Mehrdad Mostofizadeh: „Wir sind doch an der Grenze dessen, was machbar ist“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Corona-Teststrategie des Landes

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das war aus meiner Sicht schon ein beeindruckender Bericht, den wir am Sonntag bei „Westpol“ sehen mussten, als es um die Frage ging, wie es mit den Gesundheitsämtern in Nordrhein-Westfalen aussieht.
Weswegen war er aus meiner Sicht so beeindruckend? Wir hatten ähnliche und vergleichbare Zahlen auch schon im Frühjahr bei den Gesundheitsämtern in Nordrhein-Westfalen zu beklagen. Weswegen führe ich das hier an? Genau zu diesem Zeitpunkt, Herr Minister, haben Sie ein Infektionsschutzgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vorgelegt, das vorsah, Leute auch gegen ihren Willen zwangszurekrutieren. Das Gesetz sah vor, dass auch Leute, die im Ruhestand sind und möglicherweise selbst zur vulnerablen Gruppe gehören, in die Krankenhäuser und in die Gesundheitsämter kommen und aushelfen sollten.
Jetzt stellt sich der Minister hin und sagt, das mit den Gesundheitsämtern sei nun einmal kommunale Aufgabe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist organisatorisch richtig. Aber bei der Bekämpfung der Pandemie kann das doch nicht die Antwort der Landesregierung auf diese Frage sein.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Deswegen frage ich mich auch, Herr Minister: Warum fragen Sie nicht systematisch die Gesundheitsämter ab?
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Machen wir!)
Wieso nutzen Sie die freiwilligen Strukturen, die Sie aufgrund des Drucks der Opposition aufgebaut haben, nicht aus, um mehr Personal in die Gesundheitsämter zu bringen?
Die Zeit, als die Gesundheitsämter in den Städten noch anderes Personal ausleihen oder mit Überstunden arbeiten konnten, ist vorbei. Wir sind doch an der Grenze dessen, was machbar ist.
Deswegen kann ich nur sagen: Die Gesundheitsämter in den Städten und in den Kreisen vor Ort sind der zentrale Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie. Deswegen muss das Land helfen, unterstützen und klare Anweisungen geben, wie hier gearbeitet werden soll, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Minister, es geht auch nicht um Dinge, die neu wären. Wir haben – möglicherweise unterscheiden wir uns da auch ein bisschen von der SPD – im Mai einen Antrag vorgelegt, in dem eine Teststrategie eingefordert wurde. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern. Da sind Sie nach langsamem Anfang sehr laut geworden und haben gesagt: Wenn wir alle 380.000 Leute, die in den Pflegeheimen arbeiten, testen würden … Solche Massentests lehnen wir ab.
Keine zwei Monate später machen Sie Massentests an anderer Stelle, nämlich in Schulen und Kindertagesstätten. Sie haben es aber vermieden, in den Pflegeheimen, in denen es besonders Betroffene gibt, diese Testungen proaktiv durchzuführen. Das ist keine Strategie. Das ist Hinter-die-Lage-Gehen. Das ist Hinterherlaufen. Wir Grünen können das, was Sie da gemacht haben, überhaupt nicht verstehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Für mich ist auch nicht nachvollziehbar, warum wir in Deutschland – ich hoffe da sehr auf die nächsten Tage, Herr Minister – immer noch so unterschiedliche Regeln haben. Warum schaffen wir es nicht, die RKI-Regeln konsequent anzuwenden? Das geschieht in Nordrhein-Westfalen offenbar nicht. Wenn man den Berichten glauben darf, werden in Dortmund Leute, die in Gruppe 1 sind, nicht getestet, und die Nachverfolgung wird nicht entsprechend gemacht. In Remscheid, obwohl es eine sehr arme Stadt ist, sieht der Gesundheitsdezernent überhaupt keinen Spielraum, das durchzusetzen. Gleichzeitig hören wir, dass in Düsseldorf eine Veranstaltung mit 13.000 Zuschauerinnen und Zuschauern stattfinden soll.
