Mehrdad Mostofizadeh: „…weil alles kleingeredet und bestritten und auf wenige schwarze Schafe abgestellt wird“

Antrag der SPD-Fraktionen zu Arbeitsbedingungen von Leiharbeiter*innen

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zwei Bezüge zu Herrn Kollegen Lenzen. Das sind die Reden, die dazu führen, dass Missstände wie bei Tönnies Jahr um Jahr weiter möglich sind,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Stefan Lenzen [FDP]: Das ist doch Quatsch!
weil alles kleingeredet und bestritten und auf wenige schwarze Schafe abgestellt wird. So können wir nicht weitermachen. Das ist wirklich unanständig.
Ich greife einen Aspekt auf. Sie haben gesagt, seit 1968 sei ein Unternehmen am Markt und deswegen werde schon alles richtig laufen. Tönnies wurde 1971 gegründet. Sind es die drei Jahre, die dazu führen, dass da alles in Ordnung ist?
Ich sage Ihnen noch etwas: Tönnies hat beim Werkvertragsrecht wahrscheinlich gar nicht gegen geltendes Recht verstoßen, sondern geltendes Recht ganz intensiv ausgenutzt. – Tun Sie also doch nicht so, als wenn Tönnies das einzige schwarze Schaf sei, wo es jetzt Infektionen gibt. Vielmehr ist hier grundsätzlich etwas fehl im Stall, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Ich komme auf den Antrag zurück.
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Endlich!)
– Guten Tag, Herr Bergmann. – Ich komme auf den Antrag zurück; es geht heute darum.
Der Antrag bezieht sich ja im Wesentlichen auf eine Resolution, die im Europäischen Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist – was wir ausdrücklich begrüßen. Die Punkte sind auch breit getragen worden. Insofern teilen wir die wesentlichen Zielrichtungen des Antrags, wobei ich auch sagen muss, dass bereits im letzten Plenum von uns und auch von Ihnen, der SPD, Anträge zum Thema „Generalunternehmerhaftung in der Fleischindustrie“ und vielem anderen gestellt worden sind, die wir im Ausschuss diskutieren werden.
Aber so zu tun, als ob wir keine Generalunternehmerhaftung in der Fleischindustrie bräuchten und nicht klarstellen müssten, dass die Werkverträge komplett abgeschafft gehören – am heutigen Tage eine solche Meinung vorzutragen, finde ich einigermaßen gewöhnungsbedürftig.
Zur Einordnung muss ich sagen: Es ist keineswegs so, dass auf deutscher Seite alles super läuft und die Niederländer sozusagen durch das Recht auf deutscher Seite ihre Leute unterbringen. Der Mindestlohn ist in den Niederlanden höher als in Deutschland, und er ist trotzdem zu niedrig. Die Situation an der Grenze ist schlecht.
(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass die Wohnungsaufsicht zusammen mit der Gewerbeaufsicht und meinetwegen auch mit dem Arbeitsschutz in die Häuser hineingeht und kontrolliert, die Missstände abstellt und dafür sorgt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vernünftig untergebracht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eines sage ich noch: Ob dafür ein so intensiver Austausch der Sozialversicherungsdaten erforderlich ist, werden wir uns im Ausschuss – wahrscheinlich mit Anzuhörenden – ausführlicher anschauen.
Eines ist uns Grünen wichtig, nämlich, dass wir heute hier sehr klar machen – und da unterstützen wir die SPD ausdrücklich –: Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland sollte in ihrer EU-Ratspräsidentschaft das Thema „Fleischindustrie“ ganz weit oben auf die Tagesordnung setzen, und zwar aus drei Gründen:
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
erstens aus Gründen des Arbeitsschutzes, zweitens aus Gründen des Tierschutzes und drittens auch zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft in ganz Europa; denn das, was Tönnies und andere Betriebe da machen, ist auch ein Unterlaufen der Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft,
(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
weil da wettbewerbswidrig zulasten dezentraler Betriebe gehandelt wird. Als Grüne stellen wir uns sehr intensiv dagegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Herr Gesundheitsminister Laumann, Sie haben sich gestern im Ausschuss geäußert, als klar wurde, dass in der Region offensichtlich Tönnies von den Bürgermeistern, von den Landräten sozusagen als besondere Aura, in besonderer Weise als systemkritischer Betrieb behandelt wird und da offensichtlich alles möglich ist.
