Unterbliebene Aktivierung des Krisenstabs der Landesregierung

Kleine Anfrage von Verena Schäffer

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Seit dem 26. Februar 2020 erfolgte in nordrhein-westfälischen Medien eine breite Berichterstattung über die COVID-19-Krankheit und deren Ausbreitung (vgl. u.a. WDR online vom 26.02.2020, Ticker von Mittwoch (26.02.2020) zum Nachlesen – https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/erste-corona-infektion-nrw-ticker- 100.html und Westfälische Rundschau vom 29.02.2020, Coronavirus in NRW: Meldungen vom Mittwoch (26. Februar) – https://www.wr.de/thema/coronavirus/coronavirus-in-nrw- meldungen-vom-mittwoch-26-februar-id228580049.html (20.07.2020)).
Am 11. März 2020 stufte die Weltgesundheitsorganisation das Auftreten von COVID-19 als Pandemie ein (Tagesschau online vom 11.03.2020, WHO spricht von Corona-Pandemie – https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-317.html (11.05.2020)).
Für Katastrophen hält die Landesregierung Krisenstäbe beim Innenministerium und bei den Bezirksregierungen vor, die bei Bedarf aktiviert werden können (vgl. § 5 Absatz 2 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG)). Gleiches gilt für die Kreise und kreisfreien Städte (§ 35 Absatz 1 BHKG).
Das in den §§ 35 ff. des BHKG gesetzlich geregelte Krisenmanagement wird durch den Runderlass „Krisenmanagement durch Krisenstäbe im Lande Nordrhein-Westfalen bei Großeinsatzlagen, Krisen und Katastrophen“ des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 26. September 2016 konkretisiert. Hiernach bilden Krisenstäbe „[…] eine Ebenen übergreifende, einheitliche Organisationsform für das Krisenmanagement […]“ (Nr. 1 des Krisenmanagement-Erlasses vom 26.09.2016).
Aufgabe und Zweck von Krisenstäben ist es, „unter den eventuell zeitkritischen Bedingungen eines Ereignisses, umfassende Maßnahmen schnell, ausgewogen und unter Beachtung aller notwendigen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte vorzubereiten und erforderlichenfalls in Abstimmung mit der politisch gesamtverantwortlichen Person zu veranlassen.“ (Nr. 2.3 des Krisenmanagement-Erlasses vom 26.09.2016.)
Die Einberufung des Krisenstabs der Landesregierung kann bei landesweiten Großeinsatzlagen oder Katastrophen erfolgen, zu deren Bewältigung mehrere Ressorts zusammenwirken müssen (Nummer 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Krisenstabs der Landesregierung Nordrhein-Westfalen (MBl. NRW. 2017 S. 846)).
Der Ministerpräsident entscheidet über die Einberufung des Krisenstabs. Daneben kann jede von der Lage betroffene Fachministerin beziehungsweise jeder betroffene Fachminister und der für Inneres zuständige Minister dem Ministerpräsidenten den Vorschlag zur Einberufung des Krisenstabes Land unterbreiten. (Nummer 4 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Krisenstabes der Landesregierung.)
Die Aufgaben des Krisenstabs der Landesregierung, „[…] bei Großeinsatzlagen oder Katastrophen […] von landesweiter Bedeutung [sind]:
a)         die zur Lagebewältigung erforderlichen Entscheidungen – insbesondere solche mit besonderer Tragweite für das Land – zu treffen,
b)         das Verwaltungshandeln auf Ebene der obersten Landesbehörden über Ressortgrenzen hinaus zu koordinieren,
c)         die    Öffentlichkeit   und    Presse    fortlaufend   und    einheitlich    über    das    aktuelle Krisengeschehen zu informieren,
d)         das Kabinett laufend und einheitlich zu informieren sowie
e)         die    Zusammenarbeit    mit    Bund    und    Ländern    zu    koordinieren.“    (Nr. 2    der Geschäftsordnung des Krisenstabes der Landesregierung.)
Der Krisenstab der Landesregierung wurde bis heute nicht aktiviert. Innenminister Reul begründet dies damit, dass keine Katastrophenlage, sondern eine Infektionsschutzlage vorliege.
