man Vorurteile im Dienst reduzieren kann. Das wäre wichtig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Thema „Studien und Wissenschaft“. Herr Reul, bei Ihnen nehme ich immer eine gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit, wie ich es leider nennen muss, wahr.
(Herbert Reul, Minister des Innern: Oh! – Zurufe von der CDU: Oh!)
Ich finde, dass wir Wissenschaft brauchen. Die Studien kann gerne unsere staatliche FH durchführen. Wir brauchen diese Studien aber, um herauszufinden, wie Einstellungsmuster in der Polizei aussehen – auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
Es wäre wichtig, diese Studie durchzuführen, damit sie uns Rückschlüsse darauf geben kann, wo wir ansetzen und wo wir stärker reingehen müssen, zum Beispiel mit Langzeitstudien. Es ist unheimlich wichtig, das zu machen.
Zum Polizeibeauftragten – dann höre ich auch auf –: Es geht nicht nur darum, dass sich Bürgerinnen und Bürger beschweren können, sondern auch darum, dass diese Stelle wirklich unabhängig ist. Der jetzige Polizeibeauftragte, Thorsten Hoffmann, ist nicht unabhängig; er sitzt im Ministerium. Sie sind derjenige, der über seinem Job den Daumen heben oder senken kann.
(Herbert Reul, Minister des Innern: Nein! Stimmt nicht!)
Er muss unabhängig sein, und das muss nach außen auch erkennbar werden. Deshalb muss diese Stelle hier am Landtag angesiedelt sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)