Sigrid Beer: „Die Schulen brauchen was anderes“

Antrag der SPD-Fraktion zur Schulpolitik

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade rückgekoppelt, Frau Kollegin Müller-Rech. Gute Nachricht: Es wird eine Anhörung geben.
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Ja!)
Wir freuen uns auch sehr darauf, weil dann ein paar Dinge noch etwas eingeordnet werden.
(Jochen Ott [SPD]: Mit den Experten!)
Ich erfülle jetzt dem Kollegen Rock einen Wunsch, der gesagt hat, wir sollten ihm sagen, was er falsch gemacht hat. Dazu will ich gern ein wenig ausholen und meine Zeit nutzen.
Zu Anfang ein Dankeschön und die Unterstützung dafür, dass der Bildungshaushalt weiter aufgestockt worden ist. Es sind mittlerweile mehr als 2 Milliarden Euro.
Doch Sie müssen auch zugestehen, dass das in einer Haushaltssituation passiert, in der Sie sehr gut hätten noch mehr investieren können und wo die Notwendigkeiten dafür bestehen, denn ganz wesentliche Punkte haben Sie leider nicht erledigt.
Herr Rock, ich verstehe es nicht: Die Debatte um A 13 muss endlich kommen. Sie hätten die finanziellen Mittel dazu, aber Sie tun es nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir leben immer noch in dieser Zeit nach dem Motto für die Sek-II-Lehrkräfte „Wir sind gekommen, um wieder zu gehen“, denn wenn es nicht das Angebot für A 13 gibt, wird die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen die Grundschulen wieder verlassen, die sie eingearbeitet und sorgfältig begleitet haben. Das schafft Frust vor Ort.
Deswegen ist A 13 auch wichtig, um mehr Personal für die Grundschulen zu gewinnen. Das müssen Sie doch endlich mal anerkennen. Ich verstehe nicht, dass Sie als Grundschulleiter, der aus diesem Dienst in die Politik gekommen sind, das immer wegschwiemeln und das leugnen wollen. Das ist kein guter Dienst für die Grundschulen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Nächste, wo Sie – leider – das Geld hätten, sich aber herauswiemeln, ist die Ausstattung mit digitalen Medien und Endgeräten für die Lehrkräfte. Was machen Sie? – Sie nehmen den Digitalpakt, schieben das an die Kommunen und sagen, 20 % der Mittel könnten dann für die Ausstattung ausgegeben werden.
Doch die Schulträger haben den Schwarzen Peter zu fragen: Geht es an die Kinder? Geht es in die Klassen? Oder sollen die Lehrkräfte damit ausgestattet werden? – Das ist unredlich. Das hätten Sie anders systematisch auf den Weg bringen können. Sie hätten die Mittel dazu.
Deswegen ist es ein ganz bewusstes Aussetzen dieser notwendigen Maßnahmen. Ich muss sagen: Das machen Sie grundlegend falsch, und daraus können Sie sich auch nicht herauswiemeln.
Es ist schon häufig G9 angesprochen worden. Ja, das ist gut und reibungslos gelaufen. Es gab dazu aber auch einen parlamentarischen Konsens, dass sich etwas tun muss. Das war entsprechend vorbereitet. Es war also keine große Aufgabe, das zu handeln. Das ist gut gelaufen, doch es war eine Konzentration. Zwei Jahre ist alles andere liegen geblieben, und darauf warten zum Beispiel die Grundschulen heute noch.
Wir können es mal unter zwei Mottos stellen. Entweder heißt es „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wenn das Thema „Masterplan Grundschule“ aufgerufen wird, oder wir versuchen es mit Franz Beckenbauers Frage „Jo mei, ist denn heit scho Weihnachten?“
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Zu welchem Weihnachtsfest soll denn jetzt der „Masterplan Grundschule“ mal auf den Tisch kommen?
(Beifall von den GRÜNEN)
Oder ist es Ostern vielleicht soweit? – Es ist so eine Sache: Wenn Ostern, Pfingsten und Weihnachten auf einen Tag fallen, ist Masterplan. Wir werden schauen, wann endlich geliefert wird.
Wir haben gestern schon auf die Agenda zur Stärkung der Beruflichen Bildung hingewiesen. Unter „Prüfaufträge stärken, unterstützen“ ist materiell auch nichts drin. Sie könnten es leisten. Sie könnten es für die technischen Lehrkräfte leisten, Sie könnten es für die Werkstattlehrkräfte leisten, Sie könnten es für die Fachlehrkräfte leisten, weil jetzt das Geld im System vorhanden ist. – Nein, Sie tun es nicht.
Für 2020 war die Enttäuschung auch aufseiten der Grundschulen sehr groß, dass die multiprofessionellen Fachkräfte für die Schuleingangsphase weiter nicht aufgestockt wurden, obwohl es versprochen war, und das bei dieser Haushaltssituation. Das ist Verweigerung von Regierungsverantwortung,
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
denn Sie regieren hier. Dass Sie zur Halbzeit hier heute noch stehen, (Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
zurückschauen und sagen, das müssten Sie noch alles erzählen, wo Sie doch in Regierungverantwortung sind. – Packen Sie es doch endlich mal an. Sie haben die Mittel. Die Dinge liegen auf dem Tisch, doch es läuft leider quer.
