Ein Gesamtkonzept gegen Rassismus und Rechtsterrorismus jetzt – für eine Einwanderungsgesellschaft ohne Diskriminierung und Hetze

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I.          Ausgangslage Rechtsterroristischer Anschlag in Hanau
Am Abend des 19. Februar 2020 wurde erneut ein rechtsterroristischer Anschlag in Deutschland verübt, der unsere Gesellschaft tief erschüttert. Nach dem antisemitischen Anschlag in Halle, dem Mord an Dr. Walter Lübcke und dem Anschlag in der Silvesternacht 2018/2019 im Ruhrgebiet wurden innerhalb weniger Monate am 19. Februar 2020 wieder Menschen Opfer einer schweren Gewalttat, die von rechtsextremen und rassistischen Motiven geleitet war. Der Tod von Mercedes K., Hamza K., Said Nesar H., Ferhat Ü., Vili Viorel P., Sedat G., Kalojan V., Fatih S. und Gökhan G., in zwei Shisha-Bars und einem Kiosk, haben bundesweit Trauer und Anteilnahme ausgelöst. Alle Todesopfer hatten eine Migrationsgeschichte. Der Täter tötete zudem seine Mutter.
Die Zitate aus dem „Manifest“ des Täters sowie aus einer Videobotschaft, die er wenige Tage vor dem Anschlag veröffentlichte, zeichnen ein deutliches Bild von einer Person, die sowohl Verschwörungstheorien anhing, als auch ganz eindeutig rechtsextreme Ideologien vertrat. Ebenso wie der Täter, der für den Anschlag in Halle verantwortlich ist, soll sich der Täter aus Hanau im Internet radikalisiert haben. In seinem „Manifest“ schrieb er, dass bestimmte „Völker komplett vernichtet werden müssen“ (https://www.belltower.news/rechtsterroristische-anschlaege-mit-10-opfern-zur-ideologie-des- rechtsextremen-attentaeters-von-hanau-96085/) und listet über 20 Länder und Regionen auf. An verschiedenen Stellen finden sich Anspielungen auf den Nationalsozialismus und auch antisemitische und frauenfeindliche Aussagen sind in dem Dokument offenbar enthalten (ebd.). Auch wenn es keine Anbindung an rechtsextreme Netzwerke in der analogen Welt geben sollte, speiste sich die Gedankenwelt des Täters aus Narrativen, die in rechtsextremen Diskursen weit verbreitet sind. Seit Jahren werden in Internetforen rechtsextreme, rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Ideologien verbreitet und mit Verschwörungstheorien vermengt. Dabei spielen frauenfeindliche Einstellungen, die von toxischen Männlichkeitsvorstellungen gespeist werden, eine zentrale Rolle. Sie finden sich in der

Ideologie eines neuen rechtsterroristischen Tätertypus, der menschenverachtende Narrative im Internet konsumiert und sich dort mit Gleichgesinnten vernetzt. Die Täter der Anschläge von Christchurch, Halle und Hanau vertraten neben rassistischen, antisemitischen und antimuslimischen auch frauenfeindliche Ansichten, die sich in ihren Lebensverhältnissen wiederspiegelten.
Inzwischen ist bekannt geworden, dass sich der Täter im Juni und Oktober 2019 bei einer Wuppertaler Detektei gemeldet hat. Diese habe sich mit ihm getroffen und habe dabei offenbar das „Manifest“ vorgelegt bekommen, das der Täter auf seiner Webseite veröffentlichte. Der Inhaber der Detektei äußert in den Medien, dass sie die Polizei nicht eingeschaltet habe, da er „keinerlei Anzeichen von Gewaltbereitschaft zeigte.“ (Westdeutsche Zeitung, 22.02.2020, Seite 5 „Tobias R. bat Wuppertaler Detektei um Hilfe)

Das Problem heißt Rassismus und der muss entschieden bekämpft werden!

Der Anschlag von Hanau ist keine neue Stufe der Gewalt, vielmehr ist er Ausdruck einer Kontinuität rechtsextremer Gewalt in Deutschland: Dazu zählen unter anderem die Brandanschläge zu Beginn der 1990er Jahre, die NSU-Verbrechen, die Anschläge von München, Kassel und Halle und aktuell in Hanau. Der Rechtsextremismus in Deutschland ist inzwischen völlig enthemmt.
Die Tat von Hanau wiegt auch deshalb so schwer, weil sie zeigt, wie verletzlich Angehörige marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen tatsächlich sind. Sie werden immer wieder aufgrund unterschiedlicher Merkmale diskriminiert und stigmatisiert. Sexistische, LSBTIQ- feindliche, rassistische, antisemitische, antimuslimische, antiziganistische etc. Ressentiments treten häufig gemeinsam auf und treffen Angehörige von gesellschaftlichen Minderheiten gleichzeitig.
Zudem werden rassistische und menschenverachtende Diskurse in der Gesellschaft als Legitimation für rechtsterroristische Straf- und Gewalttaten genutzt. Daher ist die Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen und der aktuelle Rechtsruck eine ernsthafte Gefahr für unsere Gesellschaft. Nicht zuletzt die hohe Anzahl an Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in den Jahren 2015 und 2016 zeigen, dass die Hetze von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten zu einer Radikalisierung von Personen, die den Behörden zuvor unbekannt waren, und letztlich auch zur Tatausübung gegen Geflüchtete geführt hat. Aktuell ist zu beobachten, dass die Anzahl flüchtlingsfeindlicher und islamfeindlicher Straftaten wieder steigt, obwohl die Gesamtzahl politisch rechts motivierter Straftaten insgesamt von 2018 auf 2019 leicht rückläufig war.
Zurecht fordern Angehörige migrantischer Communities mit Nachdruck ein politisches Handeln, das über reine Betroffenheitsbekundungen hinausgeht. Sie wollen wirksame Maßnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung, rechtsextreme und menschenfeindliche Gewalt und sie wollen, dass der Staat sie schützt. Angesichts der Kontinuität rechtsextremer Gewalt in Deutschland sowie angesichts alltäglicher Diskriminierung und rassistischer Bedrohung sind diese Forderungen mehr als verständlich.
Als besonders verletzend werden von Angehörigen marginalisierter Gruppen ausgrenzende Sprache und strukturelle Diskriminierung empfunden. Sie kritisieren, dass ihre Stimmen kein Gehör finden und fordern in die notwendigen Diskussionen und Maßnahmen einbezogen zu werden. Rechte und rassistische Gewalt stellt für sie dauerhaft eine reale Gefahr dar, die mit dem Anschlag von Hanau einmal mehr sichtbar wurde. Eindrucksvoll werden Ängste, Befürchtungen, Enttäuschungen sowie Erwartungen an die Mehrheitsgesellschaft und klare politische Forderungen in der Veröffentlichung von 142 Statements unter der Überschrift „Wir sind hier“ in einer Onlineveröffentlichung (https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-02/rassismus-hanau-anschlag-rechte-gewalt-wir-sind-hier (27.02.2020)) dargestellt. In der Erstellung notwendiger Konzepte gegen Rassismus müssen marginalisierte Communities eingebunden sein.
Der Schutz von Minderheiten vor Stigmatisierung, Diskriminierung und Übergriffen muss handlungsleitend bei allen gesellschaftlichen Debatten und politischen Maßnahmen sein.

