Die deutsch-französische Freundschaft vertiefen – den Aachener Vertrag auch in Nordrhein-Westfalen mit Leben füllen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag

Der Aachener Vertrag vom 22. Januar 2019, der auf dem Élysee-Vertrag vom 22. Januar 1963 aufbaut, ist erneuter Ausdruck der tiefgreifenden und weitreichenden Freundschaft Deutschlands und Frankreichs. Er steht für eine Verbindung, die in dieser friedlichen Dimension auf diesem Kontinent noch nie zuvor zwischen zwei Staaten vereinbart und gelebt wurde. Mit der Ratifizierung des Aachener Vertrages ist es nun an uns allen, diesen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag mit Leben zu füllen. Die antragstellenden Fraktionen im Landtag Nordrhein-Westfalen wollen ihrer besonderen Verantwortung dafür gerecht werden.
Die deutsch-französische Freundschaft ist stets untrennbarer Teil des europäischen Integrationsprozesses gewesen. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter beider Staaten und unterschiedlicher politischer Gesinnung haben an diesem Werk mitgewirkt. Angefangen bei Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer über Frankreichs Außenminister Robert Schuman, Bundeskanzler Willy Brandt, Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher, Kommissionspräsident Jacques Delors, Bundeskanzler Helmut Kohl, Präsident Jacques Chirac und Außenminister Joschka Fischer, um nur einige zu nennen.
Unser Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt im Herzen Europas. Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, sind auch unsere Herausforderungen – gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch. Die Europäische Union ist in Vielfalt geeint. Bei allen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Gliederungen hält die Gemeinschaft ein Wertefundament zusammen, in dessen Zentrum Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stehen. Diesem Fundament fühlen sich alle antragsstellenden Fraktionen verpflichtet.
In diesem Bewusstsein der europäischen Idee verbinden sich Frankreich und Deutschland in besonderer Weise. Subsidiarität, Integration, Stärkung der europäischen Regionen in ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt, starke europäische Institutionen, ein frei gewähltes, souveränes Europäisches Parlament, eine Europäische Kommission, die die Kräfte der Nationalstaaten bündelt und abbildet. So kann sich Europa als föderativer Zusammenschluss souveräner Nationalstaaten künftig entwickeln und auch einen wichtigen Beitrag zum Frieden in der Welt und zur Bewältigung der globalen Herausforderungen unserer Zeit leisten.
Wir hier in Nordrhein-Westfalen leisten unseren Beitrag auf vielfältige Weise. Jugendaustausch, wirtschaftliche Beziehungen, gemeinsame Währung, politische Kooperation zwischen Regionen, Ländern, Parteien und Parlamenten und nicht zuletzt die täglich gelebte, grenzenlose Freiheit des Schengen-Raums – im heute bereits existierenden Kerneuropa leben wir die deutsch-französische und europäische Realität Tag für Tag. Das belegen nicht zuletzt die 495 Schulpartnerschaften, 481 Hochschulkooperationen, 266 Städtepartnerschaften mit französischen Kommunen und fünf französischen Kulturinstitute in unserem Bundesland.
Seit dem 1. Januar 2019 hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zudem das Amt des Bevollmächtigten für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen inne. Der Vertrag lädt dabei alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausdrücklich ein, die deutsch- französischen Impulse aufzugreifen und daran mitzuwirken. Wir wollen so Europa weiter als ein gemeinsames Haus bauen, in dem alle Menschen gleich und frei, solidarisch und in Frieden miteinander leben.
Folgende zehn Schwerpunkte des Aachener Vertrags sehen wir auch für Nordrhein-Westfalen als prioritäre politische Handlungsfelder:
1.           Für eine starke Europäische Union: Für Nordrhein-Westfalen als Region im Herzen Europas ist und bleibt die europäische Integration stets ein Anliegen von elementarer Bedeutung. Unsere Wirtschaft ist untrennbar mit Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verflochten. Unsere Infrastruktur ist Teil eines europäischen Netzwerks. Dies gilt in besonderer Weise für Frankreich, einem unserer wichtigsten Handelspartner, mit dem uns aber auch zahlreiche kulturelle Kontakte verbinden. Nordrhein-Westfalen wird als Technologie-Standort, als Land des Strukturwandels und als Verkehrs-Transitland weiterhin ein engagierter Partner Frankreichs und unserer Benelux-Partner sein sowie auch im Bund und auf europäischer Ebene dazu beitragen, dass die europäische Integration in allen Bereichen gestärkt wird. Nordrhein-Westfalen hat zudem ein weitreichendes Interesse daran, den in Artikel 20 des Aachener Vertrags geplanten „deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln“ im besten regionalen Interesse zu entwickeln, damit die sich daraus ergebenden Vorteile für unsere Volkswirtschaften und damit für die Menschen nachhaltig erfahrbar werden.
2.           Für eine Europäische Union, die internationale Verantwortung und Vorbildfunktion übernimmt: Als Sitz des Klimasekretariats der Vereinten Nationen und zahlreicher weiterer UN-Organisationen sowie wichtiger Akteure der Entwicklungszusammenarbeit sieht sich Nordrhein-Westfalen der Rolle Europas in der Welt, insbesondere in der entscheidenden Zukunftsfrage des Klimaschutzes, verpflichtet. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, den deutsch-französischen Dialog zu allen damit verbundenen Fragen intensiv voranzubringen. Die konsequente Umsetzung des Klimaabkommens von Paris (COP 21) und der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen sind dafür zentral. Die Bundesstadt Bonn wollen wir mit dem Sitz der UN- Institutionen für nachhaltige Entwicklung weiter deutlich stärken.
