Matthi Bolte-Richter: „Direkte Demokratie darf kein Elitenprojekt sein, wir brauchen bei allen Formen von Bürgerbeteiligung eine breite Beteiligung“

Gesetzentwurf der "AfD"-Fraktion zu direkter Demokratie

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grüne – das habe ich auch schon bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs gesagt – stehen ohne Wenn und Aber zur repräsentativen Demokratie. Wir stehen genauso ohne Wenn und Aber zur Stärkung und Ergänzung durch direkte Demokratie, weil sich über die letzten Jahrzehnte ein gutes Miteinander dieser verschiedenen Formen der demokratischen Mitbestimmung entwickelt hat.
Wir sehen, der Bedarf auch an der Ausweitung direktdemokratischer Elemente ist nach wie vor vorhanden. Viele Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass sich die demokratischen Institutionen stärker öffnen und diesen Weg stärker gehen. Insofern haben wir uns schon seit vielen Jahren dafür eingesetzt, auch in der letzten Legislaturperiode, in der Verfassungskommission beispielsweise, die Unterschriftenhürde für Volksbegehren deutlich abzusenken, auch deutlich weiter, als es im Gesetzentwurf der AfD vorgesehen ist.
Sie wissen alle, dass die Verfassungskommission in der letzten Legislaturperiode nicht zentral an dieser Frage, aber insgesamt gescheitert ist und es nach wie vor diese Baustelle gibt. Wir werden diese Baustelle natürlich jetzt auch weiter angehen, genauso wie wir in diesem Bereich der direkten Demokratie auf Landesebene die Themenausschlüsse bei Volksbegehren reduzieren und die Bedingungen deutlich erleichtern müssen.
Da sind wir in der Diskussion – das ist völlig klar –, und diese Diskussion wird durch den AfD-Antrag auf jeden Fall nicht zielführend gelöst.
Genauso ist es mit dieser etwas seltsamen Geschichte mit der Landtagsauflösung durch Volksentscheid, die Sie in Bayern ausgegraben haben. Auch das habe ich in der Einbringung gesagt, es mag in der Realität Bayerns kurz nach dem Zweiten Weltkrieg möglicherweise ein Instrument gewesen sein. Aber es ist natürlich kein Instrument für eine gefestigte demokratische Ordnung, wie das im Jahr 2020 ist, sondern es zeugt nur davon, dass die AfD – das will ich jetzt mal freundlich ausdrücken – ein tiefes Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen hat.
Wir haben in der Debatte immer wieder gehört, dass die Schweiz als Modell für direkte Demokratie gilt. Man darf das Schweizer Modell der Konkordanzdemokratie nicht missverstehen als ein Modell, in dem das Recht des Stärkeren ohne Wenn und Aber gilt. Denn das ist falsch. Es ist ein grundlegendes Missverständnis dieses Verfassungsmodells, und es ist falsch.
Es ist auch nicht das, was wir brauchen. Wir brauchen selbstverständlich, wenn wir direkte Demokratie stärken, starke Schutzrechte, starken Minderheitenschutz. Die Schweizer lösen das durch ein unterschiedliches und ziemlich verschachteltes und kompliziertes Quoren-Modell, das aber zu einer Reihe von Minderheitenschutzrechten führt. Das sind Themen, die wir auf der Tagesordnung haben müssten, wenn wir über direkte Demokratie reden, außer wir interessieren uns wie die AfD nicht für Minderheiten und ihren Schutz.
Insofern passt es sehr gut, dass Sie das Thema hier nicht mit hineingebracht haben, aber es gehört selbstverständlich in die Diskussion, genauso wie wir insgesamt nicht das Recht des Stärkeren brauchen, sondern einen politischen und institutionellen Rahmen, in denen gesellschaftliche Konflikte durch Kompromiss, durch Interessensausgleich gelöst und miteinander verhandelt werden.
Letzter Punkt, den ich in dieser Debatte wichtig finde, weil sich auch in der Erfahrung der Schweiz immer wieder zeigt, dass dieser Punkt unterbelichtet ist: Direkte Demokratie darf kein Elitenprojekt sein, sondern wir brauchen bei allen Formen von Bürgerbeteiligung eine breite Beteiligung. Das geht durch andere Instrumente eher als durch das, was Sie uns hier heute vorschlagen. Insofern lehnen wir diesen Antrag ab, weil wir ihn nicht brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN)