Nordrhein-Westfalen zum Vorreiter der Kunststoff-Kreislaufwirtschaft machen – Ein Forschungsinstitut für Kunststoffrecycling fördern

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Norwich Rüße

I. Ausgangslage:
Nordrhein-Westfalen ist das Kunststoffland Nummer 1. Hier sind zahlreiche Unternehmen angesiedelt, die von der Kunststoffherstellung, über die Verarbeitung und Herstellung von Kunststoffmaschinen, bis hin zum Kunststoffrecycling die gesamte Bandbreite an Technologien in diesem Bereich abbilden. Die über 1.000 Kunststoff herstellenden Unternehmen in NRW erzielten 2019 fast 34 Milliarden Euro Umsätze und beschäftigten rund 144.000 Menschen. An mindestens 14 Hochschulen und drei außerhochschulischen For­schungseinrichtungen in NRW wird sich mit Themen im Bereich Kunststoffe befasst (www.kunststoffland-nrw.de).
Das Umweltbundesamt stellt dar (https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallar-ten/kunststoffabfaelle#unterschiede-bei-der-stofflichen-verwertung), dass in Deutschland im Jahr 2017 rund 6,1 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle anfielen, was erneut eine Steigerung gegenüber den Vorjahren bedeutete. Im gleichen Jahr wurden fast 47 Prozent der gesammelten Kunststoffabfälle werkstofflich und nur 0,6 Prozent rohstofflich verwertet; knapp 53 Prozent wurden energetisch verwendet in Müllverbrennungsanlagen, Zement- oder Kraftwerken.
Die Kunststoffindustrie bezifferte die Herstellungsmenge im Jahr 2017 auf 12,6 Millionen Ton­nen Kunststoffe aus Primärrohstoffen und dem Einsatz von 1,8 Millionen Tonnen Rezyklaten (https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallar-ten/kunststoffabfaelle#unterschiede-bei-der-stofflichen-verwertung). Neu hergestellte Kunststoffe wurden vor allem für Verpackungen (30,5 Prozent) und im Bausektor (24,5 Prozent) eingesetzt. Hier wurden zwei Drittel der Rezyklate eingesetzt.
Die Recyclingquote von Kunststoffabfällen ist in Deutschland längst nicht so gut, wie landläufig behauptet. Die Verschiffung von Plastikmüll ist seit vielen Jahren Praxis. Das Statistikamt der Europäischen Union stellte in einer Meldung vom 9. Juli 2020 dar, dass die Verringerung der Exporte von Kunststoffabfällen nach China – aufgrund der durch das Land erlassenen Ein­fuhrbeschränkungen – einhergehe mit steigenden Exporten insbesondere nach Malaysia und in die Türkei. Zwar ging die Menge der aus der EU exportierten Kunststoffabfälle insgesamt deutlich zurück, sie lag im Jahr 2019 aber noch bei 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr (https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/-/DDN-20200709-01). Diese Exporte müssen aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes und im Sinne einer Stärkung der Eigenverantwortung beendet werden.
Das Duale System Deutschland meldete im Juni 2020, dass das Recyclinggeschäft trotz ge­stiegener Kunststoffmengen einbreche. Das Unternehmen sprach von Marktversagen und forderte eine gezielte Förderung der Kreislaufwirtschaft. „Der extrem niedrige Ölpreis und die Folgen der Corona-Pandemie gefährden massiv alle Erfolge und Bemühungen, Plastik zu re­cyceln und im Kreislauf zu führen“, warnte der CEO des DSD. „Deutschland sollte seine EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um sich für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft bei Kunststoff einzusetzen“ (https://www.zfk.de/entsorgung/abfallwirtschaft/artikel/d90e5a588f4f5fae4ca4e21595d14968/dsd-fordert-kunst-stoffrecycling-retten-2020-06-08/).
Als Nebenfolge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seien die Abfallmen­gen der Privathaushalte gestiegen. Zwar gäbe es insgesamt weniger Abfälle aus der einge­schränkt tätigen Wirtschaft, aber die Menge an Kunststoffverpackungen nehme zu. Während der niedrige Ölpreis die Kosten für neu geschaffene Kunststoffe drücke, hänge der Preis von Rezyklaten von anderen Faktoren ab. Außerdem sei es bislang nicht gelungen die Produktion auszuweiten und dadurch günstiger zu machen. Kunststoffrecycling sei noch immer ein Ni­schengeschäft, müsse aber ausgebaut werden, um die Ziele in Klima- und Umweltschutz zu erreichen. Recyclingkunststoff spare bis zur Hälfte der Treibhausgasemissionen gegenüber neuem Kunststoff.