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern. Im April war es so, dass man nur zu zweit auf die Straße gehen durfte, dass Trauerfeiern zum Teil nur mit fünf Personen stattfinden durften und dass Hochzeiten im kleinen Kreis gefeiert werden mussten. Warum erzähle ich das? Ich sage es, weil wir klare, verlässliche Strukturen brauchen. Wir brauchen Rückhalt in der Bevölkerung. Wir brauchen verlässliche Punkte. Das kann auch einmal falsch sein. Aber es muss zueinander passen. Es muss eine klare Strategie sein. Diese Regeln sollten wir bundeseinheitlich festlegen – mit den Spielräumen, die es vor Ort geben kann.
Das Hin und Her, das Tschentscher gegen Laschet oder gegen Söder, ist nicht das Richtige. Vielmehr geht es um die Frage: Was ist die beste Strategie, um diese Pandemie zu bekämpfen, indem man die Bevölkerung hinter diese Strategie bekommt und damit diese Pandemie erfolgreich bekämpft? Darum geht es. Da erwarten wir auch klare Antworten von der Landesregierung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Deswegen möchte ich noch auf einige Punkte hinweisen. Die Kassenärztliche Vereinigung fordert selbst proaktive, asymptomatische Tests. In Essen setzen wir uns immer wieder mit dieser Frage auseinander. Das Gesundheitsamt in Essen sagt: Wir halten die Landesstrategie für falsch. Wir halten die Reiserückkehrertests für falsch. – Sie haben sogar die Schutzmasken am Anfang für falsch gehalten.
Das ist eine Vielchörigkeit, die wir uns hier in Nordrhein-Westfalen nicht mehr erlauben sollten. Lassen Sie uns uns zusammensetzen. Lassen Sie uns auch durchaus die unterschiedlichen Interessen diskutieren. Das ist doch gar keine Frage. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auch unterschiedliche Auffassungen. Aber wir müssen zum Punkt kommen. Wir müssen es klären, und wir müssen es einheitlich klären. Denn dann werden wir besser und haben eine Strategie, die von der Bevölkerung verstanden wird und auch gesundheitspolitisch vertretbar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte noch drei Punkte aufgreifen, die der Kollege Kutschaty angesprochen hat. Eines ist mir nicht ganz erklärlich: Wenn Sie schon so umfangreich testen wollen, warum machen Sie dann kein Konzept, mit dem Reihentests an Schulen, an Institutionen stattfinden können? Das ist doch auch in Pflegeheimen kein Hexenwerk. Dort arbeitet hoch diszipliniertes Personal, das zu den Tests gehen kann. Dort können auch mehrere Tests in Reihe durchgeführt werden, sodass deutlich höhere Kapazitäten genutzt werden können. Bieten Sie das an! Machen Sie davon Gebrauch!
Vorletzter Punkt, bei dem ich ganz anderer Auffassung als Sie bin: Das Land hat alle Ermächtigungsmöglichkeiten, um diese Punkte durchzusetzen. Sie haben alle Möglichkeiten, auch den Kommunen zu helfen. Sie können gesetzlich davon Gebrauch machen. Sie können Aufgaben nach Weisung vergeben, und Sie können Standards setzen. Machen Sie das, Herr Minister! Machen Sie von Ihren Rechten Gebrauch! Sie haben uns hinter sich, wenn es nachvollziehbare Strukturen sind. Das fordern wir ein – und nicht den Fingerzeig auf die Kommunen, Herr Minister Laumann.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber letztlich drängt auch die Zeit, weil wir zwei Punkte jetzt lösen müssen. Wir müssen jetzt die Personalfrage in den Gesundheitsämtern vor Ort lösen. Das wird nicht alleine dadurch gehen, dass wir zugucken und Applaus spenden. Wir müssen dafür sorgen, dass das Personal dafür bereitgestellt wird, dass Menschen aus anderen Bereichen rekrutiert werden können
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ach, Blödsinn!)
und dass Finanzen bereitgestellt werden. Dafür müssen Sie Standards setzen, die für jede Stadt gelten und die auch durchgesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von dem heutigen Tag sollte ausgehen, dass wir hier bundesweit besser werden und die kommunalen Behörden zu dem großen Ankerpunkt zur Bekämpfung der Pandemie machen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)