Frau Kollegin Müller-Rech, zum Fach „Wirtschaft“. Nein, da ist keine Verbraucherbildung vorangetrieben worden. Es ist ein rückwärtsgewandter Wirtschaftsbegriff, der da zum Tragen kommt.
(Beifall von den GRÜNEN – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau!)
Anstatt die politische Bildung und die Demokratiebildung (Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
in unseren Schulen zu stärken, haben Sie das aus ideologischem Überbau und Übermut in die Schulen hineingesetzt.
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Das ist soziale Marktwirtschaft!)
Sie belegen damit außerdem noch genau die Ergänzungsstunden. Sie machen die Räume bei den Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen enger. Das ist fahrlässig. Das ist genau die falsche Akzentsetzung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen mehr Demokratiebildung und nicht diesen rückwärtsgewandten Wirtschaftsbegriff.
(Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und von Matthias Kerkhoff [CDU])
Was machen Sie im nächsten Schritt? – Wir haben es im letzten Jahr bei den Gymnasien erlebt: Jetzt greifen Sie tief in die Organisationsstruktur der Gesamtschulen in diesem Bereich ein.
Frau Müller-Rech schüttelt den Kopf; ich will das für das Protokoll sagen. (Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
–  Nein, nicht zu Recht, sondern ziemlich ignorierend, was in den Schulen dazu im Augenblick diskutiert wird. Das ist ein tiefer Eingriff in die Organisationsstruktur und die Festlegung für die Gesamtschulen. Das greift in die Fächer, in die Organisation des Lernbereichs Arbeitslehre ein. Das scheint Ihnen alles nicht präsent zu sein.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Wir werden das auch noch debattieren. Im Rahmen des 15. Schulrechtsänderungsgesetzes warten doch die Kommunen darauf, dass Sie ihnen ermöglichen, den § 132c auszuweiten. Nichts ist da. Da wird Schulentwicklung unter den Tisch gekehrt.
Realschulen sollten die Möglichkeit haben, ihren Schülerinnen und Schülern den Hauptschulabschluss anzubieten, und zwar überall. Das haben Sie nicht angenommen. Es war die Bitte der kommunalen Spitzenverbände; das war auch die Bitte vieler anderer. Aber Sie haben es offensichtlich auf Einwirken von „LehrerNRW“ wieder herausgestrichen.
Welche Lobby bedienen Sie eigentlich mit Ihrer Politik? – Es ist nicht die Lobby der integrierten Schulform, um das noch mal zu sagen.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP]) Kommen wir doch zur Inklusion.
Sie tragen dafür die Verantwortung, dass eine Schulform – und das ist ein politischer Ansatz, den Sie zu verantworten haben … Das sind nicht die Gymnasien, die in diesem Prozess erfolgreich waren und sich ja beklagen, dass sie aussteigen müssen, weil die Bedingungen jetzt so sind, wie sie sind.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Sie nehmen eine Schulform aus der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Inklusion, (Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
in die mehr als 40 % aller Kinder in diesem Land gehen. Das ist ein gesellschaftspolitischer (Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Fehlstart, den Sie hingelegt haben. Diese Fehlsteuerung ist fatal, (Markus Wagner [AfD]: Die haben Sie zu verantworten!)
weil sie die Gesellschaft auseinandertreibt (Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
und weil das der gesellschaftlichen Anforderung nicht gerecht wird. (Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])
Dafür haben Sie die Verantwortung. Da steuern Sie genau falsch; das ist ganz klar.
Wie ist die Perspektive der PRIMUS-Schulen? – Ungeklärt, obwohl dazu schon die Evaluationsberichte vorliegen, die ganz deutlich sagen: Sie gehen in die richtige Richtung und brauchen jetzt eine verlässliche Perspektive.
Ich habe noch viel auf der Liste; das werden wir bei der Anhörung debattieren. Mein letzter Punkt sind die Talentschulen. Ich finde, das ist ein Desaster für die Schulen, die sich bewerben, die nicht zum Zuge kommen – wiederholt nicht zum Zuge kommen – und damit vertröstet werden, dass die Ministerin sie im Blick hat. Das reicht leider nicht, auch wenn die Ministerin nett gucken mag. Die Schulen brauchen aber was anderes: materielle Unterstützung,
(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)
einen flächendeckenden Sozialindex. Dann brauchten wir diesen Talentschulversuch, bei dem man sechs Jahre auf die wissenschaftliche Evaluation warten muss, nicht. Wir brauchen einen ganz anderen systemischen Ansatz, den Sie auch finanzieren könnten.
(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])
Aber auch das verweigern Sie.
(Beifall von den GRÜNEN – Matthias Kerkhoff [CDU]: Leider nichts vorgefunden!)

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