Die Europäische Kommission hat im Januar 2018 eine Strategie für Kunststoffe verabschiedet, die dazu dienen soll die Umwelt vor Verschmutzung zu schützen und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken, durch einen Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft (circular economy). Bis 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen in der EU recyclingfähig sein, der Verbrauch von Einweg­kunststoffen reduziert und die Verwendung von Mikroplastik beschränkt werden. Die Kommis­sion erläuterte, es gäbe große wirtschaftliche Argumente dafür die Art und Weise zu ändern, wie Produkte entworfen, hergestellt, verwendet und wiederverwendet werden. Wenn die EU hier eine Führungsrolle übernähme, ergäben sich neue Möglichkeiten für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Recycling solle zu einem lohnenden Geschäft gemacht werden. Die notwendigen neuen Denkansätze und eine Verbesserung der Funktionsweise einer so komplexen Wertschöpfungskette erforderten Anstrengungen und mehr Zusammenarbeit aller Akteure. Die Kunststoffindustrie sei für die europäische Wirtschaft von großer Bedeutung und die Verbesserung ihrer Nachhaltigkeit könne neue Chancen für Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit eröffnen. (https://ec.europa.eu/commission/news/first-ever-europe-wide-strategy-plastics-2018-jan-16_de)
Im Rahmen einer im Juni 2019 abgeschlossenen schriftlichen Anhörung des Ausschusses für Europa und Internationales des Landtags zur EU-Kunststoffstrategie erklärten unter anderem mehrere Unternehmen und Unternehmensverbände sowie eine Forschungseinrichtung wie wichtig der Schritt hin zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft im Bereich der Kunststoffe ist, auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik beschrieb unter anderem die Vorteile eines solchen Wandels: „Die Transformation des linearen Wirtschaftens mit Kunststoffen zu einer Circular Plastics Economy wird zu innovativen Lösungen und systemischen Verbesserungen in neuen Wertschöpfungsketten führen. Eine Chance der Circular Economy ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze, da Reparatur, Recycling, Wiederverwendung unter Einschluss moderner Technologien (z. B. 3D-Druck) etc. wertschöpfender sein können als die schlichte Neuwarenproduktion im Megatonnenmaßstab (…) Nordrhein-Westfalen muss als starkes und hochvernetztes Industrie- und Wissenschaftsland Vorreiter der Circular Plastics Economy sein“ (Stellungnahme 17/1443). Das Institut betonte aber auch, dass nicht nur die Marktteilnehmenden umdenken müssten, sondern es auch Herausforderungen gäbe, unter
anderem was die Beschaffenheit und das Material betrifft. Dies ist auch eine entscheidende Frage für Unternehmen. „Dies betrifft neben dem Produktdesign und der Produktverantwortung auch die Frage nach dem richtigen Umgang mit Kunststoffabfällen, um diese an deren Lebensende (…) in Stoffkreisläufen zu führen bzw. hochwertig zu verwerten“, wie die Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW in ihrer Stellungnahme schrieb (Stellungnahme 17/1444). Der Verband der Kunststofferzeuger betonte in der Anhörung (Stellungnahme 17/1445): „Für die Kunststoffindustrie in Deutschland ist Kreislaufwirtschaft ein zentrales Thema, denn dieses ist ein essentieller Beitrag zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit der Unter­nehmen und der Branche“.
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. zeigte den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen auf (Stellung­nahme 17/1424): „Über die hochwertige stoffliche Verwertung von Kunststoffverpackungen und den Einsatz der Recyclingrohstoffe kann eine vielfache Menge an natürlichen Ressourcen eingespart werden. Gleichzeitig benötigt die Verwertung der Abfälle nur einen Teil der Energie, die zur Gewinnung von Primärrohstoffen erforderlich wäre. Deutschland hat als vergleichsweise rohstoffarmes Land aufgrund seiner hohen Industrieintensität einen erheblichen Rohstoffbedarf. Der deutschen Recyclingwirtschaft kommt daher als Rohstofflieferant große Bedeutung für die Versorgung der verarbeitenden Betriebe im In- und Ausland zu. Angesichts der Chance einer Verringerung der Abhängigkeit von Rohstoffimporten ist die Substitution von Primärrohstoffen nicht nur umwelt-, sondern auch handels- und industriepolitisch geboten. Während u. a. die Deponierung von Verpackungsabfällen klimaschädliche Emissionen produziert, trägt das Recycling wesentlich zur Senkung der deutschen C02-Emissionen bei und betreibt damit aktiven Klimaschutz. Kunststoffrecyclate sparen aus Erdöl hergestellte Neuware ein und die Herstellung von Kunststoffrecyclaten verbraucht weniger Energie und ist damit klimafreundlicher. Für die Bemühungen zur Senkung der Emissionen und das Gelingen der Energiewende ist das Kunststoffrecycling somit unverzichtbar.“
Hinzu kommt, wie das Umweltbundesamt (Umweltbundesamt) ausführt: „Aus Umweltschutzsicht ist es sinnvoll, vermehrt Altkunststoffe aus dem Restmüll ‚abzuschöpfen‘ und einer möglichst hochwertigen werkstofflichen Verwertung zuzuführen. Denn diese Verwertung ist, wie viele Ökobilanzen zeigen, vorwiegend die umweltgünstigste Entsorgungsvariante“.