Eine Katastrophe definiert das BHKG als „ein Schadensereignis, welches das Leben, die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung zahlreicher Menschen, Tiere, natürliche Lebensgrundlagen oder erhebliche Sachwerte in so ungewöhnlichem Ausmaß gefährdet oder wesentlich beeinträchtigt, dass der sich hieraus ergebenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nur wirksam begegnet werden kann, wenn die zuständigen Behörden und Dienststellen, Organisationen und eingesetzten Kräfte unter einer einheitlichen Gesamtleitung der zuständigen Katastrophenschutzbehörde zusammenwirken.“ (§ 1 Absatz 2 Nummer 2 BHKG.)
Die Landesregierung sprach selbst zu Beginn der Ausbreitung von COVID-19 in NRW von einer „Corona-Krise“ und ihren Entwurf für das erste Nachtragshaushaltsgesetz 2020 begründete sie damit, dass eine Notsituation und eine Naturkatastrophe vorliege. Naturkatastrophe definierte die Landesregierung in dem Nachtragshaushaltsgesetzentwurf als
„unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden (z. B. Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen).“ (Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Nachtragshaushaltsgesetz 2020 – NHHG 2020) vom 23.03.2020 – Drucksache  17/888 –, Seite 1 und 12 f.).
Anstatt den dauerhaft vorgehaltenen Krisenstab der Landesregierung zu aktivieren, wurde am
13. März 2020 mit dem „Krisenkoordinationsrat Corona der Landesregierung“ eine Parallelstruktur eingesetzt, in der die Ressorts der Landesregierung durch den Chef der Staatskanzlei und die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Ministerien vertreten werden.
Die    dem    Krisenstab    der    Landesregierung    sehr    stark    ähnelnden    Aufgaben    des
„Koordinationsrates Corona“ lauten:
–           „den regierungsinternen, ressortübergreifenden Klärungs-, Koordinierungs- und Entscheidungsbedarf“ zu bündeln und
–           eine „zügige Abstimmung von Maßnahmen sicher[zustellen], die sich aus der regelmäßigen Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern auf Ebene des Chefs des Bundeskanzleramts und der Chefs der Staatskanzleien ergeben.“ (Vorlage des Finanzministers vom 04.05.2020 – Vorlage 17/3317 –, Seite 1.)
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.         Wann wurden die Krisenstäbe der Bezirksregierungen, der Kreise und der kreisfreien Städte aus Anlass des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie seit Februar 2020 aktiviert? (Ich bitte um eine tabellarische Aufschlüsselung nach Bezirksregierungen, Kreisen und kreisfreien Städten mit Angabe des Datums der Aktivierung und ggf. der Beendigung der Tätigkeit.)
2.         Aus welchen Gründen wurde angesichts der Gefährdungslage für die Bürgerinnen und Bürger von NRW durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie der im Innenministerium NRW gemäß § 5 Absatz 2 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) ununterbrochen vorgehaltene Krisenstab der Landesregierung nicht aktiviert? (Ich bitte um eine Erläuterung der Antwort.)
3.         Hat der Ministerpräsident negativ über die Einberufung  des Krisenstabs nach Nummer
4 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Krisenstabes der Landesregierung, möglicherweise trotz Vorschlags der Einberufung durch das Ministerium des Innern oder eines anderen Ministeriums entschieden? (Ich bitte um Benennung des Datums der Entscheidung.)
4.         Mit welchen Ressourcen wird der Krisenstab der Landesregierung nach § 5 Absatz 2 BHKG vorgehalten? (Ich bitte um Angabe von personellen und sächlichen Mitteln sowie die jährliche Stundenanzahl für Fortbildungen zur Vorbereitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Tätigkeit des Krisenstabs.)
5.         In der Landesregierung kursieren offenbar unterschiedliche Meinungen zur Bezeichnung der COVID-19 Pandemie für das Land NRW, etwa als „Corona-Krise“, Infektionsschutzlage (Herbert Reul) und Naturkatastrophe (Nachtragshaushaltsgesetz 2020). Welche Bezeichnung verwendet die Landesregierung offiziell in Bezug auf die COVID-19 Pandemie? (Ich bitte um Angabe, auf welche gesetzliche Grundlage diese Bezeichnung oder Definition sich stützt.)