Arndt Klocke: „In diesem Bereich ist bisher einfach zu wenig passiert“

Antrag der "AfD"-Fraktion zu LKW-Abbiegeunfällen

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte meine Rede zu dem Thema mit einer persönlichen Begebenheit beginnen. Ich war in meinem Sommerurlaub in Mecklenburg-Vorpommern und las dort in einer Regionalzeitung ein sehr ausführliches Interview mit der SPD-Vorsitzenden Frau Esken. Dieses Interview fand ich ganz interessant, weil die Fragestellungen interessant und vielfältig waren.
Danach war ich einige Tage in Berlin und entdeckte bei Twitter in einer Meldung vom ADFC Berlin, dass ein junger Mann mit seinem Fahrrad in Berlin-Adlershof bei einem Rechtsabbiegerunfall von einem Lkw überrollt worden und zu Tode gekommen ist. Am Tag darauf stellte ich dann beim Lesen einer Todesanzeige in der „Märkischen Allgemeinen“ fest, dass dieser Radfahrer jener junge Journalist war, der dieses Interview mit Frau Esken geführt hatte. Ich kannte ihn persönlich nicht. Er wurde als sehr schlau, freundlich und verbindlich beschrieben und zudem als großer Kino-Fan und leidenschaftlicher Berlinale-Gänger, der ich auch bin. Ich bin zudem leidenschaftlicher Radfahrer und kenne Berlin ganz gut. Ich kenne auch diese Kreuzung. Ehrlich gesagt ist mir das sehr nahe gegangen, wie Sie vielleicht nachvollziehen können, ohne ihn persönlich gekannt zu haben.
An diesem Thema sind wir Grüne seit vielen Jahren dran und haben dazu bereits mehrere Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht. Es gab Anhörungen, und wir haben Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.
Das, was die Kollegen von CDU und FDP hier eben vorgestellt haben, dass es aufgrund des EU-Rechts keine rechtliche Möglichkeit gebe, eine nationale Gesetzgebung einzuführen, ist schlichtweg falsch. Jedenfalls haben das die Anhörungen im Deutschen Bundestag und auch die in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten ergeben. Es gibt entsprechende Kabinettsbeschlüsse mehrerer Bundesländer, auch solcher, die von Grünen mitregiert werden, in denen wir die Verkehrsministerin bzw. den Verkehrsminister stellen. Das sind sechs Bundesländer. Des Weiteren gab es dazu Debatten im Bundesrat. Vielfältige Diskussionen dazu laufen bereits seit einigen Jahren.
Ich weiß, dass es eine entsprechende verabredete Regelung für 2024 gibt. Aber wir haben jetzt Spätsommer 2020. Das ist nicht nur spät, sondern es ist für viele Menschen leider einfach zu spät. 34 Radfahrerinnen und Radfahrer sind in 2018 bundesweit bei Rechtsabbiegerunfällen mit Lkws ums Leben gekommen. Es gibt noch keine Zahlen – jedenfalls habe ich bei der Vorbereitung meiner Rede keine gefunden – für 2019. Jedenfalls wäre der Tod der 34 Radfahrerinnen und Radfahrer, die unverschuldet an einer Kreuzung bzw. im Straßenverkehr überrollt worden sind, zu verhindern gewesen.
Ich nehme dem Verkehrsminister sein Engagement für den Radverkehr und seine Bemühungen in diesem Bereich ab und schätze ihn dafür, aber ich wüsste auch gern, was seine Bemühungen auf Bundesebene sind, um diese rechtlich nicht haltbare Situation in der Bundesrepublik zu verändern.
Liebe Kolleginnen von der CDU, Sie sind sowohl im Bund – und das schon seit Jahren – als auch in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, in der Regierungsverantwortung. Die CSU stellt seit zwölf Jahren den Bundesverkehrsminister. In diesem Bereich ist bisher einfach zu wenig passiert. Tagtäglich werden Menschen im Straßenverkehr verletzt. Ich habe gerade benannt, wie viele davon im Jahr ums Leben kommen.
Was den AfD-Antrag angeht, möchte ich zusammenfassend sagen: Auch ein ansonsten blindes Huhn findet mal ein Korn. Sie haben eben Wien zitiert. Dass die AfD eine grüne Verkehrssenatorin in Wien hochhält, ist angesichts der Rede, die Herr Loose mit seinen abfälligen und widerwärtigen Bemerkungen über die Grünen in der vorletzten Runde gehalten hat, bemerkenswert. Aber sei‘s drum.
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
Inhaltlich ist es egal, von welcher Seite dieser Antrag kommt. Es ist sinnvoll, dass wir uns noch einmal mit diesem Thema beschäftigen. Wir haben das von grüner Seite vielfältig in den Bundesländern thematisiert und zum Ausdruck gebracht, und es gibt vielfältige Beschlüsse.
Mein Erkenntnisinteresse an der heutigen Debatte hat folgenden Fokus: Gibt es etwas Neues vonseiten der NRW-Landesregierung? Gibt es etwas Neues vonseiten des Verkehrsministeriums? Gibt es Bemühungen über das hinaus, was verabredet worden ist?
