Oliver Keymis: „‚Biergartenschirm‘ statt ‚Knirps'“

Antrag der SPD-Fraktion zur Kulturwirtschaft

Oliver Keymis (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vielen Dank für den Antrag. Wir haben den als Anstoß empfunden. Ich empfinde nicht, Herr Kollege Bombis, dass er zu früh kommt. Das ist die falsche Einordnung an der Stelle, sondern die, von denen wir hier reden, leiden ja die Not schon aktiv, und das seit einigen Wochen und in einem Maße, wie es in anderen Bereichen nicht so stark zu spüren ist, weil diese Dienstleistungen ja direkt auf Kontakt angewiesen sind, sozusagen Kontaktdienstleistungen sind.
Jede der Veranstaltungen, von denen Sie sprechen, ist eine solche. Ich fand interessant, dass die SPD das Thema groß aufgezogen hat, das kann man begrüßen. Es fängt an mit Kultur und Kreativen: 300.000 Menschen, 36 Milliarden Umsatz. Da zuckt man schon zusammen, das ist richtig viel Kohle. Dann geht es weiter mit dem Gastgewerbe: 400.000 Menschen, 16,5 Milliarden Umsatz – auch eine Zahl. Dann Messen und Events: 7 Milliarden Euro Umsatz,
150.000 Menschen betroffen.
Das sind alles Größenordnungen, die sind sehr, sehr eindrucksvoll. Und alle diese Menschen und die Umsätze sind faktisch auf Null gesetzt. Das ist ein Totalausfall von 100 %, und das macht natürlich deutlich, dass wir hier in einer dramatischen Situation stehen, gerade was diese Bereiche betrifft. Ich war etwas überrascht. Ich habe großen Respekt vor den Schaustellerinnen und Schaustellern, das ist eine ganz tolle und wunderbare Tradition, die wir insbesondere in unseren europäischen Ländern kennen, auch in anderen Ländern, aber bei uns in dieser Form.
Wir haben die Schaustellerei als Kinder kennen und mögen gelernt und haben sie als Erwachsene noch immer gern. Sie macht hier aber nur einen Teil aus.
Das gilt auch für Ihren Antrag. Deshalb binden wir sie noch etwas stärker ein. Übrigens sind darin keine Zahlen aufgeführt. Diese fallen insgesamt wahrscheinlich auch ein bisschen geringer aus. Jedenfalls handelt es sich um einen Bereich, der uns wert und teuer ist und für den wir uns engagieren müssen.
Ihr Antrag fängt groß an, aber – und aus diesem Grund haben wir Grüne einen Entschließungsantrag gestellt – uns fehlt die Forderung an die Landesregierung. Ihr Antrag enthält nur zwei Punkte. Ich denke, ich muss hier nicht noch einmal darauf eingehen. Schließlich handelt es sich um den Antrag der SPD. Hier war uns der SPD-Antrag, ehrlich gesagt, etwas zu knapp.
Wir hingegen haben konkreter Forderungen an die Landesregierung gestellt. Schließlich geht es hier um ganz viel. Im Moment ist das gemeinsame Bemühen von Landesregierung und Bund, diese Rettungsschirme aufzuspannen. Deshalb lautet die Überschrift unseres Antrags:
„Biergartenschirm“ statt „Knirps“. Für diejenigen, die keine Schleichwerbung mögen, kann ich das gern übersetzen: Nicht kleckern, sondern klotzen.
Es kommt darauf an, dass wir jetzt alle sehr große Anstrengungen unternehmen, um das, was uns wichtig und wert ist, über diese hygienische Krise, wie es in Frankreich heißt, sprich: die Gesundheitskrise, hinwegzuretten und zu wahren. Darauf kommt es bei denjenigen mit einem hundertprozentigen Einnahmenausfall an.
Wir müssen uns dieser Jahrhundertherausforderung, die nicht nur diese Sektoren betrifft, mit entsprechend groß angelegten Maßnahmen stellen.
