Josefine Paul. „Wir brauchen nicht nur Wirtschaftsgipfel und Autogipfel, sondern auch einen Familiengipfel“

Antrag der SPD_Fraktion zur KiTa-Öffnung

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Rückkehr zum eingeschränkten Regelbetrieb vollzieht der Familienminister nun tatsächlich die notwendige Kurskorrektur. Nachdem zunächst nur zwei Tage in Aussicht gestellt wurden und dann in Aussicht gestellt wurde, das sei nur das absolute Minimum, kam nun tatsächlich die Ankündigung: Ja, es wird eine Rückkehr zum eingeschränkten Regelbetrieb geben – was wir im Übrigen begrüßen.
Aber Sie können jetzt nicht darüber hinwegschwiemeln, dass es vorher eher andere Ankündigungen gab, die die Eltern mehr verunsichert haben, als dass daraus eine klare Strategie erkennbar gewesen wäre.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
–   Darauf ist schon hingewiesen worden. Diese Einschätzung teilen wir ja auch alle.
Das war auch deswegen notwendig, weil es nicht mehr länger zuzumuten war, dass Kinder wochenlang in einer Art Isolation gelebt haben. Leider ist das aufgrund des Infektionsgeschehens auch notwendig gewesen. Von heute auf morgen waren Kitas und Schulen dicht. Leider wurden Eltern dann mehr oder weniger mit der Betreuung ihrer Kinder alleingelassen.
Im Übrigen, Kollege Hafke, weil Sie gerade gesagt haben, wir seien das einzige Bundesland, in dem niemand demonstriert habe: Ich hoffe, dass die Eltern jetzt entweder nicht so gut zugehört haben – das wäre dann zu Ihren Gunsten – oder gut zugehört haben. Denn selbstverständlich gab es auch Demonstrationen von Eltern, die gesagt haben, diese Situation sei nicht länger tragbar. Es hat also auch in Nordrhein-Westfalen durchaus Demos gegeben. Aber das nur als kleine Anmerkung.
Klar ist allerdings auch – das muss man hier miteinander deutlich ansprechen –: Zu lange wurden Kinder und Familien bei der öffentlichen Krisenbewältigung vernachlässigt – im Grunde genommen frei nach dem Motto: Familien und Kinder zuletzt!
Andere Länder haben da eine andere Strategie gefahren.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)
–   Nein, nicht andere Bundesländer, Herr Minister. Europäische Nachbarländer haben da eine andere Strategie gefahren. Sie haben nämlich zunächst auf die Betreuungs- und Bildungseinrichtungen geschaut, während man in Deutschland auf so ziemlich alles andere geschaut hat – getreu dem Motto: Familien, Jugendliche und Kinder zuletzt!
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch durch die ersten Lockerungen in Deutschland haben Kinder und Familien ja nur wenig Entlastung erfahren. Es wurde über alle möglichen Bereiche diskutiert, aber nicht über klare Perspektiven für Kinder, ihre Bildungsperspektiven und eine Entlastung von Familien gesprochen.
Da haben Deutschland und auch NRW die falschen Prioritäten gesetzt. Das mag unter Umständen damit zusammenhängen, dass Familien, Kinder und Jugendliche eben nicht in Expertenräten sitzen. Es mag auch damit zusammenhängen, dass sie selten in die Sonntagabend-Talkshows eingeladen werden, bei denen man zuweilen den Eindruck hatte, dass dort die Exitstrategie von Deutschland besprochen wird.
Deshalb – das will noch einmal sehr deutlich sagen – brauchen wir auf jeden Fall endlich auch einen Familiengipfel. Wir brauchen nicht nur Wirtschaftsgipfel und Autogipfel, sondern auch einen Familiengipfel.
Frau Dworek-Danielowski, seien Sie aber ganz beruhigt: Auf das Familienbild der AfD kann ich dabei auch gut verzichten.
(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Dennis Maelzer [SPD])
Sehr geehrte Damen und Herren, nun sollen also die Kitas zum 8. Juni im eingeschränkten Regelbetrieb wieder öffnen. Das ist richtig. Richtig ist auch, dass dieser Schritt jetzt mit einem größeren zeitlichen Vorlauf vollzogen wird und eben nicht hopplahopp übers Wochenende.
Denn das ist in der vergangenen Zeit gerade nicht so gewesen, Herr Hafke. Die Öffnungsschritte, die vollzogen wurden, hatten nicht den notwendigen zeitlichen Vorlauf. Zuweilen fühlten sich Eltern, Träger und Kommunen doch recht überfordert damit, dass sie am Freitagabend eine Verordnung bekommen haben, die sie dann am Montagmorgen umsetzen sollten. Das war nicht der richtige zeitliche Vorlauf.
Ich finde es sehr gut, dass man sich an dieser Stelle einen längeren zeitlichen Vorlauf nimmt. Aber – das ist auch klar – diese Zeit muss jetzt genutzt werden, um weiterhin bestehende Fragen zu lösen.
Ja, ich habe gesehen, dass die Handreichungen heute verschickt worden sind. Sie müssen dann aber auch zum 8. Juni umgesetzt werden.