Rechtlich und politisch wäre es in jedem Fall möglich, auf Bundesebene zu einer früheren Vereinbarung und Lösung zu kommen, zu einem schnelleren und verpflichtenden Einbau solcher Abbiegeassistenten. Dafür muss man nicht bis 2024 warten. Das wäre jedenfalls mein Wunsch und meine Herzensangelegenheit. Auch vor dem Hintergrund der Geschichte, die ich Ihnen zu Beginn meiner Rede erzählt habe, sollten wir zu einer schnellen Verständigung kommen. Ich bin gespannt, was der Verkehrsminister uns an dieser Stelle zu berichten hat. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Herr Kollege, es gibt eine Kurzintervention der AfD. Der Abgeordnete Vogel möge bitte die Anmeldung am Mikrofon machen. Dann kann ich freischalten. Bitte.
Nic Peter Vogel (AfD): Danke schön. – Herr Klocke, das mag Ihnen jetzt ungewöhnlich vorkommen. Sie werden wahrscheinlich auch gar nicht viel Wert darauf legen. Sie sind gerade in meiner Achtung enorm gestiegen, und zwar erst einmal, weil Sie sich absolut inhaltlich damit auseinandergesetzt haben und weil Sie auch erkannt haben, dass es hier einfach viel zu lange dauert, bis man aktiv wird.
Sie haben die Beispiele gebracht, die auch im Bundestag besprochen wurden. Ich habe eben gedacht: Das kann doch eigentlich nicht wahr sein. Wie gesagt, eine Stadt wie Wien macht es. Ich darf auch mal jemanden loben – ein blindes Huhn, das auch mal ein Korn findet, um es mit Ihren Worten weiterzugeben –, was die Senatorin angeht.
Es ist so: In Köln haben wir beispielsweise wieder in jüngster Zeit zwei neue Verkehrstote zu verorten gehabt. Wenn Sie mal durch Köln fahren, sehen Sie überall die weißen Fahrräder, die an Laternen angekettet sind. Jedes steht für einen Verkehrstoten, einen Radfahrer, der durch einen Lkw ums Leben gekommen ist. Man hat sicherlich auch in den Kommunen, worauf wir auch Einfluss haben, die Möglichkeit, dort aktiv zu werden. Bürgermeister können sich für Umweltspuren entscheiden, für Pop-up-Radwege oder einige Sachen, die ich jetzt vielleicht nicht für ganz so sinnvoll halte.
Mein Anliegen noch einmal: Vielleicht überlegen Sie ja in den nächsten Wochen selber mal, ob Sie vielleicht einen inhaltsähnlichen Antrag einbringen würden. Wir könnten das im Verkehrsausschuss besprechen. Ich denke, damit wäre uns allen geholfen, vor allen Dingen unseren Radfahrern. Das wäre ein gutes Zeichen. – Ich danke Ihnen auf jeden Fall.
(Beifall von der AfD)
Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Zur Antwort jetzt der Abgeordnete Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Herr Präsident. – Ich habe in meiner Rede deutlich gemacht, dass mir das Anliegen ein Herzensanliegen ist. Ich verfolge das seit vielen Jahren, weil ich selber tagtäglicher Radfahrer bin und auch die Situation in Köln kenne, auch die entsprechenden Unfälle und Todesfälle dort kenne.
Ich habe im letzten Jahr im Sommer eine Demo mit ins Leben gerufen, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattgefunden hat, bei der es genau um dieses Thema geht, um Verkehrssicherheit und um die Verkehrstoten dort. Mein Engagement ist da vielfältig.
Mein Anliegen ist, dass wir wirklich an diesem Punkt zügig vorankommen. Dazu gehört viel. Wir haben gestern Abend über die Verkehrswacht anlässlich eines SPD-Antrags diskutiert. Auch hier wird viel für das Thema Verkehrssicherheit getan, für Verkehrsfrüherziehung, für Sicherheit von Radfahrerinnen und Radfahrern. Es geht nicht immer nur um diese technischen Lösungen. Es geht auch darum, dass alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere junge Menschen, Schülerinnen und Schüler, gut vorbereitet werden etc.
Was mir sehr nahegeht, ist, dass hier Menschen, die bester Gesundheit sind, völlig unverschuldet in eine solche Situation geraten. Ich hatte auch bei mir im Büro die Situation, dass die Schwägerin meines früheren Mitarbeiters dort bei einem der Kölner Raserunfälle als Radfahrerin vor einigen Jahren zu Tode gekommen ist. In Köln-Deutz steht auch ein solches weißes Fahrrad für sie. Mir geht das sehr nahe.
Ich würde mir sehr wünschen, wenn unsere Landesregierung den Einfluss, den das größte Bundesland sicherlich hat, in Berlin nutzt, um hier schneller voranzukommen. Da hoffe ich auf die Initiative unseres Verkehrsministers, auch in der Bundesverkehrsministerkonferenz, und auf weitere Gespräche, die dafür nötig sind, dass wir hier einen Schritt vorankommen.

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