Kommunalinfo: „Fridays for Future“ – Rechtslage bei Schulstreiks

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
seit mittlerweile mehreren Wochen streiken Schüler*innen weltweit wöchentlich, weil sie ihre Zukunft bedroht sehen und deswegen von den Verantwortlichen wirksame Maßnahmen gegen die fortschreitende Klimakrise einfordern. Am ersten weltweiten Aktionstag am 15. März nahmen allein in Deutschland rund 300.000 Schüler*innen teil. In über 100 Länder auf allen bewohnten Kontinenten fanden Aktionen von Schüler*innen statt.
Selbstverständlich ist der Protest auch Thema im Landtag. Wir konnten nach einer öffentlich zunächst anders ausgelegten Schulmail von Ministerin Gebauer klarstellen, dass bei einer Reaktion auf eine Schulpflichtverletzung unbedingt auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden muss.
Schüler*innen protestieren aus Überzeugung – Angriffe von rechts
Wer mit Schüler*innen spricht, erlebt, wie informiert und verantwortungsvoll sie mit dem Thema umgehen. Zurecht werden Abqualifizierungen der Schüler*innen und Studierenden wie von Christian Linder von den Betroffenen als Affront gewertet. Der FDP-Chef hatte gesagt: „Ich bin für Realitätssinn. Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis“.
Inzwischen haben sich 23.000 Wissenschaftler*innen den Protesten angeschlossen und die Schüler*innen bestärkt. Auch Eltern haben sich organisiert und unterstützen mit einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten und die Schulministerin den Protest der Schüler*innen. Die „Parents for Future“ kritisieren den Druck, der von vielen Akteur*innen in Politik und Verwaltung auf die Protestierenden aufgebaut wird und rufen dazu auf, Ortsgruppen zu gründen.
Neben dieser Solidarität gibt es jedoch auch heftige Kritik, sogar Beschimpfungen und Anfeindungen. Diese zielen insbesondere gegen die Initiatorin der Bewegung, die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg. Wie nicht anders zu erwarten, stehen AFD-Protagonist*innen und rechtsextreme Kreise an der Spitze der erbärmlichen Ausfälle und Hassattacken gegen Jugendliche.
Es ist zudem extrem ärgerlich, dass die Frage nach der Schulpflicht medial oft mehr im Fokus steht als die notwendigen konsequenten Maßnahmen zum Klimaschutz. Vor allem Politiker*innen von CDU und FDP mahnen, die Schüler*innen sollten nach dem Unterricht demonstrieren. Sonst würden sie gegen die Schulpflicht verstoßen, was geahndet werden müsse.
Wie ist die Rechtslage?
Die Schulpflicht ist ein Grundrechtseingriff, der durch die Verfassung gedeckt ist. Sie soll sicherstellen, dass alle Kinder und Jugendliche eine umfassende, nicht willkürlich eingeschränkte schulische Bildung erhalten und mit anderen Kindern gemeinsam lernen. Das so genannte Homeschooling, also das private Unterrichten der eigenen Kinder, ist in Deutschland auch deshalb nicht erlaubt. Ein Grundrechtseingriff muss genau abgewogen werden gegen andere Grundrechte, etwa die Schulpflicht gegen das Elternrecht, die Erziehung bestimmen zu können, oder gegen das Recht an Demonstrationen teilzunehmen. Diese Abwägung von Grundrechten gegeneinander wird auch als praktische Konkordanz bezeichnet.
Jeder Mensch hat in Deutschland das Recht, seine Meinung zu vertreten und in Demonstrationen deutlich zu machen. Das gilt selbstverständlich auch für Kinder und Jugendliche, wie auch die UN-Kinderrechtskonvention bestätigt. Es ist deshalb viel zu simpel, wenn die Ministerin in einer Schulmail davon spricht, das Demonstrationsrecht finde seine Schranken in der Schulpflicht. Genau das behauptete auch die Bezirksregierung Düsseldorf vor dem weltweiten Aktionstag am 15. März. Sie verwies dabei wiederum auf den Erlass zur Durchsetzung der Schulpflicht, der sich aber eben nicht auf solche Fälle bezieht, sondern auf systematische Schulverweigerung und Schulmüde. Aus diesem Erlass stammt auch der von der Ministerin ins Feld geführte Sanktionskatalog, der sogar das polizeiliche Aufgreifen während der Demonstrationen und die zwangsweise Zuführung in die Schule vorsieht. Die Unverhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist offensichtlich. Das musste auch die Ministerin in ihrer Antwort auf unsere mündliche Frage im Landtag einräumen. Auch in anderen Punkten musste Ministerin Gebauer zurückrudern, wie Ihr im angehängten Protokoll nachlesen könnt.