Ich habe noch eine Zahl im Kopf, die der Bundesfinanzminister kürzlich wiederholt hat: Der Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag vor der Krise bei etwa 60 %. Mit den Maßnahmen, die der Bund bisher beschlossen hat, beträgt er etwa 75 %. Das ist im Verhältnis zu Italien mit 137 % noch harmlos. Insofern stehen wir als Bundesrepublik Deutschland trotz der Krise nach wie vor insgesamt nicht schlecht da. Das ist unser Glück. Es ist aber auch eine Herausforderung, weil wir daraus zum Beispiel kräftige Rettungsschirme wie die hier in Rede stehenden ableiten müssen.
Die Überschrift unseres Antrags lautet, wie schon zitiert: „Biergartenschirm“ statt „Knirps“. Schließlich hängt das ganze Gastgewerbe daran. Wir müssen uns jetzt auf das einstellen, was sich im Moment abzeichnet. Wir rechnen nicht damit, dass die Restriktionen nur bis zum 31. Mai andauern werden. Wir wissen heute schon, dass bis zum 31. August nichts passieren wird. Das kann man ganz klar beantworten, Herr Kollege Herter. Darüber gibt es gar keine Diskussion.
(Marc Herter [SPD]: Danke, dass du es beantwortest!)
Ich habe sogar die Sorge, dass sie noch länger andauern werden. Ich habe mit Leuten vom Theater gesprochen – Herr Bombis, ich kenne viele Schauspielerinnen und Schauspieler aus alter Zeit – und weiß, dass diese sich schon darauf einrichten, vielleicht ab September oder Oktober unter sehr veränderten Umständen und in kleinerem Rahmen wieder aktiv zu werden. Das weiß man aber alles noch nicht. Auch hier sind wir im Moment darauf angewiesen, auf Sicht zu fahren.
Es gilt, ordentlich zu planen. Daher haben wir vier Forderungen aufgestellt, auf die ich jetzt eingehen möchte.
Erstens. Die Landesregierung wird aufgefordert, umgehend und mit Nachdruck mit der Bundesregierung in Gespräche über eine Fortschreibung der Soforthilfen für die von der Verlängerung der Veranstaltungs- und Reiseverbote betroffenen Branchen über den 31. Mai 2020 hinaus einzutreten.
Gerade wurde gemeldet, es stehe fest, dass bis zum 14. Juni möglichst überhaupt nicht mehr gereist werden soll. Wenn das so ist – wir erfahren sicher bald mehr – können wir auch das Verreisen im Sommer abhaken. Daran hängen viele dieser Veranstaltungen. Das gesamte Messegeschäft hängt am Reisen. Finden keine Reisen statt, finden auch keine Messen statt.
Zweitens. Die Landesregierung wird aufgefordert, die Hilfen des Landes NRW in der gleichen Weise fortzuschreiben und dazu die dazu benötigten Haushaltsmittel, falls nötig, kurzfristig zu beantragen.
Drittens. Die Landesregierung wird aufgefordert, umgehend in Gespräche mit der Bundesregierung und, soweit beihilferechtlich erforderlich, mit der EU einzutreten, um das angekündigte Sonderprogramm für Hotels und Gaststätten zu einem branchenbezogenen Rettungsschirm zu erweitern, der die gesamten Dienstleistungsketten der von Reisewarnungen und Veranstaltungsverboten betroffenen Branchen in den Blick nimmt.
Viertens – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – muss die Landesregierung beauftragt werden, hierzu komplementäre Finanzmittel in Höhe von mindestens 10 % des erforderlichen Kapitals zur Verfügung zu stellen und die dazu erforderlichen Mittel, falls nötig, zu beantragen.
Unsere Forderungen sind somit konkreter. Wir stimmen Ihrem Antrag zu, weil daran nichts falsch ist. Wir werden unserem Antrag zustimmen, weil er natürlich der bessere von den beiden ist.
(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD])
Wir hoffen, dass alle anderen dem Antrag ebenfalls zustimmen, mindestens aber unserem Entschließungsantrag. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)