Hanau muss ein Wendepunkt sein: Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsterrorismus müssen schnellstmöglich verstärkt werden

Aufgrund der vorangegangen rechtsterroristischen Anschläge im vergangenen Jahr befindet sich der Landtag bereits in einem Beratungsverfahren zu Maßnahmen gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtsextreme Gewalt. Grundlage dafür sind ein Antrag der SPD-Fraktion („Fit für Demokratie: Schutz vor Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus verstärken“ Drs. 17/7914) und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen („Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus wirksam begegnen“ Drs. 17/7991), die jeweils breit aufgestellte Maßnahmenkataloge enthalten. Hierzu ist eine öffentliche Anhörung für den 14. Mai 2020 angesetzt. Der Anschlag in Hanau hat eine Dimension rechtsextremen Terrors sichtbar gemacht, die weitere Maßnahmen erfordert.

II.         Feststellungen

Der Landtag
1.    verurteilt den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, zeigt sich solidarisch mit den Angehörigen der Opfer sowie den von Rassismus betroffenen Personen und stellt sich entschlossen gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, antimuslimischen Rassismus und jede andere Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
2.    steht für eine demokratische und pluralistische Einwanderungsgesellschaft ein, in der Minderheitenrechte und der Schutz von Minderheiten als Teil des demokratischen Gesellschaftsauftrags verstanden werden.
3.    sieht Antirassismus und Demokratieförderung als Staatsauftrag an.

III.        Beschluss

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.    ein Gesamtkonzept der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsterrorismus aufzulegen, dazu gehört auch, die gering angesetzte Anzahl rechtsextremistischer Gefährder kritisch zu überprüfen, offene Haftbefehle gegen Rechtsextreme zu vollstrecken sowie das Instrument zur Risikobewertung von islamistischen Terroristen (Radar-iTE) auf den Rechtsextremismus zu übertragen.
2.    Einrichtungen von migrantischen bzw. marginalisierten Communities, wie Moscheen, Synagogen, Kulturzentren sowie migrantisch geprägte Stadtteile besser zu schützen,
3.    mindestens solange wie es noch keine Landesantidiskriminierungsstelle gibt, eine oder einen Beauftragten gegen Rassismus auf Landesebene einzusetzen,
4.    ein Lagebild „Rechtsextremismus“ zu erstellen, das jährlich über die Entwicklungen im rechtsextremen Spektrum berichtet, sowie eine aktuelle Gefahreneinschätzung durch den Rechtsextremismus bzw. Rechtsterrorismus vornimmt, Dunkelfeldstudien zu den Themen Rassismus, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Antiziganismus, Frauen- und LGBTQI-Feindlichkeit in Nordrhein- Westfalen durchzuführen und dabei auch die Zusammenhänge zwischen den Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu untersuchen,
5.    das Phänomen „Misogynie“ (Frauenhass) stärker als bislang als Triebfeder für den Rechtsterrorismus anzuerkennen, „Misogynie“ in der polizeilichen Kriminalstatistik – Rechts zu erfassen und das Thema verstärkt in die Präventionsarbeit der Antidiskriminierungsarbeit und Rechtsextremismusprävention einzubeziehen,
6.    die Handlungsempfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses NRW vollständig umzusetzen, dazu gehört unter anderem, dass die Polizei Opfer rechter und rassistischer Gewalt proaktiv über die Angebote der spezialisierten Beratungsstellen informiert und so den Opferschutz stärkt,
7.    ein Konzept zur Demokratiebildung in Kita, Schule, Hochschule und Weiterbildung vorzulegen inklusive von Fortbildungen, um pädagogisches Personal für rassistische Sprache zu sensibilisieren,
8.    Menschen mit Rassismus- und anderen Diskriminierungserfahrungen als gleichberechtigte Akteure einschließlich ihrer Bedürfnisse und Erfahrungen in die Entwicklung von Handlungskonzepten einzubinden,
9.    Maßnahmen weiterzuentwickeln, damit Angehörige marginalisierter Gruppen die gleichen Chancen im Bildungssystem und gerade im Beschäftigungssektor der öffentlichen Institutionen haben.