Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat haben Kinder und Familien in dieser Krise besondere Lasten zu schultern. Bei der öffentlichen Krisenbewältigung sind sie bislang mehr oder weniger außen vor gelassen worden. Ihre Interessen und Bedarfe sind wenig beachtet worden. Auf einmal, von heute auf Morgen, waren Schulen und Kitas zu. Die Unterstützungssysteme, die Familien entlasten und begleiten sollen, waren geschlossen und Eltern mit der Betreuung ihrer Kinder alleine gelassen.
Viele Perspektiven wurden schon relativ früh diskutiert: Es wurde über Möbelhäuser und die Bundesliga diskutiert und mit ganz viel Kreativität nachgedacht. Vor allem wurde auch mit viel Kreativität bei den Familien und in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nachgedacht. Allein die Unterstützung von Regierungsseite war nur mit dem Wort „mangelhaft“ zu umschreiben.
Von der Landesregierung gab es chaotische Kommunikation, wie wir vorhin schon in der Unterrichtung gehört haben: Die Erlasse, die am Montagmorgen umgesetzt werden sollten, kamen am Freitagabend. Das war weder für die Eltern noch für die Kommunen noch für Einrichtungen und Träger verlässlich.
Auch auf Bundesebene gab es offensichtlich keine Bereitschaft, Familien dort zielgerichtet zu unterstützen, wo sie es besonders gebraucht hätten und wo sie es nach wie vor besonders brauchen.
Das betrifft beispielsweise die kurzfristige Aufstockung der Regelsätze, die von allen Sozial- und Familienverbänden eindringlich gefordert wird. Sie sind Sturm gelaufen, aber die Bundesregierung, die bekanntermaßen von Union und SPD getragen wird, hat an der Stelle offensichtlich kein offenes Ohr für die Familien gehabt, die in dieser Krise einen besonderen Unterstützungsbedarf gehabt hätten.
Damit komme ich zum Coronaelterngeld, um vor allem die Folgen für die Frauen abzufedern, die ihre Arbeitszeit reduzieren mussten, weil Betreuungszeiten reduziert wurden oder ausgefallen sind. Auch dort gibt es keinerlei Bewegung in die richtige Richtung. An der Stelle wäre es übrigens auch wichtig gewesen, eine solche notwendige Reduzierung mit einem Rückkehrrecht zu versehen, damit Frauen jetzt nicht zusehen können, wie ihre Arbeitszeit nicht wieder aufgestockt wird und sie auf dem Arbeitsmarkt auch noch abgehängt werden.
Darüber hinaus brauchen wir nachhaltige Investitionen in eine soziale Infrastruktur, denn es ist deutlich geworden, dass Familien in Krisenzeiten mehr und nicht weniger Unterstützung brauchen. Das bedeutet, dass unsere soziale Infrastruktur krisenfester werden muss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt diskutieren wir den Familienbonus. Herr Kollege Witzel, Sie haben gerade gesagt, Familienministerin Giffey habe ihn nicht als Trostpflaster bezeichnet. Ich möchte ihn als Trostpflaster bezeichnen, denn er wirkt doch wie ein Trostpflaster für eine völlig verfehlte Familienpolitik in der Coronakrise.
Man hat Familien mit den großen Herausforderungen, die ich gerade beschrieben habe, alleine gelassen und sagt ihnen jetzt: Die Krise ist zwar noch nicht vorbei, aber ihr bekommt jetzt einen kleinen Bonus, weil ihr es ohne große staatliche Unterstützung irgendwie geschafft habt, bis hierher zu kommen. – Das stelle ich mir nicht unter zielgerichteter Unterstützung von Familien vor, sondern das ist ein Trostpflaster.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dabei kommt dieses Trostpflaster noch nicht einmal bei allen gleichermaßen an. Wir haben die eindrückliche Meldung bekommen, dass diese 300 Euro auf den Unterhaltsanspruch angerechnet werden, sodass die vollen 300 Euro noch nicht einmal bei Alleinerziehenden ankommen, die noch eine sehr viel größere Last in dieser Zeit zu schultern hatten.
Corona ist aber auch noch nicht abgeblasen. Kollege Maelzer hat gerade gesagt: Die Krise, das war dann so. – Nein, die Krise ist immer noch; das erleben wir gerade in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Wir erleben es aber auch dort, wo nach wie vor Kurzarbeit vorherrscht, wo Familien nach wie vor drohen, in Arbeitslosigkeit zu geraten, und daran, dass wir nach wie vor kein reguläres Betreuungssetting haben.
Das bedeutet, wir brauchen nach wie vor vernünftige zielgerichtete und kurzfristige Maßnahmen wie beispielsweise, Familien in den Sommerferien zu unterstützen und sie nicht gleich wieder alleine zu lassen.
Wir brauchen auch zielgerichtete Maßnahmen für die Familien, die bislang völlig durchs Raster gefallen sind, insbesondere die Familien mit Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf. Diese Familien sind in ganz großem Maße alleingelassen worden, was endlich korrigiert werden muss.
Es geht auch darum, dass wir Antworten für die Familien finden müssen, die über die derzeitigen Angebote hinaus zusätzliche Betreuungsbedarfe haben. Es gibt nach wie vor Alleinerziehende, die einen höheren Betreuungsbedarf haben, und nach wie vor systemrelevante Berufe, die auch nicht auf einmal eine reduzierte systemrelevante Arbeitszeit haben. Auch dafür braucht es konkrete und kurzfristige Lösungen.
Heute hat der Ministerpräsident einen Kulturgipfel angekündigt, was gut und richtig ist. Machen Sie aber auch endlich einen Familiengipfel und nehmen Sie die Sorgen der Familien und der Kinder ernst, denn in dieser Krise haben sich die dringenden Handlungsbedarfe wie unter einem Brennglas gezeigt.
Nehmen Sie nicht in Kauf, dass diese Krise die sozialen, die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern weiter massiv gefährdet und die Benachteiligungen verschärft, sondern nehmen Sie jetzt das Geld, das Sie für noch mehr einmalige Bonuszahlungen beantragt haben und investieren Sie in eine Infrastruktur, die Familien unterstützt und den Kindern ihre Chancen zurückgibt, die in der Krise so massiv gefährdet worden sind.
– Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)