Josefine Paul: „Vor allem müssen wir uns darum kümmern, dass wir die Frauenhilfeinfrastruktur krisenfest aufstellen und nachhaltig finanzieren“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Aktion "Maske 19"

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die eigenen vier Wände sind in der Tat nicht für alle Frauen und Kinder ein sicherer Ort, und das schon gar nicht, wenn dieser Rückzug ins Private durch eine Lage wie die aktuelle erzwungen ist. Auch jenseits einer pandemischen Lage ist häusliche Gewalt leider ein alltägliches Delikt. Es geschieht im sozialen Nahraum, was die Schwierigkeiten, die auch schon beschrieben wurden, noch einmal erhöht.
Es geht hier um Menschen, denen man eigentlich vertraut. Von ihnen geht dann aber Gewalt und dieser Bruch des Vertrauens aus. Das ist mit ein Grund, warum es in diesem Bereich ein derart großes Dunkelfeld gibt. Schon zu Beginn der Pandemie haben viele Fachleute darauf hingewiesen. Auch wir haben immer wieder versucht, darüber vernünftige Diskussionen zu führen, und zwar auch mit der Ministerin. Unglücklicherweise war aber mehrheitlich „kein Anschluss unter dieser Nummer“.
Auf jeden Fall haben viele Fachleute darauf hingewiesen, dass Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt führen können. Die Gründe dafür sind im Antrag beschrieben und wurden auch gerade von den Kolleginnen ausgeführt.
Kollegin Blask hat auch darauf hingewiesen, was erst einmal die Reaktion seitens der Landesregierung war. Bei der Vorstellung der offiziellen Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik wurde zunächst seitens des Innenministers und der Gleichstellungsministerin gesagt: Ja, wir haben einen Rückgang zu verzeichnen. Dementsprechend haben wir gerade keine Grundlage, auf der wir annehmen müssten, dass sich die Situation für Frauen verschlimmert hat. – Gott sei Dank, möchte ich sagen, haben es die regierungstragenden Fraktionen geschafft, in ihrem Antrag eine differenzierte Haltung und Positionierung dazu einzunehmen, indem sie nämlich genau erläutern, warum das unter Umständen so ist.
Dass es im Moment einen geringeren Anteil im Hellfeld gegeben hat, ist keineswegs ein Grund, sich zurückzulehnen und beruhigt zu denken, dass sich die Situation verbessert hätte. Im Gegenteil: Es steht zu befürchten, dass das Dunkelfeld nicht nur um die 26 % größer geworden ist, sondern dass es sogar noch größer geworden sein könnte. Dementsprechend vielen Dank, dass Sie angegeben haben, worin die vielschichtigen Gründe liegen könnten, warum Frauen nicht in der Lage gewesen sind, sich Hilfe zu suchen, um sich aus einer Gewaltsituation zu befreien.
Die Frauenhilfeinfrastruktur hat ihre Arbeit mit viel Kreativität auch in der schwierigen zurückliegenden und in der immer noch schwierigen Zeit aufrechterhalten. Ich möchte deshalb an dieser Stelle einmal den vielen engagierten Frauen in der Frauenhilfeinfrastruktur ganz herzlich danke sagen; denn sie haben wirklich alles gegeben, um von Gewalt betroffenen und bedrohten Frauen in der akuten Coronakrise zu helfen und sie zu unterstützen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es wurde angesprochen: Die 1,5 Millionen waren gut und richtig, weil es insbesondere um eine Kompensation für wegfallende Eigenmittel gegangen ist. Ich würde jetzt nicht so weit gehen zu sagen, dass die Regierung sofort gehandelt hat, denn unter „sofort“ hätte ich ein bisschen ruckartiger verstanden. Trotzdem ist es gut und richtig gewesen, dass die Regierung hier zusätzliche Mittel auf den Weg gebracht hat.
Diese Krise macht aber auch deutlich, dass wir mehr brauchen. Zum Beispiel ist es bei der Digitalisierung doch nicht damit getan. Auch da haben wir noch Nachholbedarfe, indem man Hardware an den Start bringt. Wenn man über Digitalisierung in anderen Formaten andere Beratungssettings anbietet, bedeutet das auch, dass man Zeit und Ressourcen für Konzeptentwicklungen haben muss. Auch dafür braucht es zusätzliche finanzielle Mittel. Das können sie nicht noch quasi nebenbei machen.
Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass man mit diesen Medien nicht alle Frauen erreichen kann. Nicht für alle Frauen ist die digitale Kontaktaufnahme die richtige – entweder weil unter Umständen der Peiniger immer daneben steht oder weil sie sich in diesem Raum nicht sicher genug fühlen, weil sie das persönliche Gespräch brauchen. Digitalisierung alleine ist eben auch keine Antwort.
Ich glaube, wir brauchen einen runden Tisch zur Weiterentwicklung der Frauenhilfeinfrastruktur, der zwei Dinge beinhaltet: Zum einen muss ausgewertet werden, was wir an Erkenntnissen aus dieser Krise gewonnen haben, welche zusätzlichen Bedarfe gegebenenfalls deutlich geworden sind, um die Frauenhilfeinfrastruktur nachhaltig krisenfest zu machen, denn wir müssen feststellen, dass der Krisenmodus leider mehrheitlich der Normalzustand der Frauenhilfeinfrastruktur ist.
Zum anderen, Frau Ministerin, sollten wir bei diesem runden Tisch vielleicht miteinander besprechen, was bei Ihrer Bestandsaufnahme herausgekommen ist. Dazu müssten wir allerdings erst einmal die Ergebnisse kennen. Wir hoffen sehr, dass zumindest nach der Sommerpause die Ergebnisse tatsächlich vorliegen, damit wir auf dieser Grundlage fundiert über die dringend notwendige Weiterentwicklung der Frauenhilfeinfrastruktur sprechen können.
Noch kurz zu diesem Antrag, denn im Grunde hat Frau Blask das Notwendige zu diesem Antrag gesagt: Warum jetzt? – Seit mehr als drei Monaten haben wir die Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Mittel stehen bereit. Warum hat die Ministerin nicht einfach gehandelt?
(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])
Ich kann mir vorstellen: deswegen, weil die Ministerin Ankündigungsdinge nicht mag. Sie kritisiert immer – auch nicht zu Unrecht – die Bundesministerin dafür, dass sie Plakatkampagnen macht und diese mit nicht viel mehr anderen hinterlegt. Ich kann mir nur vorstellen, die Ministerin steckt gar nicht so wirklich hinter diesem Antrag. Es waren die regierungstragenden Fraktionen, die auch einmal etwas zum Thema beitragen wollten.
Machen Sie das. Es ist gut und richtig, dass wir auch ein weiteres Codewort dafür haben. Aber vor allem müssen wir uns darum kümmern, dass wir die Frauenhilfeinfrastruktur krisenfest aufstellen und nachhaltig finanzieren. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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