3.           Für einen bedeutenden Beitrag Europas zum Klimaschutz: zu der im Aachener Vertrag enthaltenen Vereinbarung, die Energiewende in allen einschlägigen Bereichen weiter voranzutreiben, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Erneuerbare Energien und Energieeffizienz, soll der Austausch unter Einbeziehung der Benelux-Staaten einen wichtigen Beitrag leisten, um die Energiewende jenseits der nationalen Grenzen in Kooperation zum Erfolg zu führen. Nordrhein-Westfalen wird mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
4.           Für einen gemeinsamen Raum der Freiheit und der Sicherheit: Im Einklang mit den innerstaatlichen verfassungsmäßigen und rechtlichen Erfordernissen sowie dem Rechtsrahmen der Europäischen Union werden wir im Sinne des Vertrags von Aachen die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unseres Bundeslandes mit den Sicherheitsbehörden Frankreichs zur Bekämpfung von Terrorismus und der organisierten Kriminalität verstärken. Dazu gehören ein regelmäßiger fachlicher Austausch über diese Kriminalitätsfelder sowie gemeinsame Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, zum Beispiel im Wege von gegenseitigen Hospitationen.
5.           Für mehr und bessere Kooperation bei Bildung und Spracherwerb: Der Landtag befürwortet die Entwicklung des Französisch-Lernens im gesamten allgemeinen und beruflichen Bildungsnetz des Landes und die Intensivierung des Austauschs zwischen den Hochschul- und Forschungseinrichtungen. Insbesondere die direkten Verbindungen zu Akademien, wie z.B. der französischen Akademie Lille, sind dabei wichtig.
6.           Für einen gemeinsamen Kultur- und Medienraum: Der Landtag begrüßt die ambitionierte Zielsetzung des Vertrags von Aachen mit Blick auf die Rolle von Kultur und Medien für die Stärkung der deutsch-französischen Freundschaft. Der Beitrag, den die Film- und Medienstiftung NRW mit Blick auf die weitere Entwicklung und den Ausbau des zweisprachigen deutsch-französischen Fernsehkanals ARTE und auch einer europäischen Filmproduktion leistet, sollte weiter gestärkt werden. Ebenso erstrebenswert ist nach Ansicht des Landtages die Harmonisierung der Mediengesetzgebung mit Blick auf das Internet und die private Medien- und Presselandschaft in Deutschland und Frankreich sowie auch die Stärkung der besonderen Bedeutung des staatsfern organisierten, öffentlich-rechtlichen Medienangebotes. Der Landtag Nordrhein-Westfalen spricht sich dafür aus, dass öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten ihren Austausch mit Frankreich intensivieren, insbesondere durch vermehrte Koproduktionen und den verstärkten Austausch von Journalistinnen und Journalisten, durch mehr Angebote in beiden Sprachen und eine Intensivierung der Kooperationen. Hier ist unser Bundesland als Sitz des WDR und mit seiner medienrechtlichen Kompetenz ebenso gefordert, wie wir es, auch mit Blick auf die deutsche Länderhoheit, in allen Fragen der Kulturpolitik und des kulturellen Austauschs sind.
7.           Für eine Verbreiterung und Vertiefung des Austauschs in Schul- und Berufsbildung: Trotz des hohen Niveaus des deutsch-französischen Austauschs im Bildungsbereich bestehen doch weiterhin gerade auch im Bereich der Berufsbildung erhebliche Hindernisse, die ihre Ursache häufig auch in der Anerkennung von Abschlüssen oder Ausbildungsmodulen haben.
8.           Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger: Der Landtag Nordrhein-Westfalen erklärt seine Unterstützung für die Städtepartnerschaften zwischen Nordrhein-Westfalen und Frankreich, die den direkten Kontakt zwischen der Bevölkerung insgesamt, aber vor allem auch der jungen Menschen erleichtern und weiterentwickeln sollen.
9.           Für ein Europa der Innovationen: Auch neue Schwerpunktthemen wie „Künstliche Intelligenz“ und „disruptive Innovationen“ werden in der bilateralen und europäischen Kooperation eine stärkere Rolle spielen müssen, um gemeinsam Zukunft gestalten und moderne Wertschöpfung weiterentwickeln zu können. Der im Vertrag von Aachen angelegten Verstärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und des digitalen Wandels kommt deshalb auch mit Blick auf den Bereich der Künstlichen Intelligenz besondere Bedeutung zu. Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Kommission Anfang Dezember 2019 grünes Licht für eine milliardenschwere Förderung der grenzüberschreitenden, europäischen Batteriezellenfertigung gegeben hat.
10.        Für ein Europa der dezentralen Kooperation: Die im Aachener Vertrag ausdrücklich hervorgehobene dezentralisierte Zusammenarbeit zwischen grenzfernen Gebietskörperschaften füllt Nordrhein-Westfalen mit Leben, indem es die schon bestehende Regionalpartnerschaft mit einem erneuerten Kooperationsabkommen zwischen Nordrhein-Westfalen und der Region Hauts-de-France zeitnah auf eine aktualisierte Grundlage stellt.