Es stellen sich natürlich auch weiterhin Fragen, die dadurch, dass man sie einfach in einer Handreichung aufschreibt, noch nicht gelöst sind: Welches Personal steht einrichtungsscharf tatsächlich zur Verfügung? Wie plant der Minister konkret den Umgang mit den Risikogruppen?
Wir wollen an dieser Stelle ja einmal hoffen, dass es nicht ein ähnliches Kommunikationschaos gibt wie bei den Lehrkräften.
Klar ist: Die Coronakrise verschärft die ohnehin angespannte Personallage in unseren Kitas.
Ja, in den Handreichungen wird auch davon gesprochen, dass zusätzliches Personal in die Kitas geholt werden kann. Die benannten Gruppen finde ich auch gut. Nichts finde ich allerdings zu der Frage von Stundenaufstockungen. Vielleicht habe ich es aber auch überlesen. Nichtsdestotrotz: Eine ganz entscheidende Stelle muss ich dann wohl überlesen haben, oder sie stand dort nicht.
Zusätzliches Personal in die Kitas zu holen, bedeutet aber auch, zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen zu müssen. Das muss jetzt passieren. Denn das Personal, das derzeit nicht eingesetzt werden kann, muss trotzdem bezahlt werden. Hole ich zusätzliches Personal in Kitas, brauche ich auch zusätzliche Mittel. Das heißt: Die Landesregierung muss die coronabedingten Mehrausgaben für die Einrichtungen tatsächlich refinanzieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Natürlich steht ein eingeschränkter Regelbetrieb auch weiterhin im Zeichen des Infektionsgeschehens. Da sind wir uns doch alle einig. Die Zwischenergebnisse der Studie aus BadenWürttemberg, die am Montag vorgelegt wurden, weisen darauf hin, dass Kinder keine besonderen Treiber des Infektionsgeschehens sind. Das wäre eine durchaus sehr gute Nachricht, auf der wir ja alle miteinander aufbauen wollen.
Allerdings müssen wir auch weiterhin das Infektionsgeschehen beobachten. Da bin ich ganz beim Kollegen Maelzer. Eine einzige Modellkommune reicht aus meiner Sicht an dieser Stelle nicht aus. Wir brauchen eine NRW-Teststrategie. Morgen werden wir uns anlässlich eines Antrags noch ausführlicher mit dem Gesamtkonzept einer Teststrategie beschäftigen. Sie muss aber auch die Kitas und die Schulen zentral in den Blick nehmen. Denn es geht nicht nur darum, anhand einer Modellkommune allgemeine Erkenntnisse zu gewinnen, sondern vor allem darum, lokale Ausbrüche zu identifizieren, um darauf reagieren zu können. Deswegen brauchen wir eine breit angelegte Teststrategie.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich brauchen Familien Entlastung und Unterstützung. Ja, sie brauchen dafür auch eine monetäre Unterstützung und Entlastung. Was sie aber nicht brauchen, ist ein Familienbonus, der jetzt mit der Gießkanne in die Landschaft gekippt wird. Ehrlich gesagt, ist mir egal, ob es nun 300 Euro oder 600 Euro sind. Das ist nicht das, was wir jetzt an zielgerichteten Maßnahmen brauchen. Wir brauchen Investitionen in Bildung, und wir brauchen Investitionen in die soziale Infrastruktur.
Ich ärgere mich immer noch darüber, dass sich die Bundesregierung in der akuten Krise geweigert hat, Kinder durch einen Zuschlag auf den Regelsatz tatsächlich dann wirkungsvoll zu unterstützen, als sie die Unterstützung brauchten.
Nun fordert auch Ministerpräsident Laschet 600 Euro Familienbonus pro Kind. Dabei handelt es sich ebenfalls um das Gießkannenprinzip, was Mitnahmeeffekte erzeugt und nicht zielgerichtet ist.
Wenn das Land wirklich Familien entlasten möchte, dann setzen Sie die Kita-Beiträge komplett bis zur Wiederherstellung des Regelbetriebs aus. Entlasten Sie vor allen Dingen auch die Kommunen, indem das Land die Kompensation komplett übernimmt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir können doch nicht die ganze Zeit über Bonuszahlungen sprechen, denn weder Familien noch Pflegekräfte brauchen Einmalzahlungen, die zwar schön, aber nicht mehr als eine augenblickliche Wertschätzung sind.
Eigentlich brauchen wir eine Diskussion über die grundsätzliche Bezahlung in Careberufen und darüber, wie Kinder und Familien in unserer Gesellschaft besser unterstützt werden können. Wenn Sie das wirklich wollen, kämpfen wir doch jetzt gemeinsam für eine anständige Kindergrundsicherung, die wir jetzt brauchen.
In den letzten Wochen ist immer wieder gesagt worden, dass wir die Krise auch als Chance begreifen müssen. Dann müssen wir jetzt strukturelle und nachhaltige Verbesserungen im System erreichen und nicht mit kleinen punktuellen Bonuszahlungen und überhaupt nicht zielgerichtet mit der Gießkanne Geld ins Land bringen, anstatt da anzusetzen, wo wir strukturelle Verbesserungen tatsächlich auf den Weg bringen können. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)