Aufgrund der immer mehr von Plastik verschmutzten Weltmeere, dem zunehmenden Ressourcenverbrauch in allen Teilen der Erde und gleichzeitiger Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, gewinnen Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft in der heutigen Zeit enorm an Bedeutung. In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft findet immer mehr ein notwendiges Umdenken statt, hin zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen. Um unsere Natur zu schützen, aus Verantwortung für den Planeten und für die kommenden Generationen bedarf es neben einer stärkeren Abfallvermeidung und biologisch abbaubaren Kunststoffen, eines besseren Recyclings von Kunststoffen.
Vor diesem Hintergrund müssen künftig hierzulande etablierte Prozesse anders und global gedacht, modifiziert und neu gelebt werden. Neben gesellschaftlichen und politischen Anforderungen sind hierbei auch große technische Herausforderungen zu meistern. Die kunststoffverarbeitenden Unternehmen in NRW brauchen dafür konkrete Lösungen.
Die bisher auf diesem Gebiet forschenden Einrichtungen sollten sinnvollerweise ergänzt werden, um ein eigenständiges Institut für Kunststoffrecycling, dass sich schwerpunktmäßig mit der Recyclingfähigkeit der immer stärker verbreiteten hybriden Strukturen im Baubereich beschäftigt und technische Lösungen erarbeitet, die das effiziente Recycling moderner Baugruppen ermöglichen. Kunststoffverarbeiter in NRW spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieser Baugruppen. Um den Fehler aus der Geschichte nicht zu wiederholen, sich erst spät mit dem Recycling zu beschäftigen, müssen heute auch bereits Lösungen für das Recycling der Bauteile von morgen erarbeitet werden.
Neben dem Recycling technischer Kunststoffe sollte sich das Institut ebenfalls gewichtig mit dem Thema des Recyclings von Kunststoffen im Verpackungsbereich beschäftigen. Im Bereich der Prozesstechnik könnte ein solches Institut einen Beitrag dazu leisten, um die Maschinenhersteller und die Zulieferer zu stärken und global wettbewerbsfähiger zu machen.
Da sich die Europäische Union derzeit auf den Weg zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft begibt, sollten die Forschungskapazitäten in NRW darauf ausgerichtet werden. Wichtig ist, dass das Institut konkrete Projekte in Zusammenarbeit mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft durchführt und dadurch Forschungswissen in die Unternehmen transferiert. Hinzu kommt, dass ein solches Institut wichtige Aufklärungsarbeit gegenüber Entsorgern, Aufbereitern, dualen Systemen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern leisten könnte.
An der Universität Paderborn liegt ein Konzept für ein solches Institut vor. Mit dem an der Universität vorhandenen Institut für Leichtbau mit Hybridsystemen und den Kunststoff-Lehrstühlen bestehen entsprechende Grundlagen in Knowhow, Forschungsergebnissen und Kon­takten in die Wirtschaft.
Angesichts der positiven wirtschaftlichen Effekte und der positiven ökologischen Effekte, welche wiederum positive wirtschaftliche Effekte haben werden, kann sich das Land Nordrhein-Westfalen den vergleichsweise geringen Beitrag zur institutionellen Förderung eines solchen Instituts leisten.
II. Der Landtag beschließt:
1.      Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die Gründung eines Instituts für Kunststoff­recycling durch die Universität Paderborn zu unterstützen und zeitnah eine verbindliche Zusage zu geben, das Institut durch Landesmittel dauerhaft institutionell zu fördern.
2.      Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich auch darüber hinaus stärker dafür zu engagieren, Nordrhein-Westfalen zum Vorreiter für eine Kreislaufwirtschaft im Bereich der Kunststoffe zu machen, um einen besseren Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür müssen auch über ein Institut für Kunststoffrecycling hinaus Lehre, Forschung und Entwicklung an Hochschulen und in Unternehmen sowie die Verbraucherbildung und – beratung im Land stärker gefördert werden.