Viele Schulleitungen haben die Mail der Bezirksregierung als Misstrauensbeweis verstanden, wo doch sonst die Eigenverantwortung der Schulleitung betont wird. Wir haben die Mail der Bezirksregierung zum Thema einer Dringlichen Anfrage im Schulausschuss gemacht, um den Umgang mit den Schulen und die geforderten Rückmeldungen zu streikenden Schüler*innen zu problematisieren. Das Protokoll wird in Kürze erscheinen.
Welche Sanktionen drohen streikenden Schüler*innen?
Eltern können eine Befreiung vom Unterricht beantragen. Die Schulleitung kann diese genehmigen, muss jedoch jeden Fall individuell prüfen. Eine Befreiung für jeden Freitag wäre auf Dauer nicht möglich. Wenn eine Befreiung nicht genehmigt wird, können Schüler*innen trotzdem an Demonstrationen teilnehmen. Sie dürfen nicht daran gehindert werden. Ihre Fehlzeiten würden dann als unentschuldigte Fehlstunden gewertet und auf dem Zeugnis vermerkt werden. Bei Abschluss- und Abgangszeugnissen dürfen sie nicht vermerkt werden. Weitere Sanktionen dürfen nur bei wiederholtem Fernbleiben ohne Genehmigung und dann individuell und in angemessener Weise erfolgen. Eine namentliche Meldung an die Bezirksregierung oder ein Einschalten der Polizei wären eben nicht verhältnismäßig.
Schüler*innen, die an den Kundgebungen von Fridays for Future teilnehmen, schwänzen nicht, sie streiken. Streiken kann man nicht nach dem Unterricht. Die Entscheidung für einen Streik treffen die Schüler*innen bewusst, denn dieser ist ein Mittel des zivilen Ungehorsams, der die Dringlichkeit des Anliegens unterstreichen soll. Diese bewusste Entscheidung muss ernstgenommen werden. Im Gespräch mit vielen Streikenden begegnet mir die folgende Haltung: Sie arbeiten nach, wenn sie streiken, und nehmen bewusst nicht an Streiktagen teil, wenn eine Klassenarbeit oder Klausur ansteht.
Streik als Chance
Wenn Schüler*innen sich über Wochen für politisch-gesellschaftliche Fragen engagieren, sollte dies offensiv in das Schulleben integriert werden. Viele Schulen machen das schon: So gibt es beispielsweise freitags Workshops mit Wissenschaftler*innen oder direkte Kooperationen mit „Scientists for Future“ bei der Demonstration. Andere Schulen betten die Demonstrationen in Projekttage ein und integrieren das Thema Klimaschutz als Lern- und Unterrichtsgegenstand in das Schulleben. An wieder anderen Schulen nehmen Klassen im Verbund an Demonstrationen teil und führen dort Interviews, die dann im Politikunterricht ausgewertet werden. Zukunftsschulen in NRW haben das Thema Bildung für Nachhaltige Entwicklung in das Schulprogramm aufgenommen.
Aber auch sinnvolle schulische Angebote dürfen nicht als Beruhigungspille für die Schüler*innen missverstanden werden. Sie machen Druck auf die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, damit in der Menschheitsfrage Klimaschutz endlich konsequente Maßnahmen realisiert werden. Es ist beschämend, dass die Schüler*innen und Studierenden das Heft in die Hand nehmen müssen, weil die in Verantwortung stehenden Generationen versagen.
Und was ist, wenn Schüler*innen für Pegida streiken würden?
Das Thema von Schulstreiks ist nicht egal. Der Einsatz für einen wirksamen Kampf gegen die Klimakrise ist ein völkerrechtlich abgesichertes Anliegen, so wie auch andere Ziele für nachhaltige Entwicklung. Oft wird angeführt, die Schule sei laut Beutelsbacher Konsens zu politischer Neutralität verpflichtet. Das ist nicht richtig. Die Schule muss eine grundrechtsklare Schule sein. Ihre Aufgabe ist es laut Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz ausdrücklich, die Würde des Menschen zu achten und zu Menschlichkeit, Demokratie, Freiheit und Frieden zu erziehen. Schule muss für diese Werte eintreten und eben dieses Eintreten für diese Werte fördern. Die AfD versucht beispielsweise immer wieder, den Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit als einen Verstoß gegen die geforderte Neutralität der Lehrkräfte zu diffamieren. Verschiedene Experten haben klargestellt: Der Einsatz ist nicht nur legitim, sondern gefordert. Schule ist nicht wertfrei – und das gilt auch beim Kampf gegen die Klimakrise.
Zu Eurer Information findet Ihr anbei Auszüge aus den bisherigen Parlamentsdebatten zu diesem Thema und die oben erwähnte Schulmails des Ministeriums und der Bezirksregierung Düsseldorf. Für Eure weitere Argumentation vor Ort könnt Ihr Euch gerne an meiner Rede im Landtag orientieren.
Für Fragen zu diesem Thema stehen Euch unser wissenschaftlicher Mitarbeiter, Norbert Czerwinski (norbert.czerwinski@landtag.nrw.de, 0211-884 2885), und ich gerne zur Verfügung.

Mit Grünen Grüßen
Sigrid Beer MdL

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