Erst Sie mussten klarstellen, dass von „systemkritisch“ nicht abzuleiten ist, dass man seine Leute schlechter behandeln darf, dass es nicht stimmt, was der Bürgermeister von Rheda-Wiedenbrück geschrieben hat, dass davon abzuleiten sei, dass man Abstände nicht einhalten müsse, und dass es nicht stimmt, dass davon irgendein besonderes Vorrecht für die Firma Tönnies abzuleiten ist – anders als die Landwirtschaftsministerin, die mir noch vorgehalten hat, „systemkritisch“ bedeute, dass Tönnies in ganz besonderer Weise Sonderrechte haben müsse.
Vielleicht gehen Sie beide mal in Klausur und vielleicht erklären Sie der Landwirtschaftsministerin noch einmal den Arbeitsschutz und auch die soziale Marktwirtschaft. Ich fand es nämlich unverschämt, wie die Landwirtschaftsministerin unserer Fraktion gegenüber da aufgetreten ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Mostofizadeh, entschuldigen Sie, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Bergmann.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Bitte schön.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Dr. Bergmann. Bitte sehr.
Dr. Günther Bergmann (CDU): Schön, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Auf Ihre offensichtlichen geografischen Defizite – Rheda-Wiedenbrück liegt auf einmal im deutsch-niederländischen Grenzbereich, über den wir gemäß dem Tagesordnungspunkt ja eigentlich sprechen – weise ich nur hin.
Meine Frage lautet: Glauben Sie nicht, dass nach all den allgemeinen Äußerungen, die Sie eben getätigt haben, vielmehr die Änderungen beim Wet aanpak schijnconstructies von 2017 – um mal wirklich auf den Punkt zu kommen – das entscheidende Kriterium für die jetzt seit drei Jahren anhaltenden Probleme im deutsch-niederländischen Bereich waren und all das, was Sie vorher gesagt haben, damit rein gar nichts zu tun hat? Wie ist Ihre Einstellung dazu?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Kollege, Sie können ja mal einen Blick in den Antrag werfen.
Erstens teile ich durchaus die Einschätzung, dass die Problemlage in den Grenzgebieten eine dadurch entstandene ist. Die Wohnunterkünfte liegen aber auch in Deutschland, und da gilt immer noch deutsches und europäisches Recht. Es hindert ja niemand die Behörden vor Ort daran, in die Häuser hineinzugehen und dafür zu sorgen, dass die Unterkünfte vernünftig gestaltet sind.
Auf den zweiten Aspekt gehen die Kolleginnen und Kollegen der SPD und im Übrigen auch die grüne Fraktion ein. Die EVP-Fraktion im europäischen Parlament hat eine Resolution unterstützt, in der sehr klar gesagt wird: Wir wollen eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Wir wollen, dass klargestellt wird, dass europäisches Recht überall anzuwenden ist und dass diese Missstände durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit abgestellt werden.
Ich bin ausdrücklich dafür. Ich habe mir nur die Freiheit genommen, auf den Kollegen Lenzen zu reagieren, der gesagt hat: Ach, das sind einzelne kleine schwarze Schafe, und deswegen muss man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. – Darauf habe ich Bezug genommen. Ich habe das überhaupt nicht kleingeredet, ganz im Gegenteil: Es ist mir ein großes Anliegen, dass die Probleme im Grenzbereich aufgegriffen und abgestellt werden.
Abschließend möchte ich zur EU-Ratspräsidentschaft zurückkommen. Herr Minister, ich bin sehr gespannt, welche Möglichkeiten der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslands und Sie persönlich nutzen werden, um während der EU-Ratspräsidentschaft auf faire Arbeitsbedingungen im Bereich der Landwirtschaft – ich sage ausdrücklich auch Landwirtschaft – und im Bereich der Fleischindustrie hinzuwirken. Ich bin auch sehr gespannt, wie er den Tierschutz zum Thema machen wird und wie er den Umweltschutz und die soziale Marktwirtschaft in diesem Bereich grenzüberschreitend im europäischen Kontext voranstellen wird.
Das ist eine große Chance für Deutschland, hier neue Maßstäbe im europäischen Kontext zu setzen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Arbeitsmarkt