Zweite Welle der Pandemie verhindern – Ministerpräsident Laschet muss zu seinem Krisenmanagement bei der Ausbreitung des Corona-Virus in der Fleischindustrie Stellung nehmen

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

Seit einigen Tagen wird breit über die Häufung von Corona-Infektionen im Schlachtbetrieb Tönnies in Rhede-Wiedenbrück berichtet. Mehr als 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Stand 21.06.) haben sich im Werk in Rheda-Wiedenbrück mit dem Virus infiziert. Mit seinen mehr als 7.000 Beschäftigten gilt der Standort als größter Schlachthof Europas. In Akkordarbeit wurden hier in 2019 rund 16,7 Millionen Schweine getötet. Das entspricht einer täglichen Schlachtmenge von 30.000 Schweinen und damit einer Menge Lebendgewicht von 3,5 Millionen Kilo. Das hier zerlegte Fleisch macht etwa ein Achtel des deutschen Marktes aus. Das Werk ist somit der Inbegriff der durchindustrialisierten Fleischfabrik.
Ministerpräsident Laschet hat als Reaktion auf die Frage, was der Corona-Ausbruch bei der Firma Tönnies über die bisherigen Lockerungen aussage, geantwortet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.“ (https://www.tagesspiegel.de/politik/spruch-ueber-toennies-ausbruch-maas-kritisiert-aeusserungen-laschets-als-hoechst-gefaehrlich-und-absurd/25930490.html) Das ist mehr als herabwürdigend, denn es ist bekannt, dass die schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen eine der Ursachen dafür sind/erheblich dazu beitragen, dass sich das Virus in der Belegschaft derartig schnell ausbreiten kann. Das angeblich so gute Hygienekonzept des Unternehmens hat offensichtlich versagt. In NRW wurde erst vor wenigen Wochen das hohe Infektionsgeschehen bei der Firma Westfleisch im Kreis Coesfeld bekannt. Vor dem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, warum nicht ausreichend Konsequenzen in Nordrhein-Westfalens Fleischbetrieben gezogen wurden und sich das Infektionsgeschehen in Rheda-Wiedenbrück so entwickeln konnte.
Angesichts der rund 7.000 Menschen in Quarantäne muss Tönnies jetzt endlich für angemessene Quarantänebedingungen der Beschäftigten sorgen. Die Gesundheit der Beschäftigten und der Menschen im Landkreis müssen uneingeschränkt im Fokus stehen und dürfen nicht einer scheinbaren Systemrelevanz von Billigfleisch untergeordnet werden. Es ist davon auszugehen, dass die aktuelle Unterbringung der Werkvertragsbeschäftigten nicht geeignet ist, um das Infektionsgeschehen zu stoppen. Die Firma Tönnies muss schnellstmöglich alternative Unterkünfte bereitstellen, die den Ansprüchen der aktuellen Situation genügen. Diese Verantwortung darf nicht an die Werkvertragsunternehmen abgegeben werden, die offenbar nicht in der Lage sind, diese Krise zu bewältigen.
Die Menschen im Landkreis Gütersloh bezahlen das Fehlverhalten von Tönnies unterdessen mit Schul- und Kitaschließungen; nur eine Notfallbetreuung steht bereit. Diese Maßnahme stellt vor allem die Frauen und Kinder wieder vor große Herausforderungen. Eltern, Lehrkräfte und Betreuerinnen und Betreuer sind verärgert, viele Kinder enttäuscht. Schließlich hatte der reguläre Unterricht erst zwei Tage zuvor wieder begonnen.
Die Landesregierung muss jetzt prüfen, ob weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens im Kreis Gütersloh erforderlich sind. Auch die Verhängung eines Lockdowns im Kreisgebiet muss im Rahmen einer Aktuellen Stunde diskutiert werden. Das Parlament und die Öffentlichkeit haben ein Recht auf umfassende Aufklärung.