Norwich Rüße: „Das ist uns wichtig, das sind wir auch dem Tierschutz schuldig“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Tierarztmangel

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Haupt, ich weiß nicht, ob Sie an der Anhörung teilgenommen haben. Wenn Sie da waren, hätten Sie sich diesen Teil völlig sparen können. Denn in der Anhörung ist von einem Tierarzt Folgendes festgestellt worden: Für Landwirte ist es extrem schwierig, wenn zum Beispiel ein Bullenkalb einer Milchkuh, das vor ein paar Wochen noch einen Wert von 40 Euro hatte, nur noch 10 Euro wert ist. Bei diesem Wert lohnt es sich einfach nicht mehr, einen Tierarzt zu holen. – Auf diese Problematik hat der Tierarzt hingewiesen. Genau diese Problematik haben wir auch in unserem Antrag angesprochen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist das Problem: die völlige Entwertung des einzelnen Tiers. Die Landwirte und die Bäuerinnen leiden auch darunter, dass ihre Tiere nichts mehr wert sind. Ich finde es schlimm, dass Sie uns auch noch attackieren, weil wir das kritisieren. Ein Tier muss so viel wert sein, dass ich auch einen Tierarzt dafür holen kann – jederzeit und ohne Bedenken.
(Beifall von den GRÜNEN und Inge Blask [SPD])
Nun komme ich zum Thema. Wir hatten vor zwölf Jahren noch 1.400 Tierarztpraxen in Nord- rhein-Westfalen. Zehn Jahre später waren es noch 1.100. In dem Antrag steht an keiner Stelle, die flächendeckende Versorgung mit Tierarztpraxen sei nicht gesichert. Wir weisen nur darauf hin – und es gibt viele Indizien dafür –, dass diese Versorgung in bestimmten Regionen, auch in Nordrhein-Westfalen, perspektivisch gefährdet ist. Das können wir übrigens auch aus anderen Bundesländern nachvollziehen. Auch dorthin schaue ich.
Der Hinweis, dass wir keine Hochschule für Tiermedizin haben, ist völlig irrelevant. Man kann sich natürlich auf der Bildungsministerkonferenz darüber unterhalten, wie der Studiengang auszusehen hat. Das ist doch ganz klar. An anderer Stelle sagen Sie dann, man müsse sicherstellen, dass die Studenten Praxissemester oder Praktika machten. Da halten Sie es doch für richtig, dass wir uns einmischen. Deshalb verstehe ich das überhaupt nicht. Das ist doch überhaupt kein Widerspruch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben in bestimmten Regionen eine hohe Konzentration der Tierhaltung. In meiner Region, im Münsterland, wird es natürlich immer genügend Tierärzte geben, weil dort viele Tierhalter sind. Aber in anderen Regionen, aus denen die Viehhaltung abgewandert ist, wird es zunehmend schwierig.
Wir dürfen aber auch nicht nur auf die landwirtschaftlichen Betriebe schauen. Tierärzte sind nicht nur für Landwirte da, sondern für alle Tiere, die gehalten werden.
Das gilt auch für Hobby-Pferdehalter, das gilt für Kleintierhalter, für alle. Wir wollen, dass jeder jederzeit einen Tierarzt für seine Tiere rufen kann. Das ist uns wichtig, das sind wir auch dem Tierschutz schuldig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Da sind wir meines Erachtens an einer ganz wichtigen Stelle. Der Tierschutz hat in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert. Deshalb ist es wichtig, dass der Landwirtschaft – gerade der Landwirtschaft – an der Stelle auch eine hinreichende Betreuungsmöglichkeit ihrer Tierbestände zur Seite gestellt wird. Dafür wollen wir sorgen.
Ich war bei der Anhörung in der Tat überrascht. Es gab klare Ergebnisse an der Stelle, dass nämlich der Punkt, den wir alle als Vorurteil mitgetragen haben – Frau Blask hat auch darauf hingewiesen –, nämlich die Feminisierung, überhaupt nicht das Problem ist, sondern dass sich natürlich an der Stelle die Struktur von Arbeit verändert hat und wir zunehmend mit angestellten Ärzten arbeiten, nicht mehr mit selbstständigen, die nicht so schauen, wie viele Stunden sie am Tag gearbeitet haben. Da ist der Berufsstand aufgefordert, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die dem auch entgegenkommen.
Nur, wenn viele Frauen in dem Bereich studieren, die häufig die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinbekommen wollen und in die Teilzeit gehen, dann müssen wir uns fragen, ob wir genug Studienplätze haben. Die Studienplätze sind ja bisher auf die Zahl von Vollzeitarbeitskräften berechnet worden, und das ist in dieser Branche etwas anders geworden.
Was überhaupt nicht sein kann: Wenn ich als Berufsanfänger nach einem wirklich anspruchsvollen Studium bei 3.000 Euro lande, sehe ich, dass das für Studienabgänger nicht mehr der Normalfall ist. Die angestellten Jungtierärzte beklagen sich alle darüber, dass sie deutlich zu wenig verdienen, eher zu viel arbeiten und dass daher die Unattraktivität des Berufes kommt. Die sagen alle, dass die Tatsache, dass so viele Frauen das studieren, damit zusammenhängt, dass diese den Idealismus mitbringen und nicht so sehr danach schauen, wie viel Geld sie denn verdienen. Bei Männern ist das anders, die gucken zuerst auf die Kohle, und dann sagen sie: Tiermedizin mache ich nicht, ich werde lieber Ingenieur, da verdiene ich anständig.
Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass genug Geld da ist. Die Anpassung der Gebührenordnung ist erwähnt worden. Aber zur Wahrheit gehört dazu: Sie ist zwar erfolgt, aber so, dass sie um 12 % angehoben wurde. Berechnungen haben aber ergeben, es hätten 20 % sein müssen, um die Inflationsrate auszugleichen. Das ist nicht passiert, deshalb wird das ein Thema bleiben.
Insgesamt haben wir viele, viele Punkte in dem Antrag, bei denen wir sagen: Wir wollen endlich einmal vor die Zeit kommen und als Politik ein Problem rechtzeitig angehen, denn wir werden zehn Jahre brauchen, um die Lösung wirklich zu haben. Ich sehe das hier im Parlament leider so, dass Sie alle am Ende sagen: So schlimm ist es doch noch nicht, ein bisschen haben wir ja schon die Probleme gelöst. – Ich freue mich darauf, mit Ihnen, wenn ich noch dabei bin, in zehn Jahren genau darüber zu diskutieren, dass wir vor zehn Jahren das Problem nicht ernsthaft angegangen sind und Sie diesen Antrag abgelehnt haben